3.

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Dass ich bisexuell war, hatte ich wohl zum ersten Mal bewusst in der siebten Klasse bemerkt. Aber das war mir noch nie passiert. Liebe auf den ersten Blick. Als sich unsere Augen miteinander verbunden hatten, seine strahlend blauen mit meinen dunkelbraunen, da war es um mich geschehen gewesen. Hals über Kopf hatte es mich erwischt, nachdem ich während der Busfahrt vorhin nicht einmal einen Bruchteil dessen erfasst hatte, was mich eben beinahe von meinem Stuhl gefegt hätte. Müsste ich etwas finden um ihn zu beschreiben, es wäre das für ihn viel zu simple Wort "perfekt" gewesen.

Seine dunklen, schwarzen Haare hatten quasi geleuchtet und die Geste, mit der er lässig durch sie strich, war göttlich - zum Dahinschmelzen! Allein der Gedanke daran ließ Schmetterlinge in meinem Bauch flattern! Es klang so schnulzig und war trotzdem noch eine Untertreibung. So kurze Zeit hatte es nur gebraucht und trotzdem war bereits jede Einzelheit von Mariks Aussehen und Gestik in meinem Kopf eingespeichert. Aus einem Heer an Doppelgängern meinte ich ihn bereits problemlos herausfinden zu können. Da gab es nur ein Problem. Ach was, eins war untertrieben, tausend Probleme! Erstens: Ich war ein Außenseiter ohne Freunde, der am liebsten Zeit alleine und Zuhause verbrachte. Zweitens: Marik war locker das komplette Gegenteil von mir, was das anging. Ich sah ihn schon Pause für Pause mit den angesagtesten Leuten der Schule abhängen, weil ihm unsere Mitschüler zu langweilig waren. Drittens: Er war todsicher nicht schwul. Warum auch, "Frauenheld" schien ihm geradezu auf die Stirn gelasert zu sein. Und selbst wenn, warum sollte er sich auch-

"Dennis Kostas Weiß, dürfte ich dann auch deine Aufmerksamkeit wiederhaben?!"

-in jemanden wie mich vergucken? Traurig seufzend schaute ich in das wutverzerrte Gesicht des Lehrers über mir, erschrak und nickte sofort unterwürfig. Überall wurde über meine Reaktion gekichert. Ob Marik auch mitlachte? Sicherlich. Über eine Witzfigur wie mich konnte man vermutlich auch nur lachen. Doch warum musste es jedes Mal so sehr im Herzen wehtun, selbst wenn man davon wusste und es bereits als normal akzeptiert hatte?

Der Mann schnaubte ein letztes Mal erbost, dann kehrte er zur Tafel zurück und startete den erneuten Versuch, unserer Klasse Integralrechnung beizubringen. Hoffnungslos, das würden die meisten von uns, mich inbegriffen, in Jahren noch nicht verstehen! Also nutzte ich unvorsichtigerweise diesen Moment, um mich rasch herumzudrehen und nach hinten zum Neuen zu spähen. Keine Veränderung zu vorhin, er hatte nichts ausgepackt und seine Jacke ebenfalls noch am Körper, während er mit verschränkten Armen da saß und sich entspannte. Wie der Rest spendete er dem Langeweiler vorne nicht das geringste bisschen Aufmerksamkeit, sondern guckte stattdessen Löcher in die Luft vor sich. Ehe ich mich entscheiden konnte, ob ich noch länger zu ihm schauen oder mich besser auf den Unterricht konzentrieren sollte, schaute er wieder abgeneigt zu mir herüber. In der Hoffnung, dass ich noch schnell genug gewesen war, ruckte mein Kopf wieder nach vorne zum Lehrerpult, wo der Mann noch immer eine unendlich lange Formel anschrieb. Aber ich konnte mir gut vorstellen, wie vergeblich meine Bemühung gewesen war und Marik jetzt genau wusste, dass ich ihn beobachtet hatte. Peinlich, einfach nur peinlich!

Doch selbst während den Pausen konnte ich es nicht sein lassen. Verloren und alleine stand ich auf dem Schulhof und schaute ihm nach, wie er das Gebäude verließ, rasch seine Umgebung checkte und geradewegs zielsicher auf eine Gruppe Zwölftklässler zusteuerte, die tatsächlich von allen anderen als die coolste Clique der Schule angesehen wurde. Mir wurde mulmig. Würden die jemanden Fremdes aus einer niederen Klasse so einfach aufnehmen? Oder könnte ich Marik vielleicht zu mir lotsen, wenn er scheitern sollte? Ich war zwar nicht angesagt und auch nicht wahnsinnig unterhaltsam, mal von meinen Haaren heute abgesehen, aber ich wollte ihn trotzdem so gerne näher kennenlernen. Den Jungen, der mir mit einem Blick mein Herz gestohlen hatte.

So weit kam es aber nicht. Enttäuscht musste ich mit ansehen, wie mein neuer Klassenkamerad nach zwei oder drei Sätzen mit dem Anführer der Clique einschlug und dann dasselbe der Reihe nach bei allen anderen wiederholte. Er war nun einer von ihnen, quasi von der Elite. Jetzt konnte er hier wirklich alles tun und lassen und mit den Leuten umgehen, wie er es wollte. Andere mühten sich jahrelang ab, um so zu werden wie sie und Marik war dort eben einfach ohne jede Anstrengung akzeptiert worden. Seufzend wandte ich meinen Kopf ab. Einige Leute hatten es manchmal echt furchtbar leicht. Ja, furchtbar... dadurch war er nämlich für mich in astronomische Höhen katapultiert worden, an einen Punkt, an dem ich ihn nie würde erreichen können, egal was ich tat.

Mir fehlt der Mut (#Kostory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt