Der Händler

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Nicht ausgeschlafen und eher mittelmäßig gut erholt fiel Piers am nächsten Morgen aus dem Bett. Der Wecker war ungewöhnlich schrill gewesen, fand er. Aber wenigstens war er jetzt wach und nach der kalten Dusche konnte er sich auch den Kaffee sparen. In Ruhe konnte er frühstücken und sich mental auf das Vorbereiten, was ihn am Tag erwarten würde.
Er hatte nämlich noch am Vorabend eine Mail an einen Kollegen im HQ geschickt und ein paar Informationen mit ein wenig Unterstützung angefordert.
Auf die Antwort war er gespannt, also klappte er noch beim Frühstück seinen Laptop auf und aktualisierte seine Nachrichten. Mit einem zufriedenen Gesichtsausdruck las er den kurzen Text, stopfte den Laptop in seinen Rucksack und machte sich auf den Weg zur Arbeit.


Dort angekommen teilte er seinen Kollegen mit: „Gute Nachrichten! Meine Leute nehmen uns etwas Arbeit ab. Das Team, was sich schon länger auf diesem Gebiet des Schwarzmarktes aufhält, wird uns ein, zwei Händler liefern, mit denen wir reden können. Ich hab gehört es soll da auch ein paar kooperative Leute geben."
„Hervorragend!", sagte Jane, „Wir fragen ihn wer unserem Opfer die Viren verkauft hat und sobald wir den haben finden wir heraus, was wirklich passiert ist."
Forst führte den Gedanken noch weiter: „Und entweder haben wir dann unseren Täter oder eine neue Spur."
„So sieht's aus", bestätigte Piers, „Zumal wir die Händler auch direkt hier behalten könnten, sind schließlich auch Straftäter."
„Das ist leider nicht unsere Sache", erklärte Korsak, „Dafür ist ein anderes Dezernat zuständig, aber keine Sorge, wenn er schon einmal hier ist kümmern die sich darum."
„Na gut... Gibt es noch etwas zu tun, bis der Händler hier ankommt? Das kann nämlich noch etwas dauern."
Schultern zuckten. Fragende Blicke glitten von einem zum nächsten.
„Dann schätze ich, wir machen eine längere Mittagspause", befand Korsak.
„Guter Plan", meinte Jane und stand auf.

Sie war sowieso noch nicht mit Maura joggen gewesen und ein vernünftiges Mittagessen war schon verlockend – auch wenn es noch sehr früh war.
Frost sah das genauso. Er wollte ins Café um die Ecke zu einer „Bekannten" gehen.
Korsak sah einen Moment zu Piers herüber, der wohl noch nicht zu wissen schien, was er mit seiner Freizeit anfangen sollte. Also machte er einen verlockenden Vorschlag, dem der Scharfschütze wohl kaum wiederstehen könnte.
„Hast du Lust mit auch den Schießstand zu kommen? Ich hab längere Zeit nicht mehr geübt und ich wette dein Trainingsplan ist eigentlich auch straffer, oder nicht?"
Ein Grinsen zierte des Soldaten Gesicht: „Sehr gern. Und du hast Recht, eigentlich habe ich einen ziemlich strengen Plan und der Captain macht uns fast jeden Morgen die Hölle heiß. Das hier ist fast wie Urlaub, auch wenn ich zwischendurch zumindest nochmal joggen gehe."
Lachend stand Korsak auf: „Na dann komm mal mit runter."
Mit dem schwarzen Koffer in der Hand lief Piers ihm nach zum Aufzug. Sie fuhren hinunter zum Keller und betraten den Vorraum vom Schießstand. Dort nahm gerade jemand Ohrschützer von einem Haken an der Wand, setzte sie auf und ging hinüber.
Korsak holte etwas aus einem Spind heraus – einen kleinen Alukoffer – und öffnete es. Zum Vorschein kam eine schön polierte Beretta, mit der er nun anscheinend schießen wollte. Mit der Waffe in der Hand schaute er zu Piers, der gerade die einzelnen Teile seines Gewehrs ineinander einrasten ließ.
„Und du schießt mit Kanonen auf Spatzen, hm?"
„Richtig – aber eine normale Pistole war mir zu langweilig."
Provokant grinste er Korsak an, dann stand er auf, nahm sich auch einen Hörschutz von der Wand und ging mit ihm hinüber an den Schießstand, an dem schon fleißig geschossen wurde.

Sie entdeckten Frankie, als sie weiter nach hinten durch gingen. Der ließ sich von einem Kollegen anleiten und bekam herzlich wenig von dem mit, was um ihn herum passierte. Deshalb gingen die zwei erst einmal weiter und suchten sich einen Platz nah an der Wand.
Die Zielscheiben hingen bereits auf einigen Metern Entfernung und sie luden die Waffen.
Als beide die erste Kugel im Lauf hatten begonnen sie zu zielen.
„Feuer frei", sagte Korsak amüsiert und im nächsten Moment knallten zwei Schüsse durch die Halle, einer lauter als der andere.
Korsak schoss direkt mehrmals hintereinander, Piers hingegen besaß keine halbautomatische Waffe und musste nach jedem Schuss eine neue Kugel in den Lauf laden.
Einen Vorteil hatte dadurch allerdings keiner von beiden. Der Ältere hatte nur zuerst sein Magazin leer geschossen und betrachtete von weitem seine Zielscheibe, bevor sein Blick zu dem Scharfschützen herüberglitt, der neben ihm stand.
Dieser zielte gerade mit der letzten Kugel im Lauf auf seine Scheibe, dabei wirkte er außerordentlich konzentriert und blendete anscheinend alles andere um sich herum aus. Er zog den Abzug zurück, es knallte ohrenbetäubend und bevor man sich's versah schlug das großkalibrige Geschoss in die Mitte des Kopfes der Silhouette auf dem Ziel.
„Ich glaube eure Ziele sind nur auf Pistolen ausgelegt", meinte Piers, als er sich die Ohrschützer vom Kopf zog und in Richtung des Ziels blickte.
Korsak sah in die gleiche Richtung – fassungslos.

Frankie kam zu ihnen herüber: „Womit zum Teufel schießt du?"
Er sah genauso drein, wie der Ältere und Piers konnte sich ein amüsiertes Grinsen nicht verkneifen. In kurzen Sätzen erklärte er, wie sein Gewehr funktionierte und womit er eigentlich schoss.
An sich kein Wunder, dass man mit einem Anti-Panzer-Gewehr auch durch die Zielscheiben hier kam...
„Das ist echt beeindrucken", sagte Frankie begeistert.
„Wie gehst du mit dem Rückstoß um? Der muss doch enorm sein", wollte Korsak daraufhin wissen.
„Training", war die einfache Antwort, „Sehr viel Training. Es hat ewig gedauert, bis ich aus dem Stand schießen konnte."
„Kann ich mir vorstellen...", murmelte der junge Cop und besah sich das Gewehr.


Sie waren alles andere als sparsam mit der Munition umgegangen, was zum Teil auch daran lag, dass immer mehr Leute ihnen zugeschaut hatten. Wenn schon mal ein Publikum da war konnte man auch zeigen, was man so drauf hatte!
Es war eine schöne Abwechslung vom Arbeitsalltag gewesen, auch wenn dieser nun wieder nach ihnen rief. Es mussten noch vermeintlich wichtige Papiere ausgefüllt werden und die Berichte warteten förmlich darauf sich schreiben zu lassen. So ein vollgestapelter Schreibtisch machte doch einen wahrlich motivierenden Eindruck...
Vorausgesetzt man hatte zuvor einen Eimer Kaffee inhaliert. Denn schnell würde das nicht von statten gehen.
„Wo kommt das denn alles her?", fragte Piers resigniert, als er mit Korsak das Büro betrat.
Frost grinste ihnen von seinem Platz entgegen: „Und ich dachte schon ihr lasst mit das alleine machen! Jane ist auch noch nicht wieder da."
„Jetzt, wo du es sagst, eigentlich eine verlockende Option", kam es von Korsak.
Er drehte wieder um und ging lachend ein paar Schritte zur Tür. Auf Protest von Frost hin setzte er sich aber doch an seinen Schreibtisch und begann zu arbeiten. Auch Piers ging einen der Stapel durch – es war wirklich viel zu lesen.

„Ich hab noch nie so viel Kaffee in so kurzer Zeit getrunken", seufzte der Scharfschütze und schaute auf die Uhr an der Wand.
Es war eigentlich schon weit nach Feierabend und bis auf die zwei Detectives und den Soldaten saß auch niemand mehr im Büro, aber bald würden sie fertig sein und jemand musste auch vor Ort bleiben, falls der Händler kam.
Wann der eintreffen sollte wussten sie nicht und um ihn wollte man sich so schnell wie möglich kümmern.
„Noch nie die Nacht durchgearbeitet?", scherzte Frost, „Diese Menge an Kaffee ist noch gar nichts!"
Piers lachte: „War das eine Drohung? Ich habe mir übrigens schon so einige Male die Nacht um die Ohren schlagen müssen. Wir hatten nur leider keinen Kaffee, hätten höchstens Blei fressen können, auch wenn das nicht so empfehlenswert ist."
„Dann hol dir lieber mehr Kaffee, wir werden hier nämlich noch bis morgen früh sitzen, wie es aussieht und du sollst dir ja nicht die Zähne kaputt machen", sagte Frost grinsend.
Müde seufzend stand Piers auf: „Wollt ihr auch noch was?"
„Bring doch gleich die Kaffeemaschine mit hoch", meinte Korsak mit toternster Miene.
Seine zwei Kollegen brachen in Gelächter aus.

