[Marik]
Er wusste jetzt, dass Myriam nicht seine Schreiberin war, doch seine Gedanken über mich und mein Zögern waren letztendlich dafür verantwortlich, dass ich mich nicht dazu in der Lage fühlte, ihm nochmal etwas zu schicken. Erst Tage später hatte ich mich wieder gefangen und beobachtete jetzt Kostas und Anna aus sicherer Entfernung. Aber etwas ging gewaltig schief. Ich bemerkte es daran, dass in ihren Augen etwas aufflackerte, das sofort meine Alarmglocken schrillen ließ: traumatische Panik. Sie wollte weglaufen, aber der Junge hielt sie fest und drängte sie gegen die Schließfächer.
In diesem Moment sprintete ich los. Ich liebte Kostas vielleicht, aber hier musste ich als Annas Bruder auftreten und sie beschützen. Denn ich hatte ihr geschworen, dass ich sowas nie wieder zulassen würde!
"Ich muss euch etwas sagen, bitte versprecht mir, dass das unter uns bleibt, okay?" Meine Freunde grinsten breit: "Klaro Mik, erzähl!"
Ein wenig nervös war ich schon. Hoffentlich nahmen sie es positiv auf, wenn ich ihnen erzählte, dass ich auf das gleiche Geschlecht stand. Aber ich hielt sie andererseits für reif genug und sie waren immerhin meine besten Freunde! Also schluckte ich meine Bedenken hinunter und überwand mich zum Reden. "Ihr habt doch sicher bemerkt, dass ich noch nie eine wirkliche Freundin hatte und meine Beziehungen immer ziemlich schnell vorbei waren." Ich lachte kurz auf. Das könnte auch daran liegen, dass ich nicht gerade rücksichtsvoll ihnen gegenüber gewesen war, aber das war eine andere Geschichte. "Jedenfalls... ich hab festgestellt, dass ich schwul bin und ich hoffe, ihr habt keine Probleme damit. Ich bin immer noch derselbe und ihr braucht nicht zu denken, ich würde jeden Moment über euch herfallen!"
Damit war das auch von meiner Seele und ich schaute sie erleichtert an. Nur traf mein Blick dabei auf Granit. Sie alle sahen entsetzt aus. "Ehrlich jetzt Mik?! So einer bist du? Dann mach, dass du wegkommst! Na los!" Ich gefror innerlich. W-was? Aber... wir waren doch Freunde...!
Erst als mir einer von ihnen vor die Brust schlug und ich zu taumeln begann, erwachte ich aus dem Schock und die Nachricht drang richtig zu mir durch. Hätte ich doch nur meinen Mund gehalten! Entsetzt machte ich kehrt und ging, während mein Herz wie ein gefangener Vogel heftig und verschreckt mit seinen Flügeln schlug.
Meine kleine Schwester war nicht da, als ich nach Schulschluss an unserem Treffpunkt ankam. Hatte sie sich Strafarbeiten eingehandelt? Hoffentlich nicht! Sie wusste doch, wie schrecklich biestig unsere Eltern waren, wenn es um sowas ging. Noten, Unterricht, solche Sachen waren ihnen egal, Hauptsache wir waren cool genug, um über Tadel hinwegzustehen. Coolness und ein perfektes Bild nach außen, das war das wichtigste im Haushalt Roeder. Ich kannte es wie ein Mantra und obwohl ich es widersinnig fand, spielte ich mit, um zusätzlichem Ärger zu entgehen. Und Ärger würde ich heute totsicher dafür kriegen, dass ich mich geoutet hatte. Den Kopf würden sie mir dafür abreißen. Annas Unterstützung hätte mir jetzt sehr geholfen.
Im selben Moment hörte ich plötzlich einen langgezogenen, spitzen Hilfeschrei, der mein Blut zu Eis gefrieren ließ. Es war ganz in der Nähe gewesen und ohne weiter nachzudenken warf ich meinen Rucksack beiseite und rannte in die Richtung, aus der das Geräusch gekommen war. Mein Weg führte mich zu einer Häusergasse und da sah ich sie. Die Jungs, die ich bis gestern noch meine engsten Freunde genannt hatte. In ihrer Mitte hielten sie Anna gewaltsam an den Armen fest und drängten sie rückwärts. "Verrate uns endlich, mit welcher Schwuchtel dein Bruder zusammen ist! Na, wirds bald?"
"Miiik!", kreischte sie und ich löste mich aus meiner Starre. "Lasst sie in Ruhe!", brüllte ich und rannte auf sie zu, obwohl ich hoffnungslos unterlegen war. Fünf gegen einen. Das merkten die auch schnell und so gingen sie auch ungehalten und brutal gegen mich vor.
An viel erinnerte ich mich nicht mehr, nur dass uns irgendwann jemand gefunden hatte, vor dem die Dreckskerle dann geflohen waren, und dass er sich um mich gekümmert hatte. Ich war ziemlich übel zugerichtet und eine Wunde über meinem Auge hatte einfach nicht mehr aufgehört zu bluten. Aber ich hatte Anna vor schlimmerem beschützen können. Wenigstens das war mir möglich gewesen. Einige Tage später hatten wir Potsdam Lebewohl sagen müssen. Auf in eine andere Stadt und dort von neuem anfangen. Und so würde es immer weiter gehen, wenn ich wieder versagte. Also arbeitete ich fieberhaft an mir. An einem Kostüm, das mich unangreifbar machen würde.
Es dauerte, bis es maßgeschneidert an meinem Körper saß und mich für mein Umfeld zu schmücken begann. Doch tief darunter blieb ich derselbe. Der verletzte Junge, der einfach nur ein normales Leben führen wollte. Jeden Morgen, wenn ich die quer durch meine Augenbraue verlaufende, kreuzförmige Narbe überschminkte, erinnerte ich mich daran zurück und schallte mich dafür, meine Gedanken nicht für mich behalten zu haben.
Kostas hatte den Zettel gelesen und wartete nun am ganzen Körper vor Anspannung bebend. So leise wie möglich näherte ich mich und nahm erleichtert zur Kenntnis, dass er sich an die Regeln hielt. Jetzt, da er so erwartungsvoll vor mir stand, konnte ich ihn ausgiebig betrachten und stellte zum ersten Mal wirklich im ganzen Ausmaß fest, wie hübsch er doch war. Es war die vollkommen richtige Entscheidung gewesen, ihn um dieses Treffen zu bitten. Sanft legte ich meine Hände in die seinen und küsste ihn dann zärtlich. Und obwohl mir das noch Kopf und Kragen kosten konnte, war es bei weitem der beste Kuss meines ganzen Lebens gewesen und alles in mir schrie nach einer baldigen Wiederholung!
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Mir fehlt der Mut (#Kostory)
Fanfiction"Wenn ein Mensch ständig und andauernd auf perfekt und über-cool tut, dann hat das seinen Grund! Dann kann es sein, dass dieser Person in Wirklichkeit etwas sehr wichtiges fehlt." Seit der siebten Klasse ist Kostas ein Außenseiter, Tollpatsch und Ta...