Kapitel 2

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Eines Tages wird die Glasscheibe vor dem Gitter entfernt. Die Zoowärter meinen, dass ich nicht gefährlich bin, da ich den ganzen Tag in der Ecke liege und auf nichts reagiere. Am Anfang passen immer noch ein paar Zooleute auf, dass ich nicht aggressiv werde, dadurch dass ich jetzt alles noch lauter wahr nehme. Aber ich bleibe liegen. Mein Essen rühre ich nicht an. Sollen die Leute doch gucken.

Es werden noch unzählige Kameras installiert um sicher zu gehen, dass niemand seine Hand durch das Gitter steckt. Alles Vorsichtsmaßnahmen da ich ja so gefährlich bin und jeden Menschen auffresse, der mir auch nur zu nahe kommt.

Dann ist es so weit. Der Tag an dem ich einen vernünftigen Menschen erblicke. Es ist ein Junge. Fast erwachsen. Steht nur so rum mit den Händen in den Hosentaschen. Wartet wahrscheinlich darauf, dass ich mich blutrünstig auf mein Essen stürzen werde. Denn das erwartet jeder, der kommt und zuschaut. Alle drängen sich auch diesmal möglichst dicht an das Gitter. Nur das Gitter trennt mich von den Leuten unter denen ich früher glücklich umher spaziert bin. Und keiner ahnt auch nur ein Bisschen von dem, was ich durchgemacht habe.

Mit einem leisen Quitschen öffnet sich die Verriegelung meines Geheges. Die Tür wird aufgestoßen. Mein Betreuer kommt mit einem Eimer in der Hand in meine Richtung. Er entleert ihn und das Fleisch, welches mir Übelkeit bereitet, kippt auf den Boden. Der Betreuer sieht mich noch einmal besorgt an und kehrt mir den Rücken und geht hinaus. Lässt mich hier allein. Wie jeder andere auch. Sie sorgen sich doch nur um das Geld. Der Rest ist ihnen egal. Bald wird ihr schwarzer Löwe wohl nicht mehr interessant sein. Vielleicht schicken sie mich ja wieder in die Freiheit, was ich kaum zu hoffen wage. Ich schnappe ein paar Satzfetzen wie: „Ich dachte der wird gefressen" und „Boah, war der mutig" auf.

Sie werden heute nichts zu sehen bekommen. So wie gestern und vorgestern und unzählige Tage davor. Ich bleibe einfach liegen. Ich habe Zeit. Sie nicht. Wahrscheinlich ist der Puma oder Tiger nebenan spannender. Sollen sie doch dahin gehen. Die bewegen sich wenigstens.

Hinter GitternWo Geschichten leben. Entdecke jetzt