1. Kapitel (5)

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Eine Lebensmittelvergiftung wäre sicher kein guter Start für Dads geschäftliche Beziehungen mit den d'Argento-Travers'.

***

Nach einem frühen Abendessen zogen sich Mom und Dad in den Salon und wir uns ins Obergeschoss zurück. Belinda folgte mir in mein Zimmer und sank aufs Bett.

»Was genau hast du deinem Dad über mich erzählt?« Sie drapierte ihre langen Beine in einer Modelpose.

»Ach, fast nichts«, tat ich ahnungslos. »Nur dass dein Spitzname Hell's Bells ist, du beim Schulball mit Oliver Livingstone und mit Sloane Leighton geknutscht hast und ein Tattoo auf der linken ...«

Wenn Blicke töten könnten, wäre ich glatt aus den Pumps gekippt.

»Gar nichts, großes Ehrenwort«, versicherte ich ihr. »Dad wollte bloß Eindruck schinden, weil er weiß, wer deine Eltern sind.«

Sie nahm das als Erklärung hin und schien besänftigt.

»Dein Onkel Tib, der morgen kommt – ist das der, dessen Frau weggelaufen ist?«, wechselte sie das Thema.

Als ich nickte, wurde ihr Lächeln schelmisch. »Darf ich ihn fragen, wie es ihr geht?«

»Nur, wenn du gleich wieder nach Hause fahren möchtest«, warnte ich sie. Was Tante Vera-Lynns Verschwinden anging, verstand mein Onkel keinen Spaß.

Sie lachte. »Sonst noch Themen, die ich meiden sollte, damit mich deine Eltern nicht auf die Straße setzen?«

»Die Eden-Farm. Und die Familie Crocker.« Onkel Tib verglich Letztere gern mit kläffenden Kötern, die einem Mann ans Bein pinkeln wollten. Meine Familie hatte Bürgermeister, Schul- und Stadträte hervorgebracht; Old Walker Crocker, der Inhaber der Eden-Farm, war in seiner Jugend ein Wanderprediger gewesen und sein Sohn Hitch hatte als Stunt-Reiter beim Zirkus gearbeitet.

»Ach ja: Und frag nicht, wann mein Bruder endlich seinen Abschluss macht«, fiel mir noch ein. Trotz Dads Einflussnahmen war Baron auch an seinem dritten College weit davon entfernt, die nötigen Kurse zu schaffen. Mein Onkel nannte ihn einen »Dummkopf« und manchmal sogar »schwachsinnig«, aber ich war mir sicher, dass sich Baron bloß so dumm stellte. Er liebte Partys und seine Studentenverbindung und hatte schlicht und einfach keine Lust, in Dads Kanzlei einzutreten.

Ich auch nicht, doch mir blieb es zum Glück erspart. Die Anwaltskarriere war in meiner Familie Männern vorbehalten. Ich würde natürlich auf ein Elite-College gehen, aber ich konnte studieren, was ich wollte – sogar Englisch, Literatur oder Philosophie –, denn mein späterer Job bestünde darin, mein Anwesen samt dem Haus- und Gartenpersonal zu managen, Smalltalk mit Besuchern zu machen und nebenbei so wie Mom und Tante Vera-Lynn im Vorstand irgendwelcher Wohltätigkeitsvereine zu sitzen.

Und möglichst nicht mit einem Mitglied der Familie Crocker durchzubrennen.

»Erde an Faye!« Eine perfekt manikürte Hand wedelte vor meinen Augen. »Was machen wir jetzt?«

»Äh, schlafen?« Es war kurz nach neun. »Oder fernsehen«, bot ich an. Beides klang gleich lahm, aber viel mehr gab es hier nicht zu tun. »Ich habe dich gewarnt: kein Broadway, keine schicken Restaurants und keine Clubs.«

Das trug mir einen ungläubigen Blick ein. »Du meinst, ganz Hillings hockt um neun vor der Glotze und geht dann ins Bett? Irgendwas muss hier doch los sein.«

»Im Stadtzentrum gibt es ein paar Bars.«

»Aber?«

»Wir gehen da nicht hin.« Die Menschen dort seien nicht der passende Umgang für uns, predigte Dad immer. Baron hatte sich mal in ein Lokal geschlichen und dafür Hausarrest bekommen.

»Weil?«

»Weil die Leute dort nicht der passende Umgang für uns sind?« Ich klang wie ein kleines Mädchen und hätte im Boden versinken können.

Belinda hielt meine Worte zum Glück für einen Witz. »Umso besser. Denk dran, du hast mir einen Cowboy oder Indianer versprochen.«

»Habe ich nicht«, hielt ich dagegen – aber sie sprang vom Bett.

»Worauf wartest du? Schwingen wir das Lasso, fangen wir uns einen Cowboy!«

Es war zwecklos, mit Belinda zu diskutieren, wenn sie sich etwas in den Kopf gesetzt hatte. »Meine Eltern -...«, versuchte ich es dennoch. Und verstummte. Falls sie uns erwischten, könnte ich sagen, Belinda habe auf den Barbesuch bestanden. Mom hielt große Stücke auf Gastfreundschaft und Dad würde nicht wollen, dass ich seine Chance auf eine Geschäftsbeziehung mit Belindas Familie ruinierte.

»Okay«, gab ich auf. »Wir müssen aber leise sein.«

Belindas Augen funkelten. Heimlich in eine Bar zu schleichen war noch besser als einfach nur auszugehen.

»Wir brauchen passende Outfits«, beschloss sie. »Was trägt man bei euch?«

»Woher soll ich das wissen?« Ich duckte mich unter ihrem vernichtenden Blick. »Flanellhemden?«, riet ich ins Blaue.

»Und sonst?«

»Keine Ahnung, ich war seit drei Jahren nicht hier!« Das genügte ihr nicht. »Was man eben in einer Kleinstadt so trägt: spießige Klamotten, die irgendwann modern waren.«

Prompt befahl mir Belinda, mein Gepäck nach entsprechenden Klamotten zu durchsuchen. Als ob ich so was besitzen würde. Sie schlich theatralisch auf Zehenspitzen zur Tür, wandte sich um und warf mir einen Verschwörerblick zu, bevor sie im Flur verschwand.

CowboyküsseWo Geschichten leben. Entdecke jetzt