Dubioser Notruf

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Der Anrufer war eine junge Frau, die aufgeregt und laut ins Telefon rief, dass am Theater einer ihrer Schauspielerkollegen verstorben war. Sie könne es nicht beschreiben, die Polizei müsse es sich anschauen.
Es blieb den Mordermittlern also nicht viel anderes übrig, als zum Theater zu fahren und man sah ihnen unterwegs die Nervosität an.
So ungewisse Aufträge kamen nur äußerst selten rein und in den meisten Fällen bedeuteten solche Anrufe immer etwas Schlechtes.

Sie fuhren mit zwei Wagen zu dem Theater. Maura und Jane fuhren zusammen und in Frosts Wagen saßen noch Vince und auch Piers, der darauf bestanden hatte mitzukommen.
Da sie es eilig hatten stellten sie erst einmal keine Fragen, aber während der Fahrt hatten sie ein wenig Zeit einmal darüber nachzudenken.
Korsak drehte sich auf dem Beifahrersitz und schaute nach hinten: „Hey, Piers. Sag mal, wieso willst du eigentlich unbedingt mit? Sollst du nicht im Department Notrufe abhören, oder so?"
„Nicht direkt", meinte der Scharfschütze, „Zu meinen Aufgaben gehört es auch, bei auffälligen Ereignissen die Lage einzuschätzen."
„Achso?"
Korsak sah wieder nach vorne. Er fraget sich, was genau es da einzuschätzen gab, was sie nicht selbst sehen konnte.
Hinter der Sache musste doch mehr stecken...


Die Wagen hielten vor dem alten Theater und die fünf stiegen aus.
Die Gegend war ein wenig verschlafen und auch der hektische Verkehr der spätnachmittäglichen Rush Hour war dort schon wieder abgeklungen. Es war auffällig still-
Bis die Tür des Haupteingangs aufgestoßen wurde und eine blasse kleine Frau die Treppen hinunter auf die Detectives zu stolperte.
„Endlich sind sie hier!", rief sie aufgeregt.
Jane war die Erste, die ihr entgegen kam: „Also, was ist passiert? Sie haben am Telefon ja nicht viel gesagt."
„Ja, ich erkläre alles", die Frau drehte sich schon wieder um, „Aber bitte kommen sie jetzt mit!"

Die Detectives setzten sich in Bewegung und folgten der Frau bis in die Eingangshalle. Dort ergriff sie dann schließlich das Wort zur Erklärung.
„Also, wir haben uns heute Mittag zur Probe getroffen und-"
„Wer ist wir?", unterbrach Barry direkt.
„Äh, wir, der Theaterverein. Ich und elf Schauspieler."
„Die werden wir wohl auch befragen müssen...", seufzte Jane.
Dann erzählte die Frau, was überhaupt Sache war: „Während der Probe ist Jim dann auf einmal verschwunden... Keiner weiß wohin, das haben wir nicht gesehen. Und als er wieder kam..."
Jetzt lagen alle Blicke gespannt auf ihr. Sie zögerte weiterzusprechen, schaute nach vorne zur Eingangstür in den großen Saal.
Als könnte sie selbst nicht glauben, was passiert war, beendete sie mit leiser dünner Stimme schließlich ihre Ausführung: „Als er wiederkam... War er blutüberströmt... Es sah aus, als hätte ihn jemand gebissen. Er stolperte auf die Bühne... Und dann brach er zusammen..."

„Gebissen!", schoss es Piers durch den Kopf.
Das konnte nichts Gutes bedeuten und wenn sich seine Befürchtung bestätigen sollte war der Worst Case bereits eingetroffen. Da wäre es ihm bedeutend lieber, wenn es ein Fehlalarm oder ein schlechter Scherz wäre...
„Was ist los...?", flüsterte Maura, die hinter den anderen neben Piers her lief und seinen erschreckten Blick bemerkt hatte.
„Ich hab' eine schlechte Vorahnung", murmelte er die Antwort.
Ohne weiter darauf einzugehen betraten sie durch die relativ imposante Tür den Hauptsaal des Gebäudes. Die Treppen hinunter zum Vorraum der Bühne entlang saßen die schockiert drein blickenden Schauspieler, die erwartungsvoll zu den Ermittlern schauten.

Direkt begannen Frost, Jane und Korsak die Schauspieler zu befragen, nach dem was passiert war. Piers hingegen ging langsam die Stufen hinunter zum Vorraum der Bühne. Als Maura das merkte, folgte sie ihm.
Auch sie war neugierig, was genau nun passiert war und vor alle, warum ihr neuer Kollege so beunruhigt drein blickte. Entweder ahnte er etwas, das ihn ziemlich nervös machte, oder er war in ernsten Situationen immer so drauf – zumal sie sich das überhaupt nicht vorstellen konnte. Ansonsten hätte er sich wohl den falschen Job ausgesucht.
Ohne Nerven aus Stahl war weder diese Arbeit noch die eines Soldaten eine sinnvolle Aussicht.
Nein, es musst ernst sein...


Piers kam vorne an der ca. ein Meter hohen Bühne an und mit einem Satz stand er oben auf dem Parkett.
Maura, die hinter ihm stand konnte nur die Blutflecke erkennen, die Leiche selbst sah sich nicht.
Noch bevor sie sich im Stillen fragen konnte, ob ihr Kollege ihr wirklich so im Blick stehen konnte, dass sie rein gar nichts von dem Toten sah erhob dieser die Stimme.
„Freunde, ich will ja nichts sagen, aber ich glaube, eure Leiche ist abgehauen."

„Was???", kam es einstimmig aus allen Mündern.
Jetzt hatte er die volle Aufmerksamkeit aller Anwesenden.
Er trat einen Schritt zur Seite, damit sie sehen konnte, dass in den Blutflecken auf der Bühne niemand lag und die Reaktionen fielen allesamt gleich aus: Verwirrung und Schock.
„Aber... Er ist doch tot! Oder nicht...?", rief ein junger Schauspieler, der Jüngste der Truppe.
„Genau das ist das Problem...", murmelte Piers, als er von der Bühne sprang und mit schnellen Schritten die Stufen wieder hoch ging.
„Warte!", rief Maura, „Wo willst du hin?"
„Ich bin sofort wieder da. Seht zu, dass keiner mit dem Blut in Kontakt kommt und falls der Tote wieder auftauchen sollte: haltet euch von ihm fern!", wies der Soldat die Ermittler und Schauspieler an, dann war er auch schon durch die Tür.

Irritierte Blicke sahen ihm hinterher, als er den Saal verließ und verharrten erwartungsvoll auf dem Eingang, bis er zwei Minuten später wiederkam.
Jetzt trug er eine große schwarze Tasche, die er, bevor sie gefahren waren, in den Kofferraum des Wagens gelegt hatte.
„So, jetzt suchen wir ihn...", meinte Piers, als er die Tasche auf die Sitze der vordersten Reihe legte und öffnete.
Neugierig kamen alle näher zu ihm, die anderen Ermittler postierten sich neben ihm und Maura versuchte noch ihm über die Schulter zu gucken.
Jetzt, da alle einen guten Blick in die Tasche werfen konnte fragte Korsak: „Du meinst das wohl ernst, hm?"
„Natürlich meine ich das ernst. Ich trag das hier sicher nicht zum Spaß mit mir herum", war die Antwort des Soldaten.
Zum Vorschein waren ein paar kleine, aber unwichtig scheinende Zettel, ein Medi-Kit und eine weitere kleine Kiste mit dem Erste-Hilfe-Symbol gekommen.
Was die meisten aber nun neugierig anstarrten war der schwarze Koffer, den Piers schon am ersten Tag mit dabei gehabt hatte.

„W-wozu brauchen sie das denn?!", fragte einer der Schauspieler überrascht.
„Wenn euer Freund wirklich gebissen wurde, tot umfiel und jetzt nicht mehr hier ist haben wir ein ernstes Problem", erklärte Piers und ließ zwei Teile des Gewehrs, das er aus dem Koffer genommen hatte, mit einem Klicken einrasten.
„Er ist doch schon...", murmelte die Schauspielerin, die angerufen hatte.
„Ja, wozu das Gewehr?", fragte der Nächste.
„Werdet ihr dann schon sehen...", murmelte Piers missmutig.

Das Gewehr hing er sich am Gurt über die Schulter, dann sah er in die Menge der Versammelten: „Jeder, der eine Schusswaffe hat kommt mit mir, der Rest bleibt hier zusammen. Falls einer gebissen wird oder Blut abbekommt sofort melden. Verstanden?"
Die meisten nickten stumm.
Kommandiert, wie ein Truppenführer, dachte Korsak, aber auch er hatte nichts einzuwenden.
Das Einzige, was die meisten störte war die Ungewissheit darüber, was genau jetzt eigentlich los war.
Eine Schauspielerin nuschelte: „Das klingt ja, wie in einem Zombie-Film..."
Piers verkniff sich seinen Kommentar.


"Ich will ja nichts sagen, aber eure Leiche ist abgehauen."Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt