2. Kapitel (4)

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Als Mercedes das Dessert servierte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen und schüttelte innerlich den Kopf. Wenn meine Eltern, Belinda und vor allem Onkel Tib wüssten, dass ich die ganze Zeit an einen Crocker dachte!


Es gab sopaipillas, frittierte Teigtaschen mit Honig, dazu Weintrauben und Blaubeeren, saftige rote Wassermelonenwürfel, Nektarinen und Pfirsiche. Onkel Tib fragte mich über meine Noten aus und Mom erwähnte, dass Belindas und meine Highschool vor Kurzem zur Zweitbesten in den Südstaaten gekürt worden war. Mit einem Abschluss von dort würde mich nächstes Jahr jedes College aufnehmen. Auch ein Grund, warum Mom und Dad mich hingeschickt hatten. Niemand wollte eine Wiederholung des Baron-Debakels.

»Und wo ist nun dein Junge, Faye Marissa?«, wechselte Onkel Tib abrupt das Thema.

Meinte er Chase? Woher wusste er ...? Hatte ich in meinen Tagträumen versunken Chase' Namen gemurmelt und es nicht mal bemerkt? Erschrocken wandte ich den Blick von der Schale mit den Melonenwürfeln und blickte in Onkel Tibs erwartungsvolles Lächeln. »Ich hatte gehofft, du würdest ihn uns vorstellen«, ergänzte er.

Jasper, bebegriff ich verspätet. Die Frage bezog sich auf ihn. Ich riss meine Gedanken hastig von Chase los und stammelte: »J-Jasper ist noch an der Highschool.«

Belinda kam mir zu Hilfe. »Die Schule hat für ihn und die anderen Footballspieler ein Trainingscamp mit den lokalen Profis organisiert.«

Dankbar nickte ich. So etwas konnte sich Jasper nicht entgehen lassen und daher war klar gewesen, dass er nicht mit mir nach Hillings käme. Ich hatte ihn gar nicht erst fragen müssen. Zum Glück! Jasper stammte aus Houston, einer der größten Metropolen der USA, und er hasste das Kleinstadtleben. »Abstoßend« und »erbärmlich« waren seine Lieblingsworte, wenn es darum ging, Kaffs wie mein Heimatstädtchen zu beschreiben.

Ganz so schlimm fand ich Hillings nicht, trotzdem war auch ich froh, dass wir später nicht hier wohnen mussten, wenn wir nicht wollten. Jaspers Eltern besaßen ein Sommerhaus am Lake Whitney, wo man Golf spielen und Wasserski fahren konnte, und ein Penthouse und eine Segeljacht auf South Padre Island an der Golfküste. Wahrscheinlich würden Belinda und ich in ein paar Wochen für den Rest der Ferien dorthin fliegen. Und nach der Hochzeit wäre ich ein Teil der Familie und könnte immer wieder mit Jasper auf der Jacht für ein Wochenende nach Mexiko segeln. In die Wüste Arizonas käme ich höchstens zu besonderen Anlässen zurück. Etwa, wenn mein Bruder wider Erwarten doch noch seinen Abschluss machte.

Das war der Plan. Jasper und ich, seine reiche Familie und meine, die perfekte Hochzeit, die perfekte Ehe. Warum nur verspürte ich bei dem Gedanken gar kein Kribbeln?

»Es ist aber doch ernst mit euch beiden?«, vergewisserte sich Onkel Tib.

Ich nickte eifrig. »Sicher. Er hat mir seinen Ring gegeben.« Den ich nicht trug, wurde mir klar, als meine Hand reflexartig zum Halsausschnitt des Kleids flog. Ertappt ließ ich sie sinken. »Ich kenne auch seine Schwester und seine Eltern«, Jaspers Mom hatte mich am Telefon sogar schon mal ihre Schwiegertochter genannt. Obwohl der Ring mit dem Kettchen in der Schmuckschatulle lag, glaubte ich sein Gewicht zu spüren.

Nach dem Essen folgte mir Belinda in mein Zimmer. »Raus mit der Sprache! Was ist heute mit dir los?«

»Gar nichts«, murmelte ich.

Sie ließ nicht locker. »Hat es mit Jasper zu tun? Weil er lieber mit dem Team abhängt als mit dir?«

Ich schüttelte den Kopf.

»Oder mit dem Jungen aus der Bar?«

Wieder schüttelte ich den Kopf. Diesmal schien es nicht zu genügen. Spiegelten sich meine Gefühle auf meinem Gesicht?

»Aha! Da ist also doch etwas zwischen euch.«

»Da ist nichts. Wie auch? Ich kenne ihn doch kaum.«

Belinda übertönte mich: »Faye, Darling, du solltest dich sehen. Wenn du das ›nichts‹ nennst, leidest du an Halluzinationen! Aber du hast Glück«, ihre Augen funkelten. »Ich weiß für Patientinnen wie dich die richtige Therapie.«

»Und die wäre, Dr. d'Argento?«

»Es gibt zwei Möglichkeiten. Nummer eins, du vergisst ihn und redest nie wieder ein Wort mit ihm.« Nein! Bloß das nicht, hätte ich am liebsten eingeworfen, doch ich beherrschte mich. Wer wusste, was ihr erst einfallen würde, wenn sie mich für unheilbar hielt?

Ahnungslos fuhr sie fort: »Nummer zwei, du triffst dich mit ihm auf ein paar Dates. Bis du dich satt gesehen hast und zur Vernunft kommst.«

Ich atmete auf. Das klang viel besser.

»Fragt sich nur, welche Therapie in deinem Fall am ehesten wirkt«, schloss Belinda. Sie musterte mich abwägend.

Bitte Nummer zwei! Die Vorstellung, Chase nie wieder zu begegnen, schnürte mir die Luft ab.

Belindas misstrauischer Blick verriet mir, dass sie mich durchschaute. »Okay, ja, vielleicht bin ich verknallt«, gestand ich ihr. »Nur ein bisschen! Aber das ist an der ganzen Sache nicht mal das Schlimmste.«

»Nicht? Was dann?«

Ich sank aufs Bett und vergrub mein Gesicht im Satinbezug des Kissens. »Er ist ein Crocker«, murmelte ich.

»Ein Crocker?« Belinda klang so begeistert, dass ich verdutzt den Kopf hob.

»Ja, genau, ein Crocker. Einer von ›den Crockers‹.« Belinda grinste mich an. »Was bitte ist daran so toll?«

»Na, eure verfeindeten Familien ... die Geschichte mit deiner Tante ... Du bist der Star einer modernen Version von ›Romeo und Julia‹!« Ihre Augen funkelten. Und dabei wusste sie noch nicht mal was von dem Fluch.

»Und was ist daran so toll? Ich will weder durch Gift noch durch einen Dolchstoß sterben. Erst recht nicht, bevor ich meinen Abschluss gemacht habe! Mom, Dad und Onkel Tib würden mich glatt ausgraben und ein zweites Mal umbringen.« Belinda gab keine Antwort. »Du weißt, wie die Geschichte bei Shakespeare endet«, bohrte ich nach. »Oder?«

Sie ignorierte meinen Einwand. »Du bist natürlich Julia. Dein Junge aus der Bar ist Romeo. In der Rolle des Paris: Jasper!«, verkündete sie mit großer Geste. Jasper war also der eifersüchtige Verlobte. Er würde begeistert sein.

»Und wen spielst du? Bruder Lorenzo?« Von dem kam, wenn ich mich recht erinnerte, der Plan mit dem Gift.

Belinda schüttelte den Kopf. »Ich dachte eher an Tybalt.«

»Julias Cousin, der Romeo töten will? Warum ...?« Noch während ich die Frage aussprach, ging mir ein Licht auf. »Er duelliert sich auf Leben und Tod mit Mercutio. Wer ist Mercutio – Dodge?« Belindas Lächeln genügte als Antwort.

»Sind bei diesem Duell nicht beide die Verlierer?«

»Darling, Dodge und ich finden sicher einen Weg, der uns zu Gewinnern macht.« Mit Schaudern sah ich vor mir, wie Belinda dem Drama-Club nach den Sommerferien ihre eigene Version von »Romeo und Julia« präsentieren würde. Eine, bei der Tybalt mit Mercutio flirtete, sodass selbst die Zuschauer in den letzten Reihen noch das Knistern spürten. Julia, von mir gespielt, stand irgendwo am Bühnenrand neben Paris alias Jasper in seinem Football-Dress.

Kaum aber stellte ich mir Chase als Romeo vor, sah ich wieder sein erwartungsvolles Lächeln und spürte das Kribbeln von tausend Schmetterlingen in meinem Bauch. Scheinbar hatte ich Belinda vorhin bloß die halbe Wahrheit gestanden. Ja, ich war verknallt.

Aber nicht nur ein bisschen.

***

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