Kapitel 6 Brutus

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Die Gruppenleiterin setzte uns auf die Stühle und verschwand. Sie lief durch den Raum und verließ ihn durch eine Tür gegenüber derjenigen, durch die wir kamen. Wir blieben allein. Unsere Gruppe sah sich an. Jeder blickte zu einem anderen.

Ich wurde von Brutus ins Visier genommen. Er war immer der Größte an unserer Schule. Ich bin mir sicher, dass seine Oberarme einmal Oberschenkel hätten werden sollen. Sein stoppeliges Haar ist blond und so kurz, dass man es kaum erkennt. Mit stahlgrauen Augen rümpft er die Nase.

„Wie kommt so ein halbes Hemd, wie du hier her?" Seine Stimme ist tief, brummig und abfällig. Es fehlt nur noch, dass er in meine Richtung ausspuckt.

So ganz verübeln, kann ich ihm seine Reaktion auch nicht. Leute wie er trainieren seit Jahren für die Patrouille. Meist wissen sie schon früh, dass sie hier her wollen, und arbeiten gezielt mit Muskeltraining und Cardio daraufhin. Und ich? Ich habe keine Ahnung, wo ich eigentlich hin wollte. Nur durch Zufall bin ich hier. Das kann auf jemanden, der hart gearbeitet hat, um auf diesen Stuhl zu sitzen, schon bitter wirken. Aber seine Frage kann ich ihm nicht beantworten.

Nach dem Ruhm und der Ehre der Patrouille habe ich nie gestrebt. Wenn ich jetzt so darüber nachdenke, hätte ich mir eher ein ruhiges Leben gewünscht. Auf einmal erschienen mir die Jobs meiner Eltern nicht mehr ganz so verkehrt wie noch heute Morgen.

Ich wollte keinen Ärger, deswegen senkte ich meinen Kopf. Brutus wollte einen Streit vom Zaun brechen. Das verrieten mir die pulsierenden Adern auf seinen Armen. Auch sonst konnte ich mich noch gut erinnern, dass er jeden verprügelt hatte, dessen Blick ihn streifte. Es war also besser ihn zu ignorieren. Im Normalfall ließ er dann locker. Dieses Mal allerdings nicht. „Ich rede mit dir", fauchte er und stieß mich gegen die Schulter.

Das reichte. Nur weil er größer und stärker als ich war, konnte er sich nicht alles erlauben. Schon gar nicht mit mir. Ich mochte ein ruhiger Mensch sein, aber ich war kein Fußabtreter.

Mit einem Ruck hob ich meinen Kopf. Mein Blick traf seinen. Ich zeigte ihm deutlich, dass er mir keine Angst macht. „Ich aber nicht mit dir!"

Brutus sprang auf und baute sich vor mir auf. Seine Arme angewinkelt, als würde er Bücher transportieren, stützte er sich auf meine Armlehnen. Sein Atem schoss mir ins Gesicht und roch nach Kaffee. Mit geblähten Nasenflügeln fehlte noch, dass er knurrte. „Das solltest du aber besser. Leute wie dich zerquetsche ich nur mit meinem Daumen!"

Ich schaute ihn direkt an. Nein, das würde bei mir nicht funktionieren. Er stellte meine Anwesenheit hier in Frage. Selbst ich tat das, aber die anderen sollten mich nicht so sehen. Ich wollte nicht vor allen wie ein Fehler im System dastehen.

Ich zog die Augenbrauen zusammen. Meine Arme verschränkte ich vor der Brust und reckte das Kinn herausfordernd vor. „Versuchs doch."

Sofort kam Bewegung in ihn. Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Corab Anstalten machte aufzustehen. Er war aber zu langsam. Brutus richtete sich auf, ballte die Fäuste und holte aus.

So schnell ich konnte, duckte ich mich unter seinen Schlag weg. Es klappte. Alles was er mit einem dumpfen Knall traf, war die Wand knapp über meinem Kopf. Er schrie vor Schmerz auf. Mit einer schnellen Bewegung zog er seine Faust zurück. Brutus holte erneut aus.

Ich stemmte mich mit den Händen auf der Armlehne ein Stück nach oben. Mit neuem Halt trat ich mit aller Kraft gegen sein Bein. Mein Fuß landete knapp unter seinem Knie. Es zwang ihn, seine Balance wieder finden zu müssen. Einen Augenblick stand er wankend da.

„Was ist hier los?", zitterte eine alte Stimme durch den Raum.

Brutus hielt sofort inne und drehte sich noch in der Bewegung um.

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