Ich kratzte mich am Kopf und stand auf. Als eine der letzten verließ ich die Bahn. Mit einem Blick durch die Menge versuchte ich, Ivy auszumachen. Aber sie war nirgends zu sehen. Ihr rotes Haar war vollkommen aus meinem Sichtfeld verschwunden. Das sah ihr gar nicht ähnlich. Normalereise blieben wir noch eine Weile hier und unterhielten uns.
Stattdessen fand ich mich in dem Meer aus anderen Schülern wieder. Die normale himmelblaue Uniform sah ich überall. Nur ein paar Wenige trugen das dunklere Blau. Es waren die Jugendlichen des Abschlussjahres. Alle von ihnen würden heute dasselbe durchmachen müssen, was ich vor mir hatte.
Die Beleuchtung über unseren Köpfen flackerte. Morgens tat sie das besonders gerne, wenn alle aufwachten und das Licht andrehten. Das Netzwerk hielt dem stand, aber ohne ein Flackern schaffte es die plötzliche Belastung nur selten.
Die Luft war frisch. Nicht so stickig, wie an vielen anderen Tagen. Die Stadt hatte sicher gerade die Filter der Belüftung gewechselt.
Das Gaplapper der Schüler wurde von den Betonwänden wiedergeworfen. Es hörte sich dumpf an. So als wäre es wie ein Echo aus weiter Ferne.
Ich drückte mich durch die Reihen der Anderen. Ivy war schon lange die einzige Freundin, die ich hatte. Leute in unserem Alter fanden uns komisch. Das lag vermutlich daran, dass wir beide eher schüchtern waren. Trotzdem hatte ich mich nie allein gefühlt. Beim Essen, im Sport und in Gruppenarbeiten war sie immer für mich da gewesen und ich für sie.
Mit gesenkten Kopf passierte ich das große Tor des Schulgebäudes. Es stand offen, so das die Verzierungen nach innen zeigten. Sie erinnerten mich an Ranken. Vielleicht Efeu oder so. Biologie war nicht meine Stärke. Ich hatte es mehr mit Sprache, Sport und Kunst.
Die Hallen waren noch leer. Kein Wunder, wenn die Schüler draußen herumstanden und sich unterhielten.
Mit einem Seufzen blieb ich vor meinem Spind stehen. Das war auch alles, was man in der Halle zu sehen bekam. Spind nach Spind nach Spind. Nach ungefähr zwanzig der Metallschränke wurde das Bild durch eine Tür zu einem Klassenraum abgelöst. Am Ende des Ganges führte der Weg nach rechts in die Aula. Drehte man sich nach links, kam man in die Turnhalle. An der Stirnseite schlängelte sich die große Metalltreppe in den zweiten Stock, der ein Abbild von diesem hier war. Monoton und langweilig, wenn man mich fragte. Aber das war eine Schule. Sie sollte sicher gar nicht ansprechend aussehen. Bestimmt sollte sie ihren Dienst tun und mehr nicht.
War mir auch vollkommen egal. Besonders an diesem Tag. Ich hatte ganz andere Sorgen. Meine Zukunft zum Beispiel. Oder was wohl bei der Prüfung passieren würde.
Erst jetzt fiel mir etwas ins Auge. Dort vor der dunklen Vertäfelung einer der Türen mit Milchglasscheibe hing ein Zettel. Er war rot. Knallrot, so dass er sofort ins Auge fiel.
Ich ignorierte meinen Spind und ging zu ihm. Darauf war vermerkt, dass sich alle Prüflinge in der Aula einfinden sollten. Ohne Bücher oder andere Utensilien. Wir sollten dort ohne irgendwelche Hilfsmittel abwarten, bis wir aufgerufen wurden.
Ich zuckte mit den Schultern und fügte mich dem Schicksal. Mit langsamen Schritten ging ich die graue Halle mit ihren braunen Türen runter. Kurz vor der Treppe hielt ich inne und zog den Duft der Vergangenheit durch die Nase. 13 Jahre. Heute würde dieses Kapitel in meinem Leben geschlossen werden. Es würde abgeschnitten werden, als wäre es nie passiert. Alles was sich in den Fluren ereignet hatte, floss mir durch die Hände. Danach würde nie mehr jemand fragen, wenn ich meinen Job angetreten hatte.
Diese Jahre sollten eine Vorbereitung auf das Leben als Erwachsene sein. Doch mit wem konnte ich reden, wenn ich mich nicht bereit fühlte? Interessierte das überhaupt jemanden in unserem System?

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Ins Licht
AcciónFaye ist 19 Jahre alt. Sie sieht sich einem Umbruch in ihrem Leben gegenüber. Die Prüfung steht bevor und sie wird in ihre Berufsgruppe einsortiert. Doch was ihr neues Leben ihr bereit hält, hätte sie niemals gedacht. Aber was wird aus ihrer Familie...