2. Kapitel (3)

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Ich winkte nicht zurück.

***

»Du bist so still«, kommentierte Belinda beim Einbiegen in die Hillingsley Palace Road. »Was ist los?«

Ich warf einen Blick auf die Uhr. Fast halb acht. »Gar nichts. Wir müssen uns noch umziehen, meine Eltern warten sicher schon auf uns.«

Sollte ich ihr die Wahrheit sagen? Er ist also ein Crocker, na und?, würde sie entgegnen. Was kümmert es dich, wie er heißt? Zwischen euch ist doch nichts.

Dagegen konnte ich nichts einwenden. Trotzdem hoffte ein großer Teil von mir, dass ich mich in der Bar verhört oder einfach nur geträumt hatte.

Kurze Zeit später schoss Belinda mit quietschenden Reifen in den Carport. Wir sprangen aus dem Cabrio, hetzten ins Haus und nach oben in unsere Zimmer. Das Gingham-Kleid stopfte ich in den Wäscheschacht, Flores würde sich darum kümmern. Dann riss ich ein Outfit nach dem anderen aus dem Schrank und war gerade dabei, mich zwischen einem rosa karierten Fummel und einem schwarz-weißen, asiatisch angehauchten Teil zu entscheiden, als Belinda den Kopf hereinsteckte.

Irgendwie hatte sie es geschafft, schon in ein blassgrünes Kleid zu schlüpfen und sogar den dazu passenden grünen Lidschatten aufzutragen.

Ich hielt ihr meine Auswahl entgegen. »Rosé oder weiß?«

»Rotwein, bitte«, erwiderte sie fröhlich. »Außer du meinst dein Outfit. Dann das weiße.«

Also zwängte ich mich in den asiatischen Fummel, schloss einhändig die Knopfleiste und kramte mit der anderen Hand in meiner Schatulle nach dem Schmuck, der den Look komplettieren würde. Großmutters Perlenarmband, perfekt. Jaspers Ring sprang mir ins Auge. Ich knallte den Deckel zu.

»Wie sehe ich aus?«

»Wie eine echte Südstaaten-Magnolie.« Belinda nickte in Richtung des blühenden Baums vor meinem Fenster. Ich beschloss das als Kompliment zu verstehen und hastete an ihr vorbei zur Tür.

Belinda hatte es weniger eilig. »Dein Onkel ist also wieder Junggeselle, sagst du? Sieht er womöglich auch gut aus?«

Spielte sie damit etwa auf Chase und mich an? »Mit wie vielen Männern willst du heute noch flirten?«, entschlüpfte mir. Sofort bereute ich meine Worte.

Sie blieb bei der Zimmertür stehen. »Was ist denn in dich gefahren?«

»Gar nichts. Onkel Tib ist dreiundsechzig«, versuchte ich sie abzulenken, bevor sie am Ende erriete, an wen ich gedacht hatte. »Du findest Männer doch schon mit fünfundzwanzig Jahren uralt! Und wenn du ihn heiratest, macht dich das zu meiner Tante.« Genau genommen eher zu so was wie meiner Großtante dritten Grades, aber erstens blieb für längere Erklärungen keine Zeit und zweitens sollte Belinda ruhig glauben, dass mich nur diese Sorge beschäftigte. Ich schob sie in den Flur.

»Hat deine Tante diesen Hitch Crocker eigentlich geheiratet?«, bohrte sie auf dem Weg zur Treppe nach. Der Skandal um Tante Vera-Lynns Verschwinden war alles, was ihr Schauspielerherz begehrte – tragisch, mysteriös und romantisch. Ich hoffte nur, sie würde Onkel Tib nicht beim Dinner nach Details dazu ausquetschen.

»Kann ich mir nicht vorstellen.«

Belinda setzte zur nächsten Frage an, doch ich kam ihr zuvor. »Die Crockers glauben nicht an die Ehe, Hitch am allerwenigsten«, beendete ich das Thema. Dad hatte das mal gesagt. Obwohl, wenn ich darüber nachdachte, war Hitch Crocker nicht vor dem Skandal verheiratet gewesen? Besser gesagt verwitwet, seine Frau war tot. Es gab nur noch die beiden Söhne.

Chase und Dodge.

Ich vertrieb den Gedanken aus meinem Kopf.

***

Das Willkommensdinner zu Beginn der Ferien war eine unserer Familientraditionen. Mein bisher letztes vor drei Jahren hatte im Cactus Garden stattgefunden, dem einst besten Restaurant von Hillings. Dabei hatten sich Mom und Barons damalige Freundin eine Magenverstimmung zugezogen. Dad und Onkel Tib hatten dafür gesorgt, dass das Restaurant schließen musste. Seitdem aß meine Familie zu Hause.

Alle warteten im Speisezimmer, Mom und Dad mit Martinis in den Händen und Onkel Tib mit seinem unvermeidlichen Rob-Roy-Cocktail. Dulce reichte uns Gläser voll alkoholfreier Bowle. Dad räusperte sich und ruckte mit dem Kinn in Richtung der antiken Uhr, die auf der Vitrine oberhalb der Porzellanteller stand. Kaum aber wandte sich Belinda ihm zu, setzte er ein Lächeln auf.

»Faye Marissa«, begrüßte mich Onkel Tib und bekam von mir das gewohnte Küsschen links, Küsschen rechts auf die Wange. Marissa war seine längst verstorbene Mutter, Mom und Dad hatten mich nach ihr benannt. Seit ich zehn war, rief mich Onkel Tib immer bei meinem vollen Namen. Zuvor war ich für ihn einfach nur seine »Missy« gewesen.

Ich lächelte ein wenig gezwungen. Hier und jetzt wollte ich an alles, nur nicht an Missy denken.

»Onkel Tib, das ist Belinda d'Argento-Travers, meine Freundin aus der Highschool. Belinda, darf ich dir meinen Großonkel Theobald Hillingsley vorstellen?«

Mit einem strahlenden Lächeln schüttelte Belinda Onkel Tibs Hand. Ich musste an ihre Bemerkung vorhin im Flur denken und zugeben, dass er für einen Mittsechziger – noch dazu für einen, der sein Leben hinter Aktenbergen verbracht hatte – recht gut aussah. Sein sportliches Jackett und das füllige braune Haar ließen ihn jünger wirken. Onkel Tib war so wie Dad studierter Rechtsanwalt. In Hillings hatte er schon fast jedes Amt bekleidet, war Stadtrat, Schulrat und sogar Bürgermeister gewesen. »Er macht in der Stadtregierung seine Runden, als wäre er ein gefälschter Hundert-Dollar-Schein«, hatte Tante Vera-Lynn gerne hinter seinem Rücken gewitzelt.

Dad brachte einen langen Toast auf Belinda und mich aus. In jedem Satz erwähnte er mindestens einmal ihre Eltern. Dafür verlor er kein Wort über Baron – weder über dessen College-Karriere noch darüber, dass es mein Bruder vorgezogen hatte, den Sommer ohne die Familie zu verbringen. Mercedes und unser stilles Hausmädchen Dulce servierten die Suppe, eine gekühlte Gazpacho. Die Hauptgänge folgten: Belindas Austern und Garnelen und Onkel Tibs heiß geliebte chimichangas, Tortillas mit einer würzigen Fleisch- und Käsefüllung. Obwohl ich beides gern aß, stocherte ich lustlos in der Auswahl auf meinem Teller, während Belinda das Aroma der Austern lobte und Onkel Tib nach seinem dritten chimichanga griff.

Saß Chase gerade beim Dinner? Auf der Eden-Farm gab es garantiert keine Austern und Garnelen, aber vielleicht nahm er sich in diesem Moment einen chimichanga und erzählte dabei seiner Familie, dass er für morgen jemanden zu sich eingeladen hatte. Ich stellte mir das Gespräch vor:

Wie heißt sie?

Missy, würde Chase sagen. Und lächeln.

Nie gehört. Wohnt sie hier in Hillings?

Sie besucht ihre reiche Freundin. Aber Missy ist ein ganz normales Mädchen.

Als Mercedes das Dessert servierte, wurde ich aus meinen Gedanken gerissen und schüttelte innerlich den Kopf. Wenn meine Eltern, Belinda und vor allem Onkel Tib wüssten, dass ich die ganze Zeit an einen Crocker dachte!

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