Der Vorfall im Labor

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Keine Erkenntnisse. Keine Vermutungen. Kein Kaffee im Büro. Zeit für die Mittagspause.
Es ging nun schon mehrere Tage so, alle waren genervt und taten nichts anderes mehr, als aufeinander zu hocken und gegen Wände zu laufen. Das hielt sie aber auch nicht davon ab sich im Division One Café zusammenzusetzen und sich von Angela Rizzoli bedienen zu lassen.
Wenigstens sie war gut drauf und hatte Spaß an ihrem Job. Sie wusste wer was am liebsten mochte und verteilte nicht nur den Kaffee, sondern auch ein paar ihrer „neuen Kreationen" als Mittagssnack.
Die betrübten Gemüter erhellten sich, es wurde sich bedankt und gemeinsam gegessen. Zwar war es nicht viel , aber es war günstig, warum, schmeckte super und besserte die Laune von allen, was wiederum auch Angela sehr erfreute.

Entspannter als vorher, gesättigt und mit frischem Kaffee in den Tassen kam auch neue Motivation auf und man ging wieder gesammelt nach oben – abgesehen von Piers, der noch einmal in der Pathologie vorbeischauen wollte. Vielleicht war ja wirklich ein Wunder geschehen und man hatte noch etwas Hilfreiches finden können.
Es wurde allmählich die letzte Hoffnung, die die Ermittler noch verfolgen konnten...


„Maura, wie sieht's aus?"
Die Chefpathologin fuhr erschrocken hoch und das Skalpell, welches sie zuvor noch in der Hand gehalten hatte, landete klappernd aus dem Metalltisch: „Kannst du nicht anklopfen?"
Piers wollte noch etwas sagen, doch bevor er dazu kam seufzte Maura tief und nahm das Skalpell wieder in die Hand.
„Entschuldige, das war unhöflich."
Der Soldat kam langsam ein paar Schritte auf sie zu: „Macht nichts. Wir sind alle schon ziemlich lange am Arbeiten."
Lange am Arbeiten und ziemlich müde, dabei war dieser Tag noch nicht einmal halb rum. Man konnte schon absehen, dass sie genug Überstunden ansammeln würden, um einen ganzen Monat dafür frei zu nehmen. Aber erst einmal galt es diesen Fall zu lösen.

„Ich will nicht nerven, aber gibt es schon etwas Neues? Oben kommen wir zu nichts, egal in welcher Richtung wir suchen."
„Wir haben schon einiges untersucht und gefunden, hingen aber ebenfalls an etwas fest. Susi bestand jedoch darauf, dass ich hier weitermache, während sie sich darum kümmert, deswegen werde ich wohl erst heute oder morgen mit der Obduktion fertig."
„Also besteht noch die Chance, dass wir etwas finden", befand Piers und stellte sich neben Maura, um sie zu beobachten.
Sie trat einen kleinen Schritt zur Seite und setzte das Skalpell am toten Körper an: „Die Chancen sind sogar groß, ich kam nämlich noch nicht dazu den Mageninhalt zu untersuchen."
„Den Mageninhalt?"
„Das ist der spannendste Teil einer Autopsie. Er ist so aufschlussreich, wie eine Einkaufstüte."
Maura lächelte und begann.

Zwar wurde ihm davon nicht gleich schlecht, aber der Geruch von langsam verwesenden Toten war nicht so angenehm. Deshalb trat Piers wenig später ein paar Schritte zurück und betrachtete das Ganze mit etwas mehr Abstand.
Je weiter Maura mit der Obduktion vorankam, desto stärker wurde der unangenehme Geruch.
Auffällig stark...
„Maura, raus hier!!"


Ein Schlag auf den roten Notfallknopf. Luft anhalten. Schnell raus. Raum verriegeln.
Und etwa eine Viertelstunde lang Panik schieben und auf das Dekontaminationsteam warten.
„W-was ist denn nun los?!", wollte Maura wissen.
„Hast du es nicht gerochen? Man konnte das Gas sogar sehen...!", murmelte Piers in ihre Richtung.
Sie sah ihn erschrocken an. Ja, sie hatte einen seltsamen Geruch wahrgenommen, konnte ihn aber nicht zuordnen.
Was hatte das zu bedeuten?!
So wie Piers sie ansah nichts Gutes, das war klar.
Sein Blick war längst nicht mehr so ruhig und gelassen, wie in den Tagen und Wochen zuvor. Auf seinem Gesicht und in seinem Ausdruck sah Maura Nervosität, Unruhe und war da nicht sogar ein Anflug von Panik?
„Was passiert jetzt mit uns, Piers?", fragte sie mit eindringlicher Stimme.
„Im besten Fall nichts. Im schlimmsten Fall..."
Er ließ den nicht beendeten Satz mit einem Blick in Richtung des Autopsieraumes ausklingen.
Durch die Scheiben der Kammer in der sie nun standen konnten sie vier Leute in Schutzanzügen sehen. Zwei von ihnen brachten noch die letzten Angestellten der Forensik nach einem Check nach oben. Die anderen zwei betraten im selben Moment den Autopsieraum.
In dem Moment, in dem die Angestellten weg waren, wurde der gesamte Bereich hermetisch abgeriegelt. Unten waren nur noch die vier des Dekontaminationsteams.
Und Piers und Maura.


„Was ist da unten los?", wollte Jane von dem Beamten wissen, der sich vor den Aufzügen postiert hatte.
„Ich habe die Anweisung niemanden nach unten zu lassen", wiederholte dieser seine Parole, die er in der letzten halben Stunde bestimmt 100-mal aufgesagt hatte.
„Stellen Sie sich vor, das habe ich mir schon gedacht", gab Jane giftig zurück, „Ich will aber wissen warum!"
Korsak legte ihr von hinten eine Hand auf die Schulter und zog sie etwas zurück. Er wusste, dass der Beamte wahrscheinlich selbst keine Ahnung hatte, was genau passiert. Deswegen machte es wenig Sinn ihn auszufragen. Oder anzuschreien...
„Jane, beruhig dich. Wir können von hier aus sowieso nichts tun:"
„Maura und Piers sind noch unten, ich hab sie nicht hochkommen sehen. Was, wenn ihnen etwas passiert ist?"
„Ich will es mir nicht vorstellen..."
Erst recht nicht, nach dem, was sie im Theater erlebt hatten.
Das Virus, mit dem das Opfer infiziert war, schien ja höchst anstecken und gefährlich zu sein. Was wenn die beiden sich nun beim Untersuchen der Leiche infiziert hätten? Dann liefen womöglich nun zwei weitere Untote herum – so schwer das auch zu glauben war.
Sie hatten den im Theater zwar alle gehört und gesehen, aber es war immer noch ein surrealer Gedanke.
Zombies. Wie in den vielen Hollywoodfilmen...
Nervös und angespannt warteten alle darauf, dass das Dekontaminationsteam Entwarnung gab.


„Wie lange müssen wir denn noch hierbleiben?"
„Das Virus bricht nach spätestens einer Stunde aus, wenn man infiziert ist..."
Maura ließ ihren Blick hoch zu der weißen Wanduhr schweifen, die man durch das Fenster sehen konnte. Sie hing im Flur an der Wand und der Sekundenzeiger tickte wie immer im regelmäßigen Takt weiter.
„Dann müssen wir noch eine halbe Stunde warten...?", fragte sie, nachdem sie die Uhr studiert hatte.
„Eine halbe Stunde warten, hoffen, dass nichts passiert und uns dann noch untersuchen lassen", ergänzte Piers und setzte sich an der Wand auf den Boden.

Als es wieder still wurde sah Maura auf den Boden. Sie schloss für einen Moment ihre Augen und konzentrierte sich auf ihren eigenen Körper.
Was empfand sie? Was fühlte sie? Ging es ihr schlecht? Genau darauf achten...
Sie hatte ein Ziehen im oberen Bauchbereich. Unbewusst hielt sie eine Hand vor ihren Bauch. Als nächstes bemerkte sie, was für einen trockenen Mund sie hatte. Ihr Hals kratzte und ihr würde heiß. Sie konnte die aufsteigende Panik nicht gänzlich unterdrücken und begann sich zu fragen, ob diese Symptome allein ihrer Nervosität zuzuschreiben waren, oder ob nicht doch noch ehr dahinter steckte.
Langsam hob sie den Blick wieder und sah zu Piers.
„Welche Symptome treten üblicherweise auf...?"
„Ehrlich gesagt weiß ich das nicht", gab er zu, „Ich hab so eine Mutation noch nicht gesehen. Es könnte alles sein..."


Ihm war schlecht. Und das konnte nichts Gutes bedeuten.
Es konnte heißen, dass er verdammt nervös war. Oder infiziert... So nervös war er lange nicht gewesen.
Nicht vor seinen Einsätzen, nicht am ersten Arbeitstag bei der BSAA, nicht in seiner Ausbildung oder bei irgendwelchen Prüfungen. Er hatte auch noch keinen Moment erleben müssen, in dem er Angst um sein Leben gehabt hatte.
Also was war es? Eine Infektion oder bloß Nervosität?

Maura fuhr erschrocken zusammen, als Piers anfing zu husten.
„Was ist los?", fragte sie, als sie sich neben ihn hockte.
Besorgt legte sie ihm eine Hand auf die Schulter. Ihre eigene Panik stieg weiter und sie sah sich in dem kleinen Raum nach irgendetwas um, dass helfen könnte.
Nichts. Nur weiße Wände mit zwei größeren Fenstern, ein leeres Regal und ein bisschen Elektroschrott, der nicht mehr gebraucht wurde, in einer Ecke.
Dann kniete sie sich hin und sah dem jungen Soldaten forschend ins Gesicht.
„Mir ist schlecht...", murmelte dieser und sah auf den Boden.
Wenigstens war er ehrlich, auch wenn das alles andere als einen guten Ausgang der Dinge bedeutend konnte.
Ein zweites Mal wanderte Mauras Blick suchend durch den Raum und blieb schließlich wieder an der Wanduhr im Flur hängen, die sie von ihrem Platz aus nur zu Hälfte sehen konnte. Noch gut 10 Minuten.

Das einzige, was ihr jetzt noch einfiel, war zu versuchen sich selbst und ihn zu beruhigen. Also begann sie ein wenig über die verschiedenen Merkmale und Anzeichen von Nervosität und Panik zu reden – viele davon fanden sich nämlich gerade bei den beiden wieder. Außerdem hoffte sie, dass sie so die noch übrige Zeit schneller totschlagen könnte.
Piers blieb jedoch nach wie vor unruhig, starrte auf den Boden, unterdrückte hin und wieder ein Husten und verlor an Farbe.
Er sah besorgniserregend blass aus und selbst Maura glaubte allmählich, er könnte sich infiziert haben...


„Sie sind jetzt schon eine Stunde da unten", stellte Frost fest.
Wie alle anderen oben war auch er sichtlich beunruhigt. Was auch immer in der Pathologie vor sich ging, es dauerte schon viel zu lange.
Korsak klopfte ungeduldig mit den Fingern aus seinen Schreibtisch und blickte immer wieder zwischen Uhr und Tür hin und her, in der Hoffnung, dass das Dekontaminationsteam hoch kam, ihnen erklärte was los war und ihre zwei Kollegen mitbrachte. Jane lief währenddessen unruhig im Büro auf und ab.
Auf die Arbeit konnte sie sich jetzt gerade beim besten Willen nicht konzentrieren und an Rumsitzen und Abarten war auch nicht zu denken. Dennoch konnte keiner von ihnen in dieser Situation großartig helfen oder irgendetwas tun, also blieben sie im Büro, warteten ab und warfen sich nervöse Blicke zu.
Spekulieren half zwar auch niemandem, aber da allmählich alle im Gebäude mitbekommen hatten, dass irgendetwas nicht stimmte wollte nun natürlich jeder wissen, was genau los war und da bisher jede Antwort fehlte wurden wilde Vermutungen aufgestellt.
„Hoffentlich ist das bald vorbei. Hier drehen jetzt ja alle durch!", murrte Korsak genervt.


Die Aufzugtür ging auf, der Beamte davor erschrak, machte einen Satz zur Seite und jemand in einem weißen Anzug betrat das Büro. Es waren noch einmal fast 30 Minuten vergangen – insgesamt also schon 1,5 Stunden seit dem Alarm.
Jane lief direkt auf ihn zu: „Endlich sind Sie hier!"
Auch Korsak erhob sich von seinem Platz: „Was war denn nun los?"
Binnen weniger Sekunden hatten sich alle Anwesenden um den „Erzähler" versammelt und warteten gespannt darauf, dass er alles erklärte.
Er kam jedoch nicht weiter, als zu dem Punkt an dem er sagte, dass nun alles desinfiziert und wieder sicher sei, denn dann öffnete sich die automatische Tür des Aufzugs erneut und zwei weitere Gestalten traten heraus.
Alle drehten sich zu ihnen um.
Gebannte Stille.


"Ich will ja nichts sagen, aber eure Leiche ist abgehauen."Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt