Kapitel 4

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"Sie ist sauer, weil ich dich angeschleppt hab", murmelte der Junge, als er mit der Hand an einem Busch entlang streifte. 

"Tut mir leid und... danke. Ich glaube, ich habe mich noch nicht bedankt, dafür dass du mich "angeschleppt" hast. Das hätte nicht jeder getan", sagte ich ehrlich und hoffte, dass er mich ansehen würde. Ich wunderte mich über seine Augenfarbe, die ich irgendwie nicht mitbekommen hab. 

Normalerweise schaute ich Leuten zuerst in die Augen und merkte mir diese Farbe dann auch, aber in meinem Kopf waren Stiles' Augen farblos. 
Gracie's waren hellblau, Kellin's waren türkis, Vic's waren dunkelbraun und Mann, ich wusste sogar, dass die Augen von Gracie's Baby blau waren. Aber Stiles' Augen? Keine Ahnung. 

Doch glücklicherweise drehte er sich wirklich um und sah mich an. Die Sonne schien direkt in sein Gesicht, aber er kniff die Augen nicht zusammen. Er sah mich an und irgendwie schienen seine Augen zu lächeln. Sie waren braun, aber schön und hell. Sie erinnerte mich etwas an Bernstein, von dem ich zu Hause sehr viel hatte. 

"Gern geschehen", sagte er, grinste kurz, machte wieder eine halbe Drehung und lief dann weiter. 

Eine Weile sagten wir nichts, aber in mir kamen immer mehr Fragen auf. 

"Sag mal, das kommt doof, aber wo sind wir überhaupt?", fragte ich also. Dieses Mal drehte Stiles sich nicht um, was ich etwas schade fand. 

"Keeeine Ahnung, wie dieses Dörfchen hier heißt", meinte er. Ich schüttelte den Kopf, was er vor mir nicht sehen konnte. 

"Ich meinte, welches Königreich", sagte ich etwas peinlich berührt. Es war, als wüsste man nicht, wie alt man war. 

"Oh", sagte er und schien sich für einen kurzen Moment umzudrehen, was er doch nicht tat. "Wir sind in den Hills."

"Warte", sagte ich und blieb abrupt stehen. Die Hills?

Er drehte sich um und schaute auf den Boden.

"Die Hills? Die, wo niemand herrscht? Wo alles vor ein paar Jahren den Bach runtergegangen ist und etliche Menschen verhungert sind?", fragte ich. Ich wusste, dass die Hills nur ein sehr kleines Reich waren, um das sich eigentlich niemand mehr kümmerte. Ich war hier noch nie. 

Stiles nickte und lief dann weiter. Vielleicht war es ihm unangenehm hier zu sein oder es hatte was mit seiner Vergangenheit zu tun, jedenfalls wollte ich nicht länger darauf rumreiten, also ließ ich es. 

"Und wo gehen wir jetzt hin?", fragte ich, damit wir nicht wieder in so eine Stille verfielen. 

"Nicht zum alten Palast, da wo Vic gestern war. Anscheinend haben sie dort Wachen aus einem anderen Königreich aufgestellt. Ich glaube die sind aus Beaconia, aber ich kenn mich damit nicht so gut aus. Jedenfalls kriegen wir von da kein Essen mehr, also gehen wir in die ehemalige Stadt hier. Vielleicht gibt uns jemand auf dem Markt was von seinen Resten und sonst stehlen wir was", erklärte er ohne mich anzusehen. 

"Stehlen?", kam es aus mir aufgebracht. Erst in dem Moment bemerkte ich, dass ich mein Geld verloren hatte. Natürlich hatten wir genug, aber jetzt musste ich wirklich stehlen.

"Ja, oder hast du Geld? Ich hab nämlich deine Taschen durchsucht und da war nichts", sagte er ebenfalls aufgebracht, aber eher etwas wütend. 

Vielleicht war das jetzt etwas zu viel. Ich kam einfach zu ihnen und sie ließen mich bei ihnen schlafen. Ich war an bessere Sachen gewöhnt und kam sicher ziemlich schnöselig rüber. Ich fühlte mich, als würde ich Stiles mit all den Fragen nerven, also ließ ich es sein und blieb still. 

Ich dachte nach. 
Ich glaube, ich war nie wirklich glücklich und dankbar dafür, dass ich alles hatte. Ich habe nie daran gedacht, dass es andere Menschen gab, die nicht so viel - fast nichts - hatten und sich ihr Essen stehlen mussten. So was kam mir nie in den Sinn. Aber plötzlich kam mir etwas anderes in den Sinn und ich musste doch noch eine Frage stellen. 

"Hast du gesagt Wachen aus Beaconia?"

"Jep."

Beaconia. Das Königreich meiner Eltern. Wieso zur Hölle schickten sie Wachen zu dem Palast in den Hills? Wieso wusste ich davon nichts? 

"Was ist mit deinen Eltern passiert?", wollte ich wissen, weil meine Neugier dann doch über meinen Verstand siegte. 

Stiles drehte sich ruckartig um und sah mich genervt an. Er ging zwei große Schritte auf mich zu und stand plötzlich direkt vor mir und sah in meine Augen. 

"Jetzt hör mir mal zu. Ich versteh, dass du neugierig bist und eigentlich bin ich auch ganz offen, aber jetzt ist mal genug. Ich weiß nicht, was dein Problem ist, wieso du hier bist, wo du herkommst; ich weiß nichts über dich. Gracie vertraut dir nicht und ehrlich gesagt, tu ich das auch nicht. Also schalte einen Gang runter und hilf hier einfach", sagte er, aber irgendwie bekam ich davon nichts mit. Ich bin abgeschweift und sah während seiner Rede auf seine Lippen. 

Ich hatte plötzlich das dringende Verlangen ihn zu küssen, keine Ahnung wieso. Ich hab erst zwei Menschen so richtig geküsst.
Das war einmal eine der Mädchen, die meine Eltern mir vorgestellt hatten. Sie wollte nur das Geld und hat sich an mich rangeschmissen wie sonst was. Ich küsste sie ein paar Mal vor meinen Eltern, aber am Ende musste ich sie doch loswerden. 
Dann war da noch Matty. Matty's Eltern und meine sind befreundet, deswegen treffen unsere Familien sich jedes Jahr entweder in Beaconia oder in Healior. Tja, eines Treffens sind Matty und ich uns näher gekommen, aber als wir wieder nach Hause gingen, war es das auch schon zwischen uns. 

Aber in diesem Moment, Stiles vor mir, wollte ich einfach seine Lippen spüren. Was total verrückt ist, weil ich ihn kaum kenne. Aber er sah verdammt süß aus. 

"Sag mal, hörst du mir überhaupt zu?", fragte er verärgert, was ich vollkommen verstand. Oh mein Gott, hab ich ihn so offensichtlich angestarrt?

"Äh-" Ich wollte gerade ungefähr wiederholen, was er sagte, aber er zog mich plötzlich zur Seite und stürzte uns beide zu Boden. 

Ich hatte keine Ahnung, was passierte, aber Stiles lag halb auf mir und meine Schulter tat höllisch weh.

King For A Day [STEREK]Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt