9.

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"Morgen, Kostas."

"Hey Anna!", lächelte ich sie schüchtern an und sie lächelte zurück. Ich deutete auf mein Schließfach, neben dem sie lehnte: "Hab ich wieder Post?"

"Ja, hast du."

"Darf ich eigentlich fragen, von wem?"

"Darfst du, aber ich werde dir nicht antworten."

Etwas zerknirscht kramte ich meinen Schlüssel hervor. "Und wenn es nur 'Ja und Nein'-Fragen sind?"

"Kommt drauf an."

"Okay... hat sie... braune Haare?" Ein Kopfschütteln. "Blond?" Wieder verneinte sie. "Schwarz?" Jetzt ein Nicken. Bingo! Das war ein Anhaltspunkt! Glücklich angelte nach dem kleinen Zettelchen und faltete ihn auseinander:

Hi Kostas,
du warst nach der vierten
Stunde einfach weg, ging es
dir nicht gut? Bist du heute
wieder da? Ich habe mir
Sorgen gemacht.
Aber dein Lächeln war
schön gewesen. Es steht dir.
Du solltest wenn möglich öfter
lächeln! Dann wirkst du auch
sehr viel selbstbewusster.

Süß. Ich konnte nicht anders, als über ihre letzten Sätze zu schmunzeln. Wenn es doch nur auch mehr Anlässe gebe, zu denen ich ehrlich glücklich sein konnte. Aber vielleicht konnte sich das ja ändern! Vielleicht würde ich bald meine heimliche Schreiberin kennenlernen und dann jeden Tag einen guten Grund zum Lächeln haben! Schon der Gedanke ließ meinen Kopf ganz leicht werden. "Danke Anna! Wo genau steht ihr eigentlich in der Pause?"

Als keine Antwort kam, drehte ich mich etwas verwirrt zu ihr um und musste feststellen, dass sie wohl schon vor einigen Sekunden gegangen war. Lediglich ihre schwarzen Haare glaubte ich noch um die nächste Ecke peitschen zu sehen, doch ihr folgten so viele Schüler, dass ich mich auch bloß getäuscht haben könnte.

Sie hatte zwar gesagt, sie sei nicht diejenige, nach der ich suche, aber sie hatte die passende Haarfarbe... und schwarze Haare waren nun ja nicht so häufig wie blond oder brünett. War sie eventuell genauso schüchtern wie ich oder wollte sie mich erst einmal testen, bevor sie ehrlich mit mir war?

Ich schüttelte meinen Kopf, steckte den Zettel ein und ging zu meinem Klassenzimmer. Zuerst würde ich schauen, ob es noch andere schwarzhaarige Mädchen in ihrer Gruppe gab! Und das musste sich bis in zwei Schulstunden gedulden. Ungewöhnlich aufmerksam lauschte ich unserer Musiklehrerin und darauf der Biotante, obwohl ich innerlich so aufgewühlt war, dass ich am liebsten alle zwei Minuten aufgestanden und eine Runde durch den Raum gejoggt wäre. Das war ich doch sonst nicht, weder der Musterschüler, noch der Zappelphilipp. Aber zumindest meine Laune blieb glänzend und auch der Tollpatsch in mir schien völlig umgekrempelt! Das heute konnte der perfekte Tag für mich werden!

Und noch besser wurde es, als dann endlich die Pausenglocke hallte. Gleich war der Augenblick der Wahrheit! Hoffentlich fand ich Annas Clique rechtzeitig! Mit rasendem Herzen wurde ich mit der Masse nach draußen auf den Schulhof geschwemmt und da, da waren sie auch schon! Im Schatten einer uralten Kastanie standen sie im Kreis um ihre Ranzen und kicherten und schwatzten. Plötzlich wurde mir mulmig. Zwar kannte ich Anna bereits ein kleines bisschen und eine von ihnen hatte ein Auge auf mich geworfen, aber wie kam das denn bitte, wenn sich ein mehr als zwei Jahre älterer Junge plötzlich zu ihnen stellte und sie der Reihe nach angeierte wie der Wolf die Lämmchen. Nur wenn ich die Chance nicht ergriff, würde ich mir das Ewigkeiten nicht verzeihen! Nicht wenn ich die Chance hatte, auf diese Weise ein Mädchen kennenzulernen und endlich jemanden meinen Freund nennen zu dürfen!

Während ich näherkam, schaute ich mich nach einer zweiten schwarzen Frisur um. Annas hatte wie schon vorher sofort aus allen herausgestochen, weil sie im warmen Sonnenlicht so sehr schimmerte wie Seide. Und tatsächlich, neben ihr entdeckte ich, wonach ich Ausschau gehalten hatte! Ein Mädchen mit pechschwarzem Pony und schulterlangen Haaren! Perfekt! Das musste sie dann wohl sein! Jetzt gab es auch kein zurück mehr für mich, die meisten waren bereits auf mich aufmerksam geworden und schauten mich erwartungsvoll an, wie ich beinahe in Tippelschritten auf sie zukam.

"H-hey, ähm... Anna, darf ich bei euch stehen?"

Anna sah unentschlossen aus, aber ihre belustigten Freundinnen hatten bereits entschieden. Zwei von ihnen kamen auf mich zugelaufen und zogen mich unter den Anfeuerungsrufen der anderen das letzte Stück zu ihnen in den Kreis. Keine von den beiden war allerdings "mein" Mädchen. "Hi Kostas!", begrüßten sie mich dafür im Chor und erreichten, dass meine Wangen rot anliefen und ich überrascht stockte: "I-ihr kennt meinen Namen?"

Sie alle nickten und grinsten sich verschwörerisch zu. Mir wurde warm ums Herz. Sie alle sahen nett und umgänglich aus, keine von ihnen wirkte wie ein übertrieben geschminktes Möchtegernmodel oder ein nerviges Dummerchen. Und sie ließen mich bei sich bleiben und schickten mich nicht weg! Das war beinahe zu schön um wahr zu sein!

"Wie heißt ihr eigentlich?", wollte ich als nächstes wissen und obwohl der Staffelstab rundherum ging und ich jeder von ihnen zuhörte und versuchte, mir ihre Namen zu den Gesichtern einzuprägen, wartete ich eigentlich nur auf eine von ihnen: "Myriam, hi!" Sie legte ihren Kopf leicht schief und schaute zu mir auf. Myriam... ein schöner Name. Ihre Haut war noch stärker gebräunt als die von Anna und ihre Augen und Haare noch dunkler, nahezu geheimnisvoll. Sie wurde verlegen und ringsrum hörte ich ein langgezogenes "Uuhhh!", begleitet von lautem Lachen. "Ich glaube, da ist jemand in dich verschossen!" Myriam schnaubte noch belustigt und wollte etwas erwidern, als es aber auch schon wieder zum Ende der Pause klingelte und der Mädchenschwarm um mich schneller in Richtung Schulgebäude strebte, als ich es überhaupt realisieren konnte.

Ich folgte ihnen noch ins Innere, doch musste feststellen, dass sich unsere Wege viel zu früh voneinander trennten. Sehnsüchtig schaute ich den Mädchen hinterher. Besonders einem. Myriam... Vielleicht konnten wir ja bald Nummern tauschen und uns verabreden, ins Kino gehen, durch die Stadt schlendern, einen Kaffee zusammen trinken! Das wäre traumhaft..!

Rundherum gut gelaunt öffnete ich die angelehnte Tür zu meinem Klassenraum und prallte keine zwei Meter später in Mik, der unangenehm berührt durch den Zusammenstoß aufächzte. "Pass doch auf wo du hinläufst!", nörgelte er mich an und verpasste meiner Freude einen sofortigen Dämpfer. Schuldig wich ich seinem stechenden Blick aus: "Sorry, kommt nicht wieder vor..." Aber etwas konnte er mir jetzt nicht nehmen! Ich hatte endlich Freunde gefunden! Scheißegal was andere darüber dachten, dass sie niedrigeren Klassen angehörten, sie akzeptierten mich und das war mehr, als die meisten hier je für mich geleistet hatten!

Mir fehlt der Mut (#Kostory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt