Zaubertränke

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JUNI 1973

"Hey, Ana! Warte auf mich!" Auf meinen Ruf hin blieb Anastasia stehen und drehte sich um. Als sie mich erkannte, breitete sich ein Lächeln auf ihrem Gesicht aus. "Sev. Was gibt's?" "Nichts, ich dachte nur, wir könnten vielleicht zusammen zu Kräuterkunde gehen. Lily hat jetzt gerade Verwandlung." Kurz huschte ein Schatten über ihr Gesicht. "Du gehst also jetzt nur mit mir, weil Lily nicht hier ist?", fragte sie mit spöttelndem Unterton. Ich sah sie erschrocken an. "Nein, natürlich nicht. Das ... ist mir nur grad so eingefallen." Sie grinste. Jetzt erst merkte ich, dass sie mich nur geneckt hatte. Ich pustete mir beleidigt eine schwarze Haarsträhne aus dem Gesicht und schob schmollend die Unterlippe vor, was Ana dazu brachte, laut loszulachen. Sie hakte sich bei mir unter und zog mich in Richtung Gewächshaus.

Mir taten noch immer die Ohren weh. Wie schon letztes Jahr im Juni hatten wir heute Alraunen umtopfen müssen und ich hatte das ungute Gefühl, dass meine Ohrenschützer nicht ganz dicht gewesen waren. Anastasia hatte jedenfalls keine Ohrenschmerzen. Ich stöhnte und versuchte verzweifelt, den Druck auf meinen Ohren loszuwerden. "Das fühlt sich an, als ob mir jemand jeweils zwei Finger ins Ohr rammen würde!" Ana sah mich mitleidig an und legte mir ihre warme Hand auf den Arm. "Wenn es garnicht geht, musst du zu Madam Pomfrey gehen." Ich schüttelte nur widerwillig den Kopf. "Es geht schon, danke." Wenn ich jetzt in den Krankenflügel gehen wollte, dann würde ich mit Sicherheit Zaubertränke verpassen! Und abgesehen davon, dass es neben Verteidigung gegen die dunklen Künste mein Lieblingsfach ist, würde ich jetzt auch Lily wiedersehen. Ich hörte auf, an meinen Ohren herumzufummeln und versuchte, den Druck so gut es ging zu ignorieren. Wenigstens konnte ich überhaupt noch etwas hören. Gerade als ich mir noch einmal schmerzerfüllt über die Ohren rieb, kam Lucius Malfoy um die Ecke. Als er mich sah, kam er direkt auf mich zu. "Severus, ist alles in Ordnung?" Ich nickte. Ich musste um jeden Preis verhindern, dass er mich in den Krankenflügel schickte. Er betrachtete mich kritisch. "Sicher? Das sieht aner nicht so aus. Vielleicht solltest du mal in den Krankenflügel." Ana setzte an, etwas Zustimmendes zu erwidern, doch ich schoss einen warnenden Blick in ihre Richtung, der sie sofort verstummen ließ. So selbstbewusst wie man dem großen blonden Vertrauensschüler nur gegenüber treten konnte, sagte ich: "Danke Lucius, aber ich denke es ist schon alles in Ordnung. Ich gehe schon zu Madam Pomfrey, wenn es sclimmer wird." Lucius Blick war noch immer zweifenlnd, doch letztendlich zuckte er mit den Schultern und murmelte: "Naja gut, musst du selber wissen, Severus." Mit diesen Worten drehte er sich um und ging zu seinem Kumpel Evan Rosier. Die Beiden fingen an zu flüstern. Wahrsheinlich ging es wieder um ihn. Weder die Rosiers noch die Malfoys hatten je ein Geheimnis daraus gemacht, dass sie die Ansichten Voldemorts vertraten. Ich hatte zwar schon viel von ihm gehört, aber so weit ich weiß, waren die wenigsten ihm bereits begegnet. Lucius hatte mir vor wenigen Monaten einmal im Vertrauen mitgeteilt, dass die ältere Schwester von Narzissa Verbindung  zu der mystischen Gestalt hatte. Ich war mir nicht ganz sicher, ob er wegen Narzissa oder wegen deren Schwester auf ihre Annäherungsversuche eingegangen war. Aber eigentlich konnte es mir auch egal sein. Mir war klar, dass der selbsternannte Lord eine gewisse Faszination auf den jungen Malfoy ausübte, denn die Familie vertrat offensichtlich die selben Ansichten. Ständig redete Lucius davon, dass die reinblütigen Zauebrerfamilien doch eine besondere Behandlung verdienten, doch im Gegensatz zu Rosier und Wilkis konnte er sich zusammenreißen und ließ all die Muggelstämmigen an unserer Schule nicht spüren, was er über sie dachte. Und diese Beherrschtheit war eine Sache, für die ich bewundernd zu ihm aufblickte. Und es war ihm auch egal, dass ich seine Ansichten nicht teilte, nicht teilen konnte - immerhin ist meine beste Freundin ebenfalls muggelstämmig.

"Severus?" Als Anastasia mich ansprach, zuckte ich zusammen. Ich hatte nicht bemerkt, dass ich während ich nachgedacht hatte, einfach stehen geblieben war. Einig Siebtklässler warfen mir böse Blicke zu. Ihrer Uniform nach zu urteilen, gehörten sie dem Haus Ravenclaw an. Pff, die hatten mir sowieso nichts zu sagen. "Severus, was ist denn los?" "Mmh? Was soll sein?" "Na du hast fünf Minuten dagestanden und einfach nur in die Luft gestarrt. Die Leute gucken schon!" "Was? ... Oh, sorry. Ich war nur in Gedanken." "Ja, das habe ich mitbekommen. Und jetzt los, oder willst du zu spät kommen?" Natürlich wollte ich das nicht. Also legten wir einen Gang zu, um noch vor Sluggi im Kerker zu sein.

Severus Snape - Schurke oder HeiligerWo Geschichten leben. Entdecke jetzt