Bevor es dazu kam, dass jemand die Kaffeemaschine entführte, besuchte sie allerdings einer der Cops vom Nachtdienst. Er kündigte an, dass jemand unten auf sie wartete. Zu viert gingen sie hinunter in die Eingangshalle und empfingen ihre Gäste.
„Hey, da seid ihr ja", grüßte Piers.
Offenbar kannte er die Männer, die auf sie gewartet hatten. Zwei von ihnen trugen Kleidung, die vermuten ließ, dass sie dem Militär oder einer ähnlichen Institution angehörten und der, der mit den Händen auf dem Rücken zwischen ihnen stand und finster drein schaute trug eine kaputte Jeans, ausgelatschte Schuhe, eine alte Jacke und einen sehr markanten Anstecker am Kragen seines Hemdes. Er war der Händler.
„Lieutenant Nivans, wir haben einen Händler vom Schwarzmarkt in Gewahrsam nehmen können, wie angefordert."
„Gute Arbeit. Dann übernehmen wir das jetzt. Wir sehen uns bald."
Damit wurde ihnen der Händler in Handschellen überlassen, die zwei BSAA-Soldaten verließen das Gebäude und sie hatten endlich jemanden, den man vernünftig befragen konnte.


Die ganze Nacht hatte er gesunden, wie ein Vogel. Er hatte alle Pläne offenbart, alle Verbindungen preisgegeben, alle Partner verraten und hörte immer noch nicht auf zu reden.
Die Detectives gönnten sich am frühen Morgen eine Pause. Sie hatten den Händler immer abwechselnd befragt und wollten sich nun beim Frühstück besprechen. Im Division One Café setzten sie sich zusammen und ließen sich on Angela Rizzoli, die gerade ihre Schicht begonnen hatte, Pancakes, Toast und Kaffee bringen.
Während sich Frost, Korsak, Jane und Piers unterhielten trudelten langsam die ersten Cops ein. Mit verschlafenen Blicken schlurften sie zu ihren Arbeitsplätzen, nicht ahnend, dass es heute noch spannend werden könnte.
„Was hat er euch erzählt?", wollte Jane wissen.
Sie hatte das Büro gestern nach dem Joggen nicht mehr betreten, sich aber wenigstens etwas Arbeit mit nach Hause genommen. Sie war auch die einzige von ihnen, die überhaupt geschlafen hatte.
„Die bessere Frage ist, was hat er uns nicht erzählt? Ich habe noch nie erlebt, dass jemand uns so viel mitteilen wollte", antwortete Frost auf die Frage seiner Kollegin, die ihn daraufhin verdutzt anblickte.
„Hat er ein schlechtes Gewissen bekommen, oder was?"
„Das ist es nicht...", murmelte Piers und fuhr sich mit der Hand durch die Haare, „Er wirkte... Stolz. So als wolle er uns seinen Plan mitteilen, absolut sicher, dass er am Ende als Sieger da steht..."
Irritiert schauten seine Kollegen ihn an.
„Du meinst, wie so ein typischer Comic-Schurke?", fragte Korsak unsicher.

Bevor Piers das erklären konnte betrat Maura das Café: „Das ist gar nicht mal so unüblich, wenn die Betroffenen fest davon überzeugt sind, dass ihnen niemand den Plan ruinieren kann. Es geht dabei um Anerkennung und Dominanz."
„Guten Morgen", meinte Jane erst einmal überrascht.
Frost lehnte sich in seinem Stuhl zurück und schaute zwischen Maura und Piers hin und her: „Ihr sagt also, er zieht eine Show ab? Es wird etwas passieren, während wir mit ihm Kaffeeklatsch halten und wir können nichts tun?"
„Es wird nicht einfach irgendetwas passieren", befürchtete Korsak.
„Sondern genau das, was er sagt", ergänzte Piers.
„Was genau hat er euch denn angedroht?", wollte Maura wissen.
Mit betroffenem Blick begann Frost davon zu berichten, was sie vom Händler im Befragungsraum gehört hatten: „Zuerst war er etwas widerspenstig, wie jeder, der zum ersten Mal da sitzt, also haben wir ihn mit dem konfrontiert, was wir wissen. Dann hat er angefangen zu reden... Zuerst hat er uns lang und breit erklärt, dass das Virus von einem längst ausradierten Pharmakonzern entwickelt wurde und ein paar von ihnen auf den verschiedensten Wegen daran gekommen sind, es reproduziert und dann weiterverkauft haben. In allen Einzelheiten hat er uns klar gemacht, wie das funktioniert – wir wollten das eigentlich gar nicht so genau wissen und es hat unheimlich viel Zeit gekostet. Erst vorhin hat er dann mit dem wichtigen Teil angefangen, dem eigentlichen Plan..."
Gebannt starrten alle ihren erzählenden Kollegen an. Er machte eine kurze Pause und sammelte seine Gedanken, bevor er weitersprach.
„Er sagte nicht genau wie... Aber hat ganz aufgeregt und anscheinend stolz erzählt, dass er und sein inzwischen toter Kollege ganz Boston mit dem Virus infizieren wollten, als eine Art Feldversuch, um bei Terroristen und potentiellen Käufern Werbung zu machen. Und er wollte sich auch nach dem Tod seines Partners nicht davon abhalten lassen. Er sagte er nimmt es jetzt selbst in die Hand...!"

"Ich will ja nichts sagen, aber eure Leiche ist abgehauen."Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt