1. Kapitel (1)

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Hinter uns erstreckte sich der Highway ins Unendliche. Wir hatten Apache County erreicht, den nordöstlichsten Teil des US-Bundesstaats Arizona. Weit und breit gab es nichts zu sehen – außer kargem braunem Wüstenboden und den kugeligen Kakteen, die man Teufelsklauen nannte.

Und uns: zwei siebzehnjährigen Mädchen in einem knallpinken Cabrio.

Meine Freundin Belinda saß am Steuer. Mit der übergroßen Sonnenbrille und dem Seidenschal, der ihre knallrot gefärbte Lockenmähne verbarg, ähnelte sie Susan Sarandon in Thelma & Louise, einem Roadtrip-Movie aus den Neunzigern, das uns gestern Abend einen Vorgeschmack auf die heutige Autofahrt gegeben hatte. Ich saß neben ihr und meine rötlich-blonde Haarfarbe war, im Gegensatz zu Belindas, echt – trotzdem hätte mich niemand für Geena Davis aus demselben Film gehalten. Als Schutz vor dem Fahrtwind trug ich einen Strohhut mit breiter Krempe und Seidenband am Kinn. Er stammte von Mikko Moh, unserem jungen Lieblingsdesigner, doch es war nicht mein allerbester Look.

Belinda warf mir einen abwägenden Seitenblick zu. Verglich sie das Bild, das sie von mir hatte, mit der kargen Wüstenlandschaft? Ein bisschen bereute ich jetzt schon, dass ich sie für den Sommer zu mir nach Hause eingeladen hatte. Belinda kam aus einer anderen Welt, ihre Eltern besaßen ein Penthouse inklusive eigenem Lift in New York City – einer Metropole mit mehr als acht Millionen Einwohnern! Mein Heimatstädtchen Hillings bestand aus ein paar Häusern, keinen Shopping Malls und keinem Broadway, ja, nicht einmal einem Park. An Belindas Stelle hätte ich die Einladung abgelehnt.

»Faye, Darling, ich will meinen Horizont erweitern«, hatte sie mir in einer gedehnten Imitation meines Südstaatenakzents versichert. »Und wer weiß, vielleicht angle ich mir bei euch einen süßen Cowboy oder Indianer?«

»Beides gleich unwahrscheinlich«, hatte ich entgegnet. Nicht weil ich Belindas Flirtfähigkeiten misstraute, sondern weil es in Hillings weder Cowboys noch Indianer gab. Die Pächter unserer Farmen waren alte Männer, sie bauten Bohnen, Kürbisse und Kartoffeln an – was, wie mir Belinda zugestimmt hatte, alles andere als sexy klang. Und obwohl acht von zehn Einwohnern des Apache Countys Indianer waren, lebte kein einziger in Hillings. Außer man zählte die Familie Crocker, in deren Adern angeblich indianisches Blut floss.

»Wie weit noch?«, unterbrach Belinda meine Gedanken.

Durch die Sonnenbrille musterte ich den Highway. Er verlief zu einer Hügelkuppe mit dem Namen The Ridge und führte dahinter in eine Senke, The Dip. Hillings lag am Ende des Dips.

»Wir sind gleich da.«

Belinda trat abrupt auf die Bremse und fuhr rechts ran. Das Motorengeräusch erstarb.

»Bell, was ...?«

Sie öffnete die Tür und stieg aus. Ohne den Fahrtwind nahm uns die Nachmittagshitze sofort gefangen. Erbarmungslos brannte die Wüstensonne herab und anstelle des Cabriomotors hörte ich zum ersten Mal seit langem wieder den schrillen Gesang der Zikaden.

Ich verrenkte mir den Hals, um mich umzuwenden. Belinda stand hinter dem geöffneten Kofferraum. »Was tust du?«

»Na, mich frisch machen. Oder glaubst du, ich trete deinen Eltern so unter die Augen?« Theatralisch verzog sie das Gesicht.

War das ein Witz? Bevor ich fragen konnte, beugte sie sich über ihr Gepäck und hielt mir zwei Designerfummel entgegen. »Für den ersten Eindruck: das grüne Kleid oder das weiße?«

»Das weiße – aber willst du dich mitten auf dem Highway umziehen?«

Sie warf mir einen mitleidigen Blick zu. »Darling, wir sind nicht in New York.« Sie hatte recht, statt acht Millionen Menschen umringten uns nur Kakteen und rotbraune Felsen. Trotzdem.

Unbekümmert zerrte sich Belinda ihr pinkes Seidenkleid über den Kopf. Dazu trug sie beige Kalbsleder-Pumps von Mikko Moh, ich die gleichen in Weiß mit einem echt schrägen blau-gelben Spiralmuster. Allein für die Schuhe hatte ich mein monatliches Kreditkartenbudget um zweihundert Dollar überschritten, doch Belinda hatte mir versichert, dass sie es wert waren.

Als ich Mom am Telefon wegen der Rechnung vorgewarnt hatte, war sie weniger begeistert gewesen. Sie hatte mir ihre übliche Predigt gehalten: Mein Bruder Baron und ich müssten den verantwortungsvollen Umgang mit Geld lernen, bla, bla, bla – als würde nicht jeder von uns später halb Hillings erben und nur noch in Tausend-Dollar-Beträgen rechnen! Zum Glück hatten weder Belinda noch Jasper bei dem Telefonat mitgehört. So ein Drama wegen Schuhen im Wert von zweihundert Dollar! Belindas Dad hatte ihr das Cabrio zum Geburtstag geschenkt und nicht mit der Wimper gezuckt, als sie auf weiße Ledersitze und die knallig pinke Speziallackierung bestanden hatte.

Kaum war Belinda in das weiße Kleid (ebenfalls von Mikko Moh) geschlüpft, kreischte sie los: »O mein Gott!«

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