Kapitel 1 Ein neuer Tag

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„Bist du aufgeregt?" Meine Mutter reichte mir den Testoverall.

Ich nahm das zerknitterte Kleidungsstück an mich, dass gestern mit der Essenslieferung kam. Es war schwerer, als ich gedacht hätte. Das tiefe Blau erinnerte mich an die Augen von Vater. Die raue Oberfläche glitt über meine Hände, als ich ihn zusammenlegte, um mich erst einmal in Ruhe mit Mutter zu unterhalten.

„Schon irgendwie. Oder auch nicht. Ach, ich weiß auch nicht."

Sie strich mir eine lange Strähnen aus dem Gesicht. Ihre Fingerspitzen waren warm und ruhten auf meiner Wange. „Du schaffst das schon. Denk immer daran, es gibt nichts, dass du falsch machen kannst. Sei einfach ehrlich."

Ja, das war die Sache. Ehrlich sein. Ich war mir noch nicht einmal sicher, wer genau ich war und doch sollte ich es einem Komitee mitteilen. Diese verfluchte Prüfung. Sie hing schon wochenlang wie eine dunkle Gewitterwolke über mir.

Meine Schullaufbahn war zu ende. Die letzten 13 Jahre gipfelten in einem finalen Test. Hier stand ich nun mit dem Overall in der Hand und wusste nichts darüber. Meine Schulnoten gaben lediglich die Richtung des Testes vor. Das hieß für jeden, war diese Prüfung anders. Keiner konnte mir sagen, was genau auf mich zu kam oder wie ich mich verhalten sollte, um zu bekommen, was ich wollte. Aber was wollte ich eigentlich?

Die letzten Wochen waren Wahnsinn gewesen. Ich hatte mich mit den verschiedenen Berufsgruppen beschäftigt und wusste bisher nur, was ich nicht wollte. Abfallentsorgung, Abwassertechnik und auch die Nahrungserzeugung mochte ich nicht besonders. Ich hatte keinen grünen Daumen. Vielleicht würde die ganze Stadt unter mir verhungern. Abfall und Abwasser hingegen, waren undankbare Jobs.

Seufzend warf ich mir den Overall über die Schulter und verdrückte mich ins Bad. Dort bereitete ich mich auf den Tag vor. Es klopfte an der Tür, als ich in den sackförmigen Overall schlüpfte. Meine Mutter sagte mir, dass das Frühstück fertig war.

Als ich angezogen war, machte ich mich auf den Weg zum Frühstückstisch. Die kleine Treppe ging ich langsam hinunter. Ihre grauen Stufen waren, seit ich denken konnte, stumpf.

Ich drehte mich nach rechts und machte die paar Schritte ins Esszimmer. Dort warteten schon meine Eltern und Brüder auf mich. Alle Augenpaare richteten sich auf mich. Sofort fingen meine Brüder an zu kichern. Kein Wunder dieser Overall war bis auf die Farbe ausnehmend hässlich. Aber was sollte ich dagegen tun?

Ich setzte mich auf den Platz gegenüber von Vater, dessen Brille wie immer schief auf der Nase saß. Er legte seine Arme auf der Tischkante ab und lächelte mich über die Brötchen hinweg an. „Na, guck sich das einer an. Das es schon so weit ist. Ich fühle mich, als hätte ich dich erst gestern zum ersten Mal im Arm."

Beschämt senkte ich den Kopf. Ich wollte ihn nicht darauf aufmerksam machen, dass das schon beinahe 2 Jahrzehnte her war.

Er lächelte mich mit Stolz im Gesicht an. Seine braunen Haare hatten im Licht des Tages einen gesunden Glanz. „Vielleicht werden wir sogar Kollegen, was?"

Nein, das glaubte ich nicht. Mein Vater arbeitete im Archiv der Regierung. Dafür hätte ich schon ein echter Streber in den Hauptfächern sein müssen. Ich war nicht schlecht, aber es würde für diese Abteilung nicht reichen.

Ich erwiderte sein Lächeln. „Ja, vielleicht."

Mutter setzte sich neben ihn und stieß ihn liebevoll in die Seite. „Nein, sie wird schon meine Kollegin", witzelte sie.

Ich senkte den Kopf. Bei all den Jobs, die es da draußen gab, war ihr Beruf einer, der auf meiner Liste im unteren Mittelfeld stand. Sie war Datenerfasserin im Biologielabor. Nicht das Schlimmste auf der Welt, aber sterbenslangweilig.

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