2. Kapitel (2)

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Meine Hoffnung schwand mit jeder Sekunde. Vorn im Lokal saßen wieder alte Leute. Nur einer der Pooltische war besetzt, zwei Jungs – nicht Chase und Dodge – spielten dort. Es war auch noch sehr früh, nicht mal dunkel. Musste Chase in den Ferien arbeiten? Ich hatte ihn nicht gefragt.


»Worauf wartest du?« Belinda zog mich zum Pooltisch. Die Musik war heute leiser. »Wir sind hier und wollen Spaß haben!«

»Das ist dein Lebensmotto, oder?«, gab ich halbherzig zurück.

Sie ließ meinen Arm los. »Hast du vor zu schmollen, bis dein Junge aufkreuzt? Das wäre nämlich das sicherste Anzeichen dafür, dass du in ihn verknallt bist.«

Mir blieb keine Wahl: Ich setzte ein Lächeln auf. Aber es war eben nur das – aufgesetzt. Stumm nippte ich beim Pooltisch an meiner Cola, während »Faye« mit den Spielern flirtete. Beide sahen einigermaßen gut aus, der kleinere warf mir sogar interessierte Blicke zu, doch ich gab auf seine Fragen nur einsilbige Antworten. Immer wieder wandte ich mich zur Tür um.

Chase kam nicht.

Der Bartender drehte die Musik lauter. Ein Countrysong schallte durchs Lokal, und obwohl Belinda Country genauso wenig ausstehen konnte wie ich, ließ sie sich von dem größeren der Pooljungs zu einem Tänzchen überreden.

»Dabei bist ja eigentlich du die Tänzerin von uns beiden«, bekam ich einen Seitenhieb ab. Es stimmte – ich hatte an der Highschool als Freifach Tanz gewählt, sie den Drama-Club. Trotzdem wünschte ich mir, sie hätte die Klappe gehalten. Natürlich forderte mich der andere Pooljunge nun auf mit ihm zu tanzen.

»Nein, danke.« Ich hob zur Erklärung meine Cola. Auch Belinda wollte mich mitzerren. Ich wehrte alle Versuche ab und lehnte am Pooltisch, während sie sich von den beiden Jungs im Kreis wirbeln ließ.

Das war Belinda. Sie flirtete mit jedem und verliebte sich trotzdem nie. »Ich bin kein Mädchen für nur einen Jungen«, sagte sie gern. Gedankenverloren hob ich die Hand. Meine Finger suchten Jaspers Ring, den ich in der Highschool an einem dünnen Goldkettchen um meinen Hals trug. Erst als sie ins Leere griffen, erinnerte ich mich schuldbewusst daran, wie ich ihn gestern beim Umziehen vor unserem Barbesuch abgenommen und in meine Schmuckschatulle gesteckt hatte. Da lag er nun. Und bis zu diesem Moment hatte ich es nicht mal bemerkt.

Aber das mit Chase war trotzdem nichts.

Nur ein Spiel, bestätigte mir Belindas Stimme in meinen Gedanken. Wer sagt, dass er nicht genauso vergeben ist wie du? Ein freundschaftlicher Flirt hat nichts weiter zu bedeuten.

Der nächste Song begann, eine schnelle, rockige Nummer. Belinda winkte auffordernd zu mir rüber. Ich ignorierte sie und sah auf die Uhr. Schon nach sieben, wir sollten aufbrechen. Dinner um Punkt acht hieß bei meinen Eltern, dass alle Gäste spätestens eine halbe Stunde vorher im Speisezimmer erwartet wurden.

Und keine Spur von Chase. War es ein Fehler gewesen, noch einmal herzukommen? Mein Blick schweifte zur Bar. Ich könnte Chase als »Missy« eine Nachricht hinterlassen ...

Aber was um Himmels willen sollte ich schreiben?

Am Ende des Songs bedeutete ich Belinda, dass wir losfahren sollten. Sie verzog enttäuscht das Gesicht, sagte aber etwas zu den Jungs. Der größere fing an mit ihr zu diskutieren. Der kleinere tanzte ganz allein weiter. Ich wandte mich ab.

Die Tür schwang auf.

Chase! Sein Blick schweifte hoffnungsvoll durchs Lokal, und er lächelte, als er mich beim Pooltisch entdeckte. All meine Enttäuschung verwandelte sich in ... Erleichterung? Freude? Oder mehr? Es ist bloß eine Rolle, ein Spiel, ermahnte ich mich. Wenn ein Herz bei seinem Lächeln einen Schlag lang aussetzte, war es Missys Herz, nicht meins.

Dennoch eilte ich zu Chase, bevor ich wusste, was ich tat. An der Bar trafen wir uns.

»Hey«, begann er. »Du bist gekommen. Ich hatte gehofft ...«

Ahnte er, dass tausend Schmetterlinge in meinem Bauch tanzten? »Wir müssen los!«, platzte ich heraus. »Aber ich wollte dich sehen.«

Waren das Missys Worte? Oder meine?

Ich sah ihm die Enttäuschung an. »Jetzt schon? Wenn ich das gewusst hätte, wäre ich früher gekommen. Ich meine, ich hatte natürlich zu tun«, versicherte er mir rasch. »Aber trotzdem.«

Ich nickte. Sagte nichts vor lauter Angst, dass ich nur ein Krächzen herausbringen würde. Oder, noch schlimmer, etwas ganz furchtbar Peinliches wie: »Ich liebe dich. Lass uns heiraten!«

O Gott, hatte Belinda mit ihren Andeutungen recht?

»Hey, Crocker.« Hinter uns lehnte sich der Bartender über die Theke. »Kommt dein Bruder auch oder muss ich dich rausschmeißen? Ich glaube nämlich nicht, dass du über Nacht einundzwanzig ge...«

Mehr hörte ich nicht. Ich hatte Chase genauso wenig nach seinem vollen Namen gefragt wie er mich, aber nun wusste ich ihn.

Chase Crocker.

Ausgerechnet!

Erst als sich Chase wieder zu mir wandte, verklang das Rauschen in meinen Ohren.

»Schade, dass du nicht länger bleibst.« Er zögerte kurz. »Hättest du Lust, mich morgen auf unserer Farm zu besuchen?«

Ich öffnete den Mund. Sagte nichts und schloss ihn wieder. Was sollte, was konnte ich antworten?

Chase deutete mein Schweigen falsch. »Ist nicht weit von hier und auch ganz leicht zu finden. Wir liegen an der US-60 Richtung Südwesten. Frag einfach nach der Eden-Farm, die kennt jeder.«

Ich nickte stumm.

»Prima.« Chase lächelte. »Dann sehen wir uns morgen?«

Belinda und ihre beiden Pooljungs kamen auf uns zu. »Wir müssen wirklich los«, sagte ich zu Chase, schnappte mir die überraschte Belinda und zog sie an der Bar vorbei zum Ausgang.

Das Cabrio parkte direkt vor der Schwelle. »Steig ein«, zischte ich, doch Belinda ließ sich ewig lange Zeit. Schon schwang die Saloontür wieder auf.

»Komm! Bitte!«

»Warum hast du es denn plötzlich so eilig?«

»Weil es nach sieben ist«, log ich. »Wir kommen zu spät.«

Chase trat auf den Parkplatz.

»Hey, da ist dein Nur-ein-Spiel-Junge.« Mein Magen verknotete sich. Hatte Chase Belindas Bemerkung gehört? »Er hat nicht zufällig seinen Bruder mitgebracht?« Sie reckte den Hals.

»Bell!«, flehte ich sie an. »Bitte!« Endlich erkannte sie meine Verzweiflung und stieg ein. Wir brausten los. Im Vorbeifahren sah ich, wie Chase grüßend eine Hand hob.

Ich winkte nicht zurück.

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