Auf die Wahrheit folgen Sackgassen

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Gesagt, getan. Unten im Autopsieraum standen Maura, Jane, Frost, Korsak und Piers im Halbkreis um den Metalltisch herum. Darauf lag zwar noch keine Leiche, aber es konnte nicht mehr lange dauern, bis das Team der Spurensicherung alle Einzelteile des Toten eingesammelt hatten.
Solange musste man sich jetzt noch gedulden, aber diese Zeit wussten sie zu nutzen.
„Da jetzt ja tatsächlich etwas passiert ist", begann Jane und verschränkte die Arme, „kannst du uns doch erklären, was hier wirklich abgeht und wieso du viel mehr darüber weißt, als wir."
Alle Blicke lagen erwartungsvoll auf dem jungen Soldaten, der nun seufzte und dann endlich zu erklären begann.
„Jetzt ist es wohl wirklich Zeit", fing er an, „Ich habe im Lauf der letzten Wochen schon ein paar eurer Vermutungen bezüglich meines Aufenthalts hier mitbekommen."
Er grinste, als er die überraschten Gesichter sah: „Ja, ihr solltet leiser flüstern. Auch wenn einige eurer Vermutungen gar nicht mal so falsch waren... Ich habe zum Beispiel gehört, dass ein paar hier vermuten, in der Stadt würden sich Terroristen herumtreiben oder es würden irgendwo in der Nähe im Geheimen Biowaffen entwickelt. Das ist natürlich nicht alles war aber-„
„Biowaffen?", entfuhr es Jane.
„So etwas wie-„, Frost unterbrach sich selbst, als das Bild des Toten wieder vor seinem inneren Auge erschien, dann schluckte er.
„So etwas wie der ‚Zombie' im Theater", bestätigte Piers.
Bisher hatte keiner daran gedacht das Wort „Zombie" in den Mund zu nehmen; es wirkte so surreal und hatte in der echten Welt nichts verloren. Aber jetzt, wo sie noch einmal darüber nachdachten... Es gab keinen passenderen Begriff.
„Die Special Operations Unit, der auch ich angehöre, wird, wie schon gesagt, dazu ausgebildet gegen diese Art von Waffen vorzugehen. Genau genommen sind es auch keine biologischen, sondern bioorganische Waffen, aber das ist im Moment nicht so wichtig. Weil es in letzter Zeit aber häufiger kleine Vorfälle gab wurde mein Team aufgeteilt auf verschiedene Großstädte, die im Gefahrengebiet liegen."
„Wir liegen also im Gefahrengebiet? Heißt das, hier gibt es bald auch so einen ‚Vorfall'?", wollte Korsak wissen.
„Gewissermaßen gab es den schon. Den ersten Infizierten, oft auf Patient Zero genannt, haben wir bereits. Wir müssen jetzt herausfinden, wie er sich infiziert hat. Auch ist wichtig, ob es noch weitere Infizierte gibt und wer dahinter steckt. Das kommt nicht einfach von irgendwo."

Aus den Worten des Soldaten entnahm Maura, dass es sich womöglich um eine Bakterie oder ein Virus handelte, welches die Infektion auslöste. Auch die Tatsache, dass Piers sie alle angewiesen hatte sich nicht beißen zu lassen und nicht mit Körperflüssigkeiten des Infizierten in Kontakt zu kommen ließ darauf schließen und als Maura ihre Vermutung dann aussprach wurde sie direkt von Piers bestätigt.
Er sprach noch weiter, erzählte von einigen Vorfällen, die bereits geschehen waren und erwähnte eher am Rande auch eine lang vergangene Sache – vermutlich den Ursprung von allem – bei der eine ganze Stadt ausgelöscht worden war. Aber zu dem Zeitpunkt sei er selbst noch ein Kind gewesen und sein Team-Captain, der anscheinend sogar dabei war, sprach das Thema von sich aus nie an.
„Vieles von diesen Vorkommnissen wird noch geheim gehalten und die Informationen, die ihr nun habt, sind genau genommen streng vertraulich, deshalb könnt ihr darüber mit niemandem reden. Was in diesem Raum gesagt wird bleibt in diesem Raum, verstanden?"
Mit viermal „Verstanden" war die Erklärung beendet und wenig später wurde auch endlich der Tote hereingebracht.
Bald würde es neue Erkenntnisse geben.


Jane, Korsak und Frost hatten es sich zur Aufgabe gemacht, den Auslöser für diesen Vorfall zu finden und waren wieder nach oben gegangen.
Piers war unten bei Maura geblieben – zur Sicherheit, man konnte ja nie wissen. Außerdem war er gespannt, ob sie noch etwas Interessantes zu Tage fördern könnte, schließlich hatte man sie als beste Pathologin in der Gegend profiliert; vielleicht fand sie ja noch etwas heraus, was bisher keiner wusste?
Aber vorerst gab es keine großen Überraschungen, zumindest nicht für Piers. Denn während Maura den Leichnam untersuchte unterhielten sich die beiden noch etwas über ihren jeweiligen Alltag. Angefangen hatte es damit, dass Maura sagte, so etwas sei ihr noch nie begegnet, woraufhin Piers gemeint hatte, dass er genau das schon oft genug gesehen hätte.
„Menschen ohne vollständigen Kopf sind wirklich kein allzu schöner Anblick. Wäre ich nicht allmählich an Tote gewöhnt würde mir sicherlich genauso schlecht werde, wie Detective Frost."
„Oh, ich habe mich auch an Tote gewöhnt – mit dem Unterschied, dass meine wieder aufstehen und erst dann endgültig liegen bleiben, wenn sie sich eine Kugel zwischen den Augen gefangen haben."
Maura konnte sich kaum erklären, wie Piers selbst bei lebendigen Toten so gelassen bleiben konnte. Es schien tatsächlich in seinen Alltag zu gehören, während der Rest der Welt in Panik geriet.
Der Pathologin selbst war jedenfalls alles andere als wohl bei dieser Obduktion und bei diesem Fall, aber ihr Gegenüber konnte sogar noch den ein oder anderen Witz reißen und trug selbst jetzt noch einen Hauch seines frechen Lächelns auf den Lippen.
Unglaublich, dieser junge Soldat, der da vor ihr stand. Laut seinen Erzählungen, die durchaus einen ehrlichen Eindruck machen, ging allmählich hervor, was er trotz seines Alters schon alles erlebt hatte.
Und selbstverständlich blieb auch das in diesem Raum.


Es war schon mitten in der Nacht, als das BPD endgültig verlassen wurde. Alle hatten noch ewig nach Spuren gesucht, das gesamte Leben des Opfers auseinander genommen, Konten geprüft, Kontakte und Verbindungen herausgesucht und alles und jeden entdeckt, der vielleicht einen Groll gegen das Opfer hegte.
Auch die Kollegen der Spurensicherung hatten den Tatort sehr gründlich auseinander genommen und gesichert und das sogar noch weitaus genauer und gründlicher als sonst eh schon.
Was der junge Soldat seinen neuen Kollegen am nächsten Tag dazu sagte, gefiel ihnen allerdings gar nicht.
„Ich glaube nicht, dass die Ermittlungen in diese Richtung uns weiterbringen."
„Wieso das denn nicht?", fragte Jane leicht aufgebracht.
Ihre Reaktion und die überraschten und missmutigen Blicke der anderen waren mehr als verständlich, denn abgesehen davon, dass sie allesamt die halbe Nacht gearbeitet hatten, waren ihnen auch nur Stunden Schlaf vergönnt gewesen.
Der Kaffee war leider noch nicht da...

„In allen Fällen, die mir bisher untergekommen sind, gab es keine Einzelziele. Es geht nicht um bestimmte Personen, sondern um einen Schlag gegen alle. Es geht nicht um Mörder mir persönlichen Beweggründen. Es geht um Terroristen."
Schockierte Blicke lagen nun auf Piers.
Er meinte es ernst und er hatte Recht. Im Normalfall jagten sie Mördern nach, fanden sie über persönliche oder geschäftliche Beziehungen und klare Motive und konnten dies mit Hilfe ihrer technischen Hilfsmittel erreichen und beweisen. Aber jetzt war die Tätergruppe eine völlig andere, also mussten sie sich auch anderer Methoden bedienen.
Einige von ihnen realisierten schnell, dass sie zu sehr in ihrem Rhythmus festhingen.
Jetzt war umdenken angesagt! Und frischer Kaffee.


Kaffee war da. Aber Ergebnisse noch nicht. Und auch nach den Befragungen der ganzen Schauspieler hab es keine neuen Fakten, die sie irgendwie weiter voran brachten. So langsam gingen ihnen die Ideen aus und im Büro herrschte bedrückende, angespannte Stille. Die meisten waren tief in Gedanken versunken oder schauten zum x-ten Mal Kameraaufnahmen des Theaters und der Umgebung durch.
Bild für Bild, immer wieder, aber zu sehen gab es nichts Neues mehr. Man konnte die Schauspieler beobachten, wie sie hineingingen, dann einige Zeit lang die Straße oder wahlweise einen der privat überwachten Vorgärten, in denen absolut gar nichts passierte, bis die zwei Dienstfahrzeuge des BPD vorfuhren.
Auch danach passierte nichts. Also ergab die gesamte Überwachung nichts weiter, außer dass man nun wusste, wie viele Eichhörnchen in der Gegend hausten und welche Farben die streunenden Katzen dort haben.
Wichtige Erkenntnisse.

„Hast du noch einen Geheimtrick?", seufzte Frost in Piers' Richtung.
Der schaute von seinen Zetteln auf: „Was erwartest du?"
„Na... Wie findet ihr sonst die Täter, wenn schon nicht auf die klassische Art?", jetzt sah Frost seinen Kollegen auch an.
„Ihr habt das nicht ganz richtig verstanden", meinte dieser und lehnte sich in seinem Sessel zurück, „Normalerweise werden wir erst gerufen, wenn die Kacke schon längst am Dampfen ist und zumindest auf den Einsätzen, auf denen ich bisher war, hat sich meistens relativ zeitnah jemand dazu bekannt."
„Soll das jetzt heißen, wir warten auf die Katastrophe und hoffen, dass jemand ruft ‚ich war's! ' ?", fragte Jane, die vom ganzen Herumsitzen und Bildschirme anstarren allmählich unruhig wurde.
„Nein, natürlich nicht, seufzte der Soldat, „Aber vielleicht finden Maura und ihre Kollegen an der Leiche oder am Tatort noch etwas, das uns weiterhelfen kann."

Das war allmählich auch die letzte Hoffnung, die die Ermittler noch hatten. Ihnen gingen nämlich so langsam alle Ideen aus und Neue kamen nicht mehr hinzu. Am schönsten wäre s ja, dachte Piers im Stillen, wenn sie eine Anstecknadel oder Visitenkarte eines dubiosen Pharmazeutik-Unternehmens fänden und sich mal in deren Keller umsehen könnten...
Aber das wäre ja zu einfach.


"Ich will ja nichts sagen, aber eure Leiche ist abgehauen."Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt