Kapitel 6

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Am nächsten Morgen eilen die Mitarbeiter beschäftigt hin und her. Jeder ist hier. Bloß Ash kommt nicht. Jedes Mal wenn jemand an meinen Gittern herumschleicht, hebe ich meinen Kopf und lasse ihn enttäuscht wieder zwischen meine Pfoten fallen, weil es nicht mein Betreuer ist. Auch etwas anderes ist heute komisch. Vor meinem Käfig steht niemand. Nur Mitarbeiter laufen daran vorbei, bleiben aber nicht stehen. Kein Besucher kommt um mich anzugucken. Verwirrt stehe ich auf und begebe mich zu den Gittern. Dort bleibe ich stehen und setzte mich auf mein Hinterteil.

Es herrscht geschäftiges Treiben überall. Drüben beim Panther stehen kleine Kinder an der Scheibe und klopfen. Nebenan läuft der Puma einem anderen hinterher. Nur bei mir herrscht gähnende Leere

Ich genieße es. Endlich kann ich mich mal ungestört bewegen, ohne dass jemand sofort ein Foto macht.

Ein kleines Kind bleibt vor einem rot-weisen Band, etwa fünf Meter von mir entfernt, stehen. Das kleine Mädchen sieht mich an und sagt keinen Laut. Es kommt jedoch nicht näher. Dann muss dieses Band wohl eine Absperrung sein. So kommt keiner zu mir. Vielleicht war es ja Ash, der dieses Band gezogen hat. Aber wieso kommt er nicht zu mir? Das Mädchen bekommt auf einmal ganz riesige Augen. Ich wundere mich. Was ist denn jetzt so spannend, dass sie ihre Augen aufreißen muss. Kann sie so besser sehen? Ich blinzle verwirrt mit den Augen und lege meinen Kopf schief. Ängstlich zeigt sie neben mich. Ich drehe meinen Kopf und sehe Mr. Hase anhoppeln. Der traut sich was.

Gelangweilt schaue ich wieder hinaus. Das Mädchen ist verschwunden. Auf ihrem Platz steht jetzt ein großer Mann, der einen Schreibblock in der Hand hält. Hinter seinem Ohr steckt ein Kugelschreiber. Wahrscheinlich ein Reporter. Hier waren schon so viele. Ich kann sie schon längst nicht mehr auseinander halten. Möglicherweise sucht er nach einem Skandal. Den kann ich ihm geben.

Langsam stelle ich mich auf meine vier Pfoten. Der Reporter zückt seine Kamera um möglichst nichts zu verpassen. Mein Kropf dreht sich zum Hasen. Ein kleiner Happen für zwischendurch schadet niemandem. Schließlich soll ich ihn ja fressen.

Der Hase hoppelt schnell davon, so als wüsste er was ich vorhabe. Doch weit kommt er nicht. Hinter ihm ist die Wand, neben ihm Gitter und Fels und von vorne komme ich. Er hat keinen Ausweg, guckt dem Tod direkt ins Auge. Doch etwas in meinen Augen muss ihm verraten haben, was ich wirklich vorhabe, denn seine Haltung entspannt sich etwas. Ich gucke noch einmal zu dem Mann im Anzug, dann springe ich mit einem Satz auf den Hasen zu, senke den Kopf, reiße meinen Kiefer auf und lecke dem Hasen einmal über den Kopf. In dem Moment blitzt die Kamera auf und hält diesen Moment für immer fest.


Hinter GitternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt