1. Kapitel (2)

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Kaum war Belinda in das weiße Kleid (ebenfalls von Mikko Moh) geschlüpft, kreischte sie los: »O mein Gott!«


Ich sprang aus dem Auto und raste zu ihr, weil ich dachte, dass sie womöglich einen Rotweinfleck auf dem Stoff entdeckt oder eine Schlange sie gebissen hatte. Aber sie wies nur auf eine Gruppe von Kakteen.

»Was ist damit?«, fragte ich, bevor es mir klar wurde. Auf dem größten Kaktus wuchsen kleinere und wenn man das Ganze aus genau dem richtigen Blickwinkel betrachtete, wirkte es wie ein sehr stacheliger Hund oder Kojote.

»Ein Chupacabra!«, entfuhr mir.

Belinda starrte mich an. »Chupa-was?«

»Chupacabra. So eine Art Vampirmonster.« Ich fragte mich plötzlich, woher ich das wusste. Von unseren mexikanischen Hausangestellten? Oder von Baron? Er war sechs Jahre älter als ich und hatte es immer geliebt, mich mit Horrorgeschichten zu erschrecken. »Sie sehen aus wie stachelige Kojoten. Sie töten Schafe, Kaninchen, alle möglichen Tiere.« Auch Kinder, doch das verschwieg ich besser.

Belinda lachte und wandte sich ab. »Wir sollten für Jasper ein Foto machen.«

»Von den Kakteen?« Er würde mich garantiert für kindisch halten.

»Nein, Darling, von dir! Ein Modelfoto vor diesem hinreißenden Hintergrund.« Mit einer ausschweifenden Geste wies sie auf die felsige Wüste und zückte das neueste iPhone. »Wie wär's mit dieser Pose: Leg dich auf die Motorhaube.«

»Damit ich wie ein Hühnchen gebraten werde?«, gab ich zurück, obwohl mir der Gedanke, Jasper ein Bild von mir zu schicken, ein wohliges Bauchkribbeln verursachte. Beim Schulball im April hatten wir uns zum ersten Mal geküsst. »Du siehst wahnsinnig sexy aus«, hatte er mir zugeflüstert.

Belinda musste zugeben, dass der Brathühnchen-Look nicht Jaspers Ding wäre. Also lehnte ich mich nur ans Heck des Cabrios und versuchte so wenig wie möglich von dem heißen Lack zu berühren. Belinda erklomm einen Felsen und wackelte gefährlich, während sie mir Anweisungen gab. Ich lächelte in ihre Richtung, raffte den Saum meines Kleids, nahm auf Belindas Befehl den Hut ab und warf den Kopf zurück, sodass meine rotblonden Locken in alle Richtungen flogen. Das Klicken der Kamera verschwamm mit dem Zirpen der Zikaden.

Belinda ließ das iPhone sinken. »Faye, was ist das?«

»Was denn?« Noch ein Kaktusmonster? Ich trat zu ihrem Felsen, aber selbst auf Zehenspitzen erkannte ich nicht, was sie meinte.

»Na, das da. Ich dachte, bei euch gibt es keine Parks? Oder ist das euer Garten?«

Ich kletterte zu ihr und hielt mich an ihrer Schulter fest, um nicht zu stürzen. Von oben sah ich in der Senke das Grün der Orangen- und Zitronenbäume und der Melonenfelder.

Halb sprang, halb stolperte ich vom Felsen. »Das ist die Eden-Farm.«

»Eine von euren?«

Fast alle Farmen in Hillings gehörten meiner Familie. Alle bis auf eine, um genau zu sein.

Ich schüttelte den Kopf. »Erwähn die Eden-Farm bitte nicht vor meinen Eltern.«

»Warum nicht? Steckt dahinter eine Geschichte?« Belinda senkte die Stimme. Sie war in unserer privaten Highschool die Präsidentin des Drama-Clubs und spielte bei allen Theateraufführungen die Hauptrolle. »Mysteriös und tragisch? Vielleicht sogar romantisch?«

»Nicht romantisch«, wehrte ich ab.

Ihr Blick wurde noch erwartungsvoller.

»Die Farm gehört der Familie Crocker. Sie ist nicht groß, aber es ist das einzige fruchtbare Land in der Gegend. Und die Crockers sind nicht mal gute Farmer, sie lassen alles verwildern. Sie könnten viel effizienter arbeiten, wenn sie roden und Spritzmittel verwenden würden.«

Das ungeduldige Wedeln ihrer Hand verriet mir, dass sich Belinda nicht für Landwirtschaft interessierte. »Und was ist daran tragisch und mysteriös?«

»Als mein Ururgroßvater Hillings gründete ...«

»Es war einmal. Vor langer, langer Zeit ...«, übertönte mich Belinda und grinste nur, als ich sie genervt anfunkelte.

»Vor langer, langer Zeit«, wiederholte ich gehorsam, »bekam er von den Indianern das Land hier geschenkt. Er hatte einen Bekannten namens Crocker. Der wollte ihm die Eden-Farm abkaufen. Mein Ur...«

»...ur...«

»...großvater lehnte natürlich ab. Dieser Crocker war kein Farmer, bloß ein fahrender Schausteller. Er tingelte mit einem Wagen durch die Gegend und pries Wundermittel an. Als ihm mein Ururgroßvater die Farm weder verkaufte noch verpachtete, wurde er sauer und schwor: ›Wenn ich die Eden-Farm nicht bekomme, raube ich dir dein Liebstes.‹«

»Und dann?«, warf Belinda gespannt ein.

»Er entführte die Tochter meines Ururgroßvaters. Oder verführte sie, ich weiß nicht genau. Jedenfalls wurde sie schwanger, was damals ein echter Skandal war, und er wollte sie nur unter der Bedingung heiraten, dass er dafür die Farm bekäme. Er bekam sie. Seitdem herrscht zwischen den Crockers und meiner Familie dicke Luft.«

»Wegen dieser alten Geschichte?« Belinda klang ungläubig.

Ich hatte das Gefühl, uns Hillingsleys verteidigen zu müssen. »Das Land ist wertvoll! Und nein, nicht nur deshalb. Meine Tante Vera-Lynn ist vor ein paar Jahren mit Hitch Crocker davongelaufen.«

Das war ein noch größerer Skandal gewesen als die schwangere Tochter. Mom, Dad und natürlich Tante Vera-Lynns Ehemann, Onkel Tib, hätten am liebsten alles totgeschwiegen, aber der Rest von Hillings hatte mit Begeisterung darüber getratscht. Es hieß, die Crockers wollten etwas von meinem Onkel und er wäre nicht bereit gewesen, es ihnen zu geben. Also habe ihn ihr Fluch getroffen.

Das mit dem Fluch hätte Belinda sicher gefallen, doch ich erwähnte es ihr gegenüber lieber nicht. Es klang einfach allzu sehr nach einem Märchen.

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