Kapitel 3 Einteilung

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„Ich freue mich, euch am heutigen Tag willkommen heißen zu können." Der Direktor begann seine Ansprache mit großen Gesten. Ich konnte nicht sagen, ob das an der Bühne lag oder ob ihm einfach nur theatralisch zu Mute war. Die Schulterpolster in seinem Jackett verrutschten ein wenig. Mit einer weiteren Bewegung rückte er sie wieder zurecht. „13 Jahre. Ich kann es gar nicht glauben, dass es schon wieder 13 Jahre her ist. Auch wenn ich mich noch an eure Einschulung erinnern kann, ist es heute an der Zeit euch der Prüfung zu unterziehen."

Ich schaute über meine Schulter. Mehrere Fremde standen im hinteren Teil des Raumes und sahen nach vorn zur Bühne. Ich war nah genug am Direktor um seinen tiefen Atemzug zu hören. Er verschränkte die Hände vor dem Bauch, als ich mich zurückdrehte.

9. Es waren 9 Fremde gewesen. Alle in demselben, nichtssagenden, grauen Overalls. Ich fragte mich, warum es genau 9 waren. Aber vielleicht hatte das auch überhaupt nichts zu sagen und ich wollte mich nur von dem Druck auf meinen Schultern ablenken lassen.

„Ich will eure und die Zeit der Prüfer nicht länger in Anspruch nehmen als nötig. Ihr sollt nur wissen, dass ich sehr stolz auf euch bin. Selten hatten wir einen so erfolgreichen Abschlussjahrgang. Euer Notendurchschnitt ist der höchste seit Jahren."

Ich atmete durch die Nase aus. Wir waren alle toll. Das war sicher etwas, dass er immer sagte. Mich konnte er damit nicht meinen. Ich war gerade einmal Mittelfeld. Die anderen konnten sich eine Feder an den Hut stecken. Etwas, auf das ich erst einmal verzichtete.

„Ich rufe euch nun dem Alphabet nach auf und gebe euch euer Erkennungsband. Wenn alle ihr Band haben werdet ihr von euren Gruppenleitern abgeholt und geprüft."

Es war gut, zu wissen, wie es ablaufen würde. Jedenfalls bis zu einem gewissen Grad. Trotzdem wurden die Handflächen nass und es war mir unmöglich, noch ruhig zu sitzen. Es fiel mir schwer, mich so weit zu konzentrieren, dass ich wenigstens meinen Namen hören konnte. Als er endlich aufgerufen wurde, dachte ich, dass ich viel zu spät reagierte. Aber das war sicher Einbildung.

Ich stand auf, und versuchte die klammen Hände irgendwie zu verstecken. Aber der Overall hatte an der Seite nicht einmal Taschen. Ich verschränkte sie hinter meinen Hüften. Das mochte komisch aussehen, aber vielleicht wirkte ich dadurch etwas selbstbewusster, als ich mich fühlte.

Der Direktor streckte mir die Hand aus und ich hatte Panik. Wie sollte ich ihn denn die Hand geben?

Auch wenn sie triefend nass war, wollte ich es mir nicht anmerken lassen. So viele Augenpaare, hatte ich noch nie auf mir gespürt. Ich wollte mich nicht in die Nesseln setzen. Mich nicht blamieren.

Der Direktor griff nach meiner Hand und schüttelte sie. Er hatte sogar sowohl Tatgefühl für mich übrig, sie hinterher nicht an seinem Jackett abzuwischen. Er händigte mir ein silbernes Band aus großen Kugeln aus.

Das Metall war kühl in der Hand. Ich drehte es in den Fingern, als ein Bild aufploppte. Es war auf einer Platte zwischen den Kugeln. Dort prangte ein Oval, das das Bild eines mehrzackigen Sternes zeigte. Inmitten dieses Sterns war eine Form, die ich nicht erkannte. Es hatte oben drei Spitzen und lief nach untern auch zu einer zusammen. Aber nicht direkt. Eher durch zwei Kurven.

Ohne weiter darüber nachzudenken band ich mir das Armband um. Es wog ein wenig schwerer, als ich erwartet hätte. Aber es störte nicht wirklich.

Ich verließ die Bühne auf der anderen Seite und setzte mich auf meinen Platz zurück. Nach mir waren noch einige Schüler mehr dran. Auf die Bühne gehen, Armband anlegen, zurückmarschieren. Das wiederholte sich immer wieder und machte mich auf eine seltsame Art müde. Es ließ den Kopf schwer werden und meine Gedanken abdriften. Sie hingen weit in der Ferne. Für mich außer Reichweite.

Erst als mir jemand von hinten auf die Schulter tippte, war ich wieder vollkommen da. Es war Corab. Ich kannte ihn aus Mathe und Geografie. Seit ich denken konnte, saß er mit seinen dichten, braunen Locken in diesen Fächern irgendwo hinter mir. Schon immer war er lauter und vor allem beliebter als ich.

„Hey, Faye. Was ist auf deinem drauf?" Seine Stimme war freundlich, doch ganz am Rande schwang Aufregung mit. Sie brachte die einzelnen Worte zum Zittern und beinahe kippte sie.

Mit leuchtenden Augen sah er mich an. Das kantige Gesicht stand in einem aufgeregten Winkel zu mir.

Ich war noch nie so gut mit Worten und wusste von einem Teil des Bildes sowieso nicht, wie ich es nennen sollte. Deswegen hob ich mein Handgelenk. Er griff danach und zog es dichter in sein Blickfeld. „Wie krass. Guck mal!", rief er aus.

Er ließ mein Handgelenk los und streckte mir seines hin. Es war eine Muschel. Eine aufgeklappte Auster, wenn ich mich recht an den Biologieunterricht erinnerte. Aber anstatt einer Perle befand sich dasselbe Symbol in ihr, wie bei mir.

Er zog sein Handgelenk zurück. „Was das Schild wohl bedeutet?"

Jetzt traf es mich wie ein Schlag. Ein Schild. Wie konnte ich das nicht erkennen? Wir hatten in Geschichte ab und an die stilisierte Form eines Schildes gesehen. Sowas sollen ganz früher die Ritter zur Verteidigung eingesetzt haben. In welchen Zusammenhang es in diesem Moment stand, konnte ich nicht sagen. Vielleicht sollte es den Prüfern zeigen, dass wir eher passiv eingestellt waren oder etwas in der Art.

„Ich habe keine Ahnung. Aber bestimmt finden wir es bald heraus." Ich sprach leiser, als ich es vorher gewollt hatte. Mit gesenkten Kopf drehte ich mich wieder um. Ich wollte Corab nicht weiter nerven.

Er allerdings kletterte über den Sessel, der zwischen uns lag und ließ sich neben mir nieder. „Vielleicht sind wir sogar in einer Gruppe.

Ich nickte. Das war gut möglich. Doch bevor mir eine passende Antwort einfiel, kam ein weiterer Fremder Mann auf die Bühne. Er war groß und kräftig. Obwohl er deutlich jünger, als der Direktor war, funkelte auf seinem Kopf eine Glatze. Der Vollbart hingegen war dicht und rot. Sein Kiefer mahlte wie Mühlsteine, als er in unsere Runde sah. Mit auf dem Rücken verschränkten Händen, stand er so gerade da, wie der Stock aus dem Scheiterhaufen.

„So, jetzt geht es los. Meine Kollegen in den hinteren Reihen sind eure Gruppenleiter. Auf ihrer Uniform haben sie eines der Symbole eures Armbandes. Begebt euch nun zu eurem Gruppenleiter. Alles Weitere erfahrt ihr von ihnen."

Bewegung kam in den Raum. Schüler gingen durcheinander und schlichen auf den einen oder anderen Fremden zu. Selten fand jemand auf Anhieb denjenigen, den er suchte. Es war immer noch relativ dunkel und man musste nah ran, um überhaupt etwas zu sehen.

Ich sah Corab an. Er blickte zurück und lächelte mich breit an. „Dann wollen wir mal, was?"

Ich nickte. Wir richteten uns auf und machten uns auf den Weg in den hinteren Bereich der Aula. Die Gruppenleiter standen in reih und Glied. Als Erstes trafen wir auf jemanden mit einer Truhe auf der Brust. Er war klein und kahlköpfig, aber nicht unser Mann. So freundlich er auch aussah, wir mussten gehen. Schade, das wäre sicher nicht die schlechteste Gruppe gewesen.

Nummer zwei trug das Abbild eines Zuges. Schlank und drahtig stand er vor uns. Mit einem missbilligenden Blick seinerseits gingen wir weiter.

Die dritte war eine beeindruckende Frau. Sie war groß und vollbusig. Ihre Schultern breit, sah sie uns an.

Ich machte einen Schritt nach vorn und sah das Schild auf ihrer Brust. Das war sie. Definitiv. Eine Narbe zog sich über ihr rechtes Auge bis beinahe zum Mundwinkel. Ihr Blick war fest und kalt wie Eis.

„Armband!", blaffte sie uns an. Corab trat an mir vorbei und nahm mir die Bürde ab als erstes mein Handgelenk zu heben. Sie nickte, als sie seines unter die Lupe nahm. Da fiel es mir auf. Auch Corab war groß. Beeindruckend groß wie die Frau. Und hier stand ich. Klein und leicht zu übersehen und sollte in dieselbe Gruppe gehören?

Nichtsdestotrotz hob auch ich mein Armband. Ihr Kopf zuckte einmal nach vorn. Corab und ich stellten uns hinter sie. Wir warteten gemeinsam, wer noch zu uns gehörte. Ich schaute stumm dabei zu, wie alle anderen ihre Gruppen fanden. Immer mehr Jungs gesellten sich zu uns. Nur zwei weitere Mädchen kamen zu uns.

Alle hatten allmählich ihren Gruppenleiter gefunden und wir wurden gebeten der Frau, die sich nicht vorstellte zu folgen.

Ihr schwarzes Haar war in einem hohen Pferdeschwanz. Er flog durch die Luft, als sie sich umdrehte.

Ich seufzte. Das konnte ja eine schöne Prüfung werden.

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