Neun

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Ein dumpfer Schlag und der darauffolgend ausgestoßene Fluch weckten Niall am Morgen in aller Herrgottsfrühe. Liam hatte sich beim Umdrehen den Kopf an der Bettkante angeschlagen, saß nun völlig gerädert da und rieb sich mit schmerzverzerrtem Gesicht die Stirn. Glücklicherweise war Niall so fertig gewesen, dass er wie ein Stein geschlummert hatte, denn Liam schien grundsätzlich ein unruhiger Schläfer zu sein. So lag beispielsweise auch seine Decke auf dem Boden und seine Haare standen in alle Richtungen ab.

„Guten Morgen und sorry", grinste er Niall an, während er die Leiter des Stockbetts hinab kletterte und ins Bad verschwand, um sich nasses Toilettenpapier zwecks Kühlung auf die Stirn zu pappen. Der Ire drehte sich auf die andere Seite, doch an Schlaf war nicht mehr zu denken, ganz abgesehen davon, dass Liam ihn erinnerte: „Das brauchst du gar nicht versuchen. Es ist halb Sechs. Gleich kommt der Weckdienst zum Frühstück."

So sollte es auch sein. Gerade, als die jungen Männer sich fertig angezogen hatten, donnerte eine Faust gegen die Tür und jemanden schrie Aufstehen!, bevor ein Schlüssel ins Schloss gesteckt und herumgedreht wurde.

Niall wollte die Gunst des Moments nutzen und dem Wärter sagen, dass er nach dem Frühstück gerne sein Telefonat mit seinem Anwalt führen wollte, doch bei einem Blick in dessen Gesicht verwarf er diesen Gedanken ganz schnell. Sein Gegenüber hatte sichtlich schlechte Laune.

Schnell huschten er und Liam an dem Mann im weißen Kittel vorbei und den Gang hinunter.

„Was für ein Scheißtag!", maulte der Brünette und ein Blick durch die Flurfenster nach draußen bestätigte seine Aussage noch. Riesige, dunkelgraue Wolkenberge türmten sich über der Anstalt auf. Es würde im Lauf des Tages unweigerlich zu Gewittern kommen, so viel stand fest.

Als sie im Speisesaal ankamen, sank Liams Laune noch weiter, denn sie waren als Letzte aus ihrem Zimmer geholt worden und die Schlange vor der Essensausgabe schien endlos.

„Heute ist so ein Tag, wo ich am liebsten im Bett bleiben würde", meinte Liam und vergrub die Hände in den Hosentaschen.

„Warum tust du es nicht?", fragte Niall und ärgerte sich ein kleinwenig darüber, dass Liams Anwort in Form eines Lachen daherkam.

„Du glaubst doch nicht, dass sie dich in Ruhe lassen, oder? Ich habe nach dem Frühstück Maltherapie und anschließend ein Gespräch mit dem mir zugeteilten Psychologen. Mal sehen, ob ich die Polizei heute auch noch zu Gesicht bekomme. Irgendwie vermisse ich den Inspektor, der war immer lustig."

„Meiner war komisch", sagte Niall. „Der hatte immer einen Notizblock dabei, obwohl er jedes unserer Gespräch aufgezeichnet hat. Und seine Gehilfin war ein richtiges Aas, die hat gestern vor meiner Nase Pommes gefuttert, während ich eine widerliche Suppe essen musste."

Liam zögerte kurz, er war sichtlich erstaunt. Schließlich entgegnete er: „Meiner hatte auch eine Gehilfin, die so eingebildet war. So eine Blonde. Carewell hieß sie. Oder so ähnlich."

Sie rückten in der Schlange ein Stück auf und jetzt war es Niall, der ihn verwundert anstarrte.

„Inspektor Gardner?"

„Ja, genau!", bestätigte Liam lachend. „Jetzt wird mir einiges klar! Während meines Verhörs hat er ein paar Mal gesagt, dass ich mich nicht so anstellen soll. Ich wäre nicht sein einziger schwieriger Fall zur Zeit."

Niall lachte ebenso laut auf und die umstehenden Insassen sahen teils pikiert, teils verwirrt zu ihnen herüber, bevor einige von ihnen tatsächlich aus der Schlange verschwanden und sich mit einem großen Stück Abstand wieder hinter ihnen anstellten. Als wären sie verrückt.

Objekt 242Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt