1. Kapitel (7)

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»Hab dich noch nie gesehen. Neu hier?«


»Vielleicht, vielleicht auch nicht«, erwiderte Belinda mit einer perfekten Imitation meines – und seines – Akzents. Sie nickte in Richtung der Pooltische, ließ dabei ihre rote Mähne fliegen. »Du spielst?«

»Klar.« Der Typ grinste. »Nur leider verlässt mich gerade mein Glück. Glaubst du, es würde helfen, wenn mir die Glücksfee über die Schulter guckt?«

»Vielleicht, vielleicht auch nicht.«

Er lachte und bot ihr seinen Arm an. Belinda zögerte und ruckte mit dem Kinn in meine Richtung. Erst als ich den Daumen hob, um ihr zu zeigen, dass es okay war, ließ sie sich davonziehen.

Allein nippte ich an meinem Garantiert-kein-Cabernet-Sauvignon und sah den Poolspielern zu. Drei der vier trugen Overalls. Belinda wandte sich schon von dem ab, der sie eingeladen hatte, und schäkerte mit einem, der etwas besser aussah – wenn man auf Irokesenschnitt und haufenweise Piercings stand, was weder Belinda noch ich taten. Trotzdem oder gerade deshalb beneidete ich sie um ihr müheloses Flirten.

Die drei Overall-Typen, erkannte ich, spielten als Team. Sie schlugen einander nach jedem Stoß anerkennend auf die Schulter, witzelten miteinander und mit Belinda und nahmen die Partie nicht allzu ernst. Ihr gemeinsamer Gegenspieler war ein paar Jahre jünger als sie und schien zunehmend genervt. Er hatte lange schwarze Haare und trug als Einziger Jeans, dazu ein dunkles T-Shirt und – natürlich – ein offenes rot-schwarz kariertes Flanellhemd.

»Bist du neu in der Stadt?«, fragte jemand dicht an meinem Ohr.

Erschrocken fuhr ich herum und hätte fast den Rotwein verschüttet. Ich blickte in das lächelnde Gesicht eines Jungen, der ungefähr in meinem Alter war. Meinte er mich? Sonst stand niemand da!

»V-vielleicht?«, stammelte ich und hätte mich ohrfeigen können, weil das statt geheimnisvoll einfach nur blöd klang. Außerdem wollte ich doch nicht, dass mich jemand erkannte.

»Ich meine, ja«, ergänzte ich rasch. »Gerade erst angekommen.«

Er streckte mir die rechte Hand entgegen. »Ich bin Chase.«

Fast hätte ich mich als Faye Hillingsley vorgestellt. Zum Glück kam mir ein Geistesblitz. »Ich heiße Missy.« Es war keine wirkliche Lüge, Onkel Tib hatte mich bis zu meinem zehnten Geburtstag so genannt.

»Missy? Steht das für ›Mississippi‹ oder ...?«

»Einfach nur Missy«, übertönte ich ihn.

»Freut mich dich kennenzulernen, Einfach-nur-Missy.« Er trug Jeans und ein weißes T-Shirt und hatte zu meiner heimlichen Belustigung ein Flanellhemd um die Hüften gebunden. Seines war blau-weiß kariert. Das enge T-Shirt brachte seine Muskeln zur Geltung und mit den pechschwarzen Haaren und seinem dunklen, gebräunten Gesicht sah er aus wie einer von Belindas Indianern.

Oder wie ...

Ein jäher Verdacht: Konnte das Do sein, Lupes Enkel? Würde ich meinen Sandkastenfreund überhaupt noch erkennen?

Ich verwarf den Gedanken gleich wieder. Mich unter falschem Namen anzusprechen, wäre wohl kaum Dos Stil. Und um ehrlich zu sein, hatte er auch nie so gut ausgesehen.

»Was trinkst du?« Mit seiner Cola wies Chase auf mein Glas.

»Rotwein«, sagte ich und fügte hinzu: »Angeblich.« Ein Grinsen belohnte meinen Witz. War ich beim Flirten doch keine völlige Niete?

»Und was führt ein Mädchen wie dich in eine Bar wie diese?«

So harmlos der Spruch klang: Mein neu gefundenes Selbstbewusstsein verflog im Nu. Ich wusste genau, was Chase meinte, und wünschte mir, mein Jeanskleid sähe weniger nach Designerboutique und mehr nach Outdoor-Laden aus – wie die Klamotten aller anderen.

»Ich bin zu Besuch«, log ich. »Bei ...«

Chase folgte meinem Blick zu Belinda. Sie warf den Kopf zurück und lachte herzhaft über etwas, das einer der Overall-Typen gesagt hatte. Keiner der drei interessierte sich noch für den Pooltisch. Der vierte Spieler trommelte verärgert mit dem Queue an die Bande.

Chase schien Belindas Show-Cowgirl-Outfit witzig zu finden. »Lass mich raten: reiche Cousine?«

»Nein, Schulfreundin.« Er hob erstaunt eine Braue. Mist! Verplappert! »Ich, äh, habe ein Stipendium für eine private Highschool.«

»Gratuliere.« Chase lächelte, als meine er das ernst. Gleich darauf runzelte er die Stirn. »Du gehst zur Highschool? Also bist du noch nicht einundzwanzig, oder?«

Mit siebzehn durfte ich in Arizona nicht einmal ohne erwachsene Begleitung in einer Bar sein, geschweige denn Alkohol trinken. »Du etwa?«

CowboyküsseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt