18.

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Zufrieden schaute ich mein fertiges Bild an. Fünf Minuten vor Abgabe und ich hatte das beste Stillleben daraus gemacht, das ich konnte. An einigen Stellen sah es sehr wackelig aus und man hätte ein paar der Flächen stärker schraffieren können, aber das war halb so wild, besser so, als wenn ich es jetzt noch irgendwie versaute.

Neben mir hörte ich plötzlich wieder das Rascheln von Papier und schon bevor ich hinsah wusste ich, dass Marik sein Werk soeben wieder einmal zusammengeknüllt und weggeworfen hatte. Was tat er denn da?! Jetzt hatte er gar nichts mehr zum Abgeben!

"Es klingelt gleich! Alle schaffen ihre Bilder bitte mit ihrem Namen auf der Rückseite nach hinten und stellen sich in einem Kreis darum!" Mik wirkte nicht einmal einen Hauch von angespannt, höchstens frustriert, als er mit leeren Händen nach hinten stapfte. Er hatte scheinbar wirklich vor, sich eine Sechs eintragen zu lassen, obwohl seine Zeichenkünste das nicht im Traum verdient hatten. Hastig schaute ich um mich und kramte dann in meinem Rucksack herum, bevor auch ich mich zu den anderen gesellte.

"Marik, wo ist dein Blatt?", fragte die Lehrerin irritiert und er zuckte wieder teilnahmslos mit den Schultern. "Du wusstest aber, das heute Abgabe ist, richtig?"

"Natürlich wusste ich das. Na los, machen Sie schon, tragen Sie mir die Sechs ein und gut is!"

"Nein!", erschrocken drehten sich ein paar zu mir herum, weil ich unabsichtlich lauter gewesen war als ursprünglich geplant. Ich hatte Miks erstes Kunstwerk in den etwas zittrigen Händen und obwohl ich es über den Trubel mit meiner Briefeschreiberin komplett vergessen hatte und es niemals bei mir Zuhause seinen angekündigten Ehrenplatz bekam, konnte man trotz Knitterfalten alles noch gut erkennen! "Marik hat- also, er war nicht untätig! Sie können ihm dafür keine Sechs geben!"

Der schwarzhaarige Junge stand wie angewurzelt da und zum ersten Mal sah ich die Anzeichen von Scham in sein Gesicht treten, als die Kunstlehrerin sich jetzt auch noch vorbeugte, um das Bild zu betrachten. "Linienführung sehr sauber, klar erkennbares Gesamtbild, detailreich... wie lange hast du dafür gebraucht?"

"Eine halbe Stunde!", erwiderte ich schnell an seiner Stelle. Ein anerkennendes Nicken kam von der Frau: "Wahrlich meisterlich! Sie sollten vielleicht darüber nachdenken, später einmal einen künstlerischen Beruf zu ergreifen! Nur leider haben Sie trotz Ihrer guten Arbeit unser Thema verfehlt. Eine Fünf für Ihr Bemühen, mehr ist da leider nicht drin!"

Ich stockte. Eine Fünf?! Das war doch wohl schreiend ungerecht! Niemand hatte ein annähernd so schönes Bild wie Mik hinbekommen, geschweige denn in einer halben Stunde! Das konnte sie nicht machen! War denn dann meine Überwindung, vor der ganzen Klasse zu sprechen, völlig umsonst gewesen...? "Aber Sie haben doch selbst gesagt, dass es toll aussieht! Kann man da nicht nochmal irgendwas an der Note ändern? Ich bin mir sicher, dass-"

"Halt den Mund, Kostas!", schnitt Miks Stimme jetzt wütend durch den Raum und ich unterbrach mich sofort. In zwei Schritten war er bei mir und wollte mir das Blatt zackig aus der Hand ziehen, dabei zerriss es allerdings mit einem lauten und unschönen Geräusch in der Mitte. Kurz hielt er inne und zögerte, ehe er mich mit seinen stechenden Augen anblitzte. "Geben Sie mir einfach die Sechs und Schluss. Verstanden?" Ohne irgendeine Antwort abzuwarten, drängte er sich durch den Halbkreis aus Schülern und rauschte mit seinem Rucksack aus dem Raum.

Geschockt starrte ich auf den Boden, auf dem gerade die zweite Hälfte von Miks Bild zum Liegen kam. Ich hatte gehofft, ihn irgendwie aus seiner misslichen Lage retten zu können und ihm zu zeigen, dass ich aufmerksam war und seine Werke gut fand. Nur hatte ich damit dummerweise genau das Gegenteil erreicht und als wir schließlich unsere Sachen packten, bekam ich mehrmals die Taschen und Ellbogen der anderen zu spüren. Verdammt... ich hatte doch nur einmal etwas richtig machen und ein Held sein wollen...

"Ach du lieber Himmel... Kostas, ist alles in Ordnung bei dir?" Myriam kam besorgt auf mich zugelaufen und ich umarmte sie einfach, als sie bei mir angekommen war. Meine Augen mussten noch total verheult aussehen, denn dieses Mal hatte ich es nicht geschafft, meine Tränen zurückzuhalten. Es hatte mich einfach zu sehr fertig gemacht.

"Was ist los? Du kannst es mir ruhig erzählen!", bat Myriam mich weiter und nachdem ich mich kurz gesammelt hatte, schaffte ich es auch wieder, halbwegs klar zu denken. "I-ich glaub, ich hab grad Marik vor der ganzen Klasse blamiert...", jammerte ich leise mit Schluckauf, "u-und jetzt hasst er mich dafür. Dabei ha-hatte ich mal geglaubt, dass wir vielleicht K-kumpels werden können..."

Während sie mir beruhigend über den Rücken strich, näherte sich Anna vorsichtig. "Post für dich, Kostas", merkte sie leise an, nachdem sie sich kurz geräuspert hatte, doch Myriam bedeutete ihr, uns bitte alleine zu lassen. "Kannst du deinem Bruder vielleicht irgendwie sagen, dass er Koschti in Zukunft in Ruhe lassen und nicht mehr vor allen schlecht machen soll?", fauchte sie, als ihre Freundin dennoch nicht nachgeben wollte. Anna schaute sie verdutzt an: "Ich hab dir doch-, nein stimmt, hab ich noch gar nicht gesagt! Komm mal kurz mit!" Nur widerstrebend ließ ich zu, dass sie Myriam ein Stück von mir weg zog und auch meine gute Freundin sah nicht gerade glücklich darüber aus. Ich konnte sehen, wie sie sich von Anna befreien wollte, diese aber leise und eindringlich auf sie einzureden begann. Myriams Augen wurden groß vor Überraschung und sie begann zu nicken, immer öfter je weiter das Mädchen ihr etwas erzählte, das ich aus der Entfernung nicht verstehen konnte.

Schließlich bekam sie von Anna noch den Zettel in die Hand gedrückt und ihre Wege trennten sich. Myriam lächelte mich geheimnisvoll an, als sie wieder vor mir stand. "Hier, bitteschön! Der ist für dich! Und wegen Marik: Wenn ein Mensch ständig und andauernd auf perfekt und über-cool tut, dann hat das seinen Grund! Dann kann es sein, dass dieser Person in Wirklichkeit etwas sehr wichtiges fehlt. Tschau Kostas, bis morgen!"

Sie zog mich ein Stück zu sich, stellte sich auf die Zehenspitzen und hauchte mir jeweils einen flüchtigen Kuss auf meine Wangen. Mit dem Klingelzeichen ließ sie dann auch schon von mir ab und verschwand im Schulgebäude.

Mir fehlt der Mut (#Kostory)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt