Kapitel 6

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"Und wir kommen wir da ran?", fragte ich und sah zweifelnd zu Stiles, der immer noch seine Nase gegen das Fenster gedrückt hatte. 
Er guckte zu mir und dann sah er sich um. 

"Da liegen Steine", meinte er und zeigte auf einen Haufen großer Backsteine. 

"Du willst die Fenster einschlagen?", fragte ich stutzig. Er konnte doch nicht einfach ein Fahrzeug zerstören, oder? Natürlich konnte er das, aber das war doch nicht richtig. 

"Ja, außer du kannst Schlösser knacken", sagte er und nahm sich einen Stein. 

"Warte!", rief ich und packte seinen Arm, bevor er wirklich etwas tat. 

Stiles sah mich genervt an, aber mein Gewissen nagte an mir. Es könnten Kutschen aus Beaconia - aus unserem Königreich - sein. 

"Was?", schnaubte er und probierte seinen Arm zu lösen, aber ich hielt ihn fester fest. 

"Willst du das wirklich machen?", fragte ich ziemlich ruhig und hoffte, dass er seinen Arm runternehmen würde. Er sah mich entgeistert an. 

"Ja?! Ich weiß ja nicht, wie es bei dir aussieht, aber wir haben seit drei Tagen nicht mehr ordentlich gegessen und wir haben ein Kind. Keine Ahnung in welchem Luxus du aufgewachsen bist, wir sind es nicht. Dort drin sind Klamotten, so was ist selten. Also geh oder hilf mir gefälligst", sagte er schnippisch und ich entschied mich für letzteres. 

Er hatte Recht. Sie hatten es schwer, ich sollte helfen. 

Ich ließ also seinen Arm los und er schlug die Scheibe ein. Er grinste mich an, bevor er die Kiste mit den Klamotten nahm. 

"Du nimmst das Essen", sagte er zu mir und machte Platz, damit ich an die Kiste kam. 

Ich nahm sie, als plötzlich jemand hinter uns schrie: "SIE STEHLEN! SIE STEHLEN!"

Ich konnte mich kaum umdrehen und die drei Wachen sehen, da rief Stiles: "Derek, lauf!" und rannte selbst mit der Kiste in den Händen los. 

Ich hielt die Kiste mit dem Essen fest und rannte dem Jungen weg. Er rannte unter der Brücke lang, bog scharf nach links ab, fiel fast hin, konnte sich aber doch noch halten und rannte weiter. Während ich ihm folgte, fielen ein paar Brötchen runter, aber ich hatte nicht die Zeit, sie aufzuheben. Hinter mir hörte ich das Klimpern der Schuhe der Wachen und wie sie schrien und fluchten. 

Ich musste plötzlich loslachen und das Atmen fiel mir schwerer. 

"Komm schon, Derek!", rief Stiles zu mir, der bei meinem Anblick auch anfing zu lachen. 

Ich packte die Kiste unter einen Arm und dann nahm ich Stiles' Hand und wir rannten beide Hand in Hand weiter. Ich weiß nicht, warum ich seine Hand nahm. Weil es so schneller ging? Weil es den Moment verbesserte? Weil ich es wollte?

Keine Ahnung, aber es machte Spaß. Wir rannten durch die Straßen und kamen irgendwann wieder auf dem Markt an. Die Wachen schrien noch immer, wir konnten nicht stehen bleiben. 

Stiles zog mich durch die Stände und bei einem leeren Stand stellte er die Kiste ab. Er nahm mir meine ab und stellte sie ebenfalls ab. Er nahm sich und gab mir eine alte, die ohne Inhalt war. Dann nahm er wieder meine Hand und wir rannten weiter. 

"Kommt schon!", schrie er lachend zu den Wachen, die uns noch immer verfolgten. Wieder musste ich laut lachen und meine Augen wurden wässrig. 

Die Leute sahen uns geschockt oder genervt an, als wir durch sie durch rannten, ohne sie großartig zu beachten. 

"Wirf die Kiste weg", sagte Stiles zu mir und warf seine eigene zur Seite. Ich tat dasselbe und achtete sogar darauf, niemanden zu treffen. 

Stiles zog an meiner Hand und plötzlich tanzten wir. 

Wir waren in der Mitte des Marktplatzes, um uns herum etliche Menschen. An der Seite spielte eine kleine Gruppe fröhliche Musik mit ihren Holzinstrumenten und Kinder rannten durch die erwachsenen Tanzenden. Es war ein buntes Gehüpfe und Gedrehe und es war wundervoll. Stiles lachte mich an und ich lachte zurück. Mittendrin standen die Wachen, aber genau wie die Kinder, wechselten wir ständig unsere Positionen und sie konnten uns nicht kriegen. 

Das Lied kam zu einer Stelle, an der zwei Menschen eng zusammen tanzten. Stiles zog mich zu sich und grinste genauso wie ich. Unsere Körper lag aneinander und ich spürte, wie sein ganzer Brustkorb vibrierte. 

Ich schloss die Augen und genoss den Moment. Ich genoss die Musik, Stiles' Geruch und die Wärme, die sein Körper abgab. Ich genoss das Glücksgefühl, das ich spürte.

Das Lied war zu Ende und die Leute auf dem Marktplatz hörten auf zu tanzen. Stiles löste sich von mir und lächelte mich an. 

"Wir sollten gehen, bevor die Wachen zurückkommen", sagte er und nahm wieder meine Hand. In dem Adrenalinschub von vorhin, bekam ich gar nicht mit, wie meine Hand kribbelte, als er sie hielt.

Ich ging mit ihm zu dem verlassenen Stand und wir nahmen wieder die Kisten. Wir gingen einen anderen Weg von dem Markt weg, kamen am Ende aber wieder zu demselben Feldweg, auf dem wir gekommen sind. Die Sonne ging langsam unter, das heißt, wir waren ziemlich lang unterwegs. 

"Ist das jedes Mal so?", fragte ich und sah zu Stiles, der die Kiste auf einer Hand balancierte.

Er schüttelte den Kopf und sah mich grinsend an. "Leider nicht."

Ich musste ebenfalls grinsen. 

"Ich hatte mehr Spaß als je zuvor in meinem Leben", sagte ich ehrlich. Es stimmte. Alles andere in meinem Leben war so vorhergesehen und vorgeschrieben, es machte keinen Spaß. Nicht einmal mit Matty damals hatte ich so viel Spaß. Aber heute war wirklich ein wunderschöner Tag, es könnte nicht besser werden. 

"Was machst du denn sonst so in deinem Leben?", fragte Stiles, sichtlich amüsiert über meine Freude.

"Nicht so spaßiges Zeug", sagte ich nur und sah auf den Boden. Ich wollte es nicht ruinieren, in dem ich sagte, dass ich eigentlich ein Prinz bin, der so gut wie alles hatte. 

"Was ist denn mit euch passiert?"

Gracie sah Stiles und mich von oben bis unten an und wir beide mussten wieder lachen.

"Oh mein Gott, was habt ihr da?", fragte Kellin und kam aus dem Stall zu uns gerannt.
Vic folgte ihm und sie sahen in unsere Kisten.

"Ihr habt Klamotten!", rief Vic freudig, als er in Stiles' Kiste geblickt hatte. Seine Augen erstrahlten und aus Freude küsste er seinen Freund.

"Wirklich?", fragte Gracie ungläubig und sah ebenfalls in die Kiste. Auch ihre Augen erstrahlten.

"Das ruft nach einem Festessen!", rief Stiles und sah Gracie bettelnd an.

"Morgen", sagte die Frau streng und nahm mir die Kiste ab. "Ich mach schnell was aus den Äpfel für heute und morgen machen wir ein Festessen", meinte sie und ging dann mit den anderen beiden Männern in den Stall.

"Festessen?", fragte ich nach.

"Ja, wenn wir viel und gutes Essen haben, dann machen wir ein "Festessen". Wir machen ein Feuer und es gibt gutes, warmes Essen. Es ist wirklich toll", erklärte er und lächelte mich warm an. Er war so süß.

"Essen!", rief Gracie's Stimme aus dem Stall. Na, das ging wirklich schnell.

Wir gingen in den Stall und aßen alle gemeinsam, ohne viel zu reden. 

King For A Day [STEREK]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt