Perfect Strangers - Jonas Blue

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Harry trinkt einen Schluck, ehe er mich nachdenklich ansieht. Seine Blicke sind faszinierend. Obwohl er keinen Ton sagt, kaum eine Regung zeigt, hat man doch das Gefühl, er spricht direkt zu dir, hört alles, was du denkst und fühlst. Ein wenig gruselig, aber viel eher ziemlich imposant. Nun ja, Harry ist schließlich alles außer gewöhnlich. Das habe ich mittlerweile verstanden.

"Was geht dir durch den Kopf?", beschließe ich schließlich nachzufragen, als seine Miene immer dunkler und verkrampfter zu werden scheint. "Was hast du vor? Also in Las Vegas?" Er sieht mich direkt an. Immerhin schaut er jetzt nicht mehr so grimmig aus. Ich zucke mit den Schultern. "Eigentlich habe ich dort eine Tante, bei der ich versuchen wollte, unterzukommen. Zumindest für eine Weile", überlege ich laut, "wieso fragst du?" Nun sehe ich ihn neugierig an.

"Weil ich mich frage, ob es hier enden wird." Ich erstarre. Sämtliche Funktionen scheinen auf Standby, selbst meine Augen sind einfach nur weit aufgerissen. Als wäre ein Schalter in mir umgelegt worden. "Wie meinst du das?", will ich mit zittriger Stimme von ihm wissen. Harry sieht mich nicht an.

"So wie ich es gesagt habe."

Ungläubig versuche ich jegliche Emotionen in seinem Gesicht zu erkennen, doch nichts. Er wirkt wie versteinert. Selbst sein Körper ist so angespannt, dass er anscheinend keine Regung zulässt. Ich sehe, wie sich seine Finger in den Sitz bohren, die Fingerknöchel stechen weiß hervor. "Harry", hauche ich beinahe tonlos, "rede mit mir. Bitte." Mein Flehen klingt absolut lächerlich, aber er macht mir gerade einfach nur Angst. Eine scheiß Panik brockt er mir ein!

Verständnislos kralle ich mich erst in seinen Oberarm, lege ihm dann ein paar Finger unter sein Kinn und zwinge ihn so, mich anzusehen. In seinen Augen schimmern Tränen. Und ich weiß nicht, ob mich das noch mehr schockiert oder gar das Herz zerbricht. Als sich Harrys Lippen langsam voneinander lösen, entweicht ihm ein Schluchzen, weshalb er sie schnell wieder aufeinander presst und die Augen schließt.

"Hey, du brauchst dich vor mir nicht zu verstecken oder zu schämen", versuche ich ihn zu beruhigen und zu überzeugen, mich wieder anzusehen und einen neuen Versuch zu wagen, mit mir über seine Gedanken zu sprechen. Er nickt kraftlos, doch noch immer sagt er nichts. Immerhin sieht er mich jetzt wieder an.

Um ihm zu zeigen, dass ich es wirklich so meine und er keine Angst zu haben braucht, drücke ich seine Hand und lehne meine Stirn vorsichtig an seine. "Sprich mit mir, Haz", bitte ich leise und sehe in seine Augen. Sie funkeln. Unglaublich.

"Ich hab Angst."

Es ist kaum zu hören, fast ein Lufthauch und er schluchzt zwischendrin, sodass ich ihn erst nicht verstehe. Aber dann macht es  Klick. "Wovor?", hake ich nach und küsse seinen Handrücken. Meine Augen sehen fest in die seinen. "Dich zu verlieren. Dass das hier alles nur einmalig ist. Dass es ironischerweise aber leider Gottes einfach nur ein Aufeinandertreffen zweier Fremder ist, was nun mal täglich passiert und nichts besonderes ist. Ich habe Angst, dass es dir vielleicht nicht reicht, nicht so viel für dich ist, wie für mich", gibt er schließlich leise zu, er murmelt vor sich hin und er traut sich nicht mich anzuschauen. Er schämt sich.

"Sieh mich an, Harry", fordere ich ihn schließlich leise auf. Langsam hebt sich sein Blick und seine tiefgrünen Augen finden mein Blau.

"Du brauchst keine Angst haben. Was für ein typischer Satz, ich weiß", leise lache ich, "aber es stimmt. Egal, wie oft du das schon gehört hast und immer wieder von dieser Aussage enttäuscht wurdest, solange ich bei dir bleiben darf, brauchst du keine Angst haben. Zumindest nicht davor, mich zu verlieren oder dass ich dir nicht mindestens genauso viele Sympathien entgegenbringe oder aufbringen kann wie du.  Ich weiß, dass man sein Vertrauen und den Glauben in alles verliert, wenn man immer und immer wieder enttäuscht wird und ich weiß auch, dass ich nicht versprechen kann, wie es mit uns nach dieser Busfahrt weitergeht, Harry. Ich bin ehrlich, ich habe keinen Plan für mein Leben. Alles, was ich gerade tue, ist meinem Verstand und Herz geschuldet."

Ich lächle verlegen und spreche dann weiter. "Aber glaub mir bitte, wenn ich dir sage, dass das hier für mich nichts Alltägliches ist, es ist das absolut Beste, das ich je gefühlt oder getan habe und ich würde die Entscheidung abzuhauen jedes Mal aufs Neue treffen, wüsste ich, ich würde dich so treffen. Ich hatte niemals die Absicht, jetzt irgendjemanden kennenzulernen, erst recht niemanden, der quasi mein Seelenverwandter ist. Keine Ahnung, was das zwischen uns ist, Harry, aber ich spüre es und ich glaube, du auch. Ich habe etwas derartiges noch nie vorher empfunden und das macht mir eine Heidenangst, aber ich glaube daran, dass es etwas Gutes ist, ich glaube an dich, an uns."

Ich werde mit jedem Wort leiser, meinen Blick habe ich längst auf meinen Schoß gerichtet. "Aber ich will es", schließe ich meine Monolog ab, "ich will dich. Am liebsten für immer. Und ich weiß, dass wir das schaffen können." Ein sanftes Lächeln ziert meine Lippen. Allerdings greife ich nach meinem Hand, ich will Harry gerade noch nicht ansehen. Ich möchte immer vorher erst noch einen Song zeigen. Denn dann bin ich mir sicher, wird er wieder lächeln können.

Ungefragt gebe ich ihm einen der Kopfhörer, er nimmt ihn an und steckt ihn in sein Ohr, ich tue es ihm gleich.

Play.

You were looking at me like you wanted to stay
When I saw you yesterday
I'm not wasting your time, I'm not playing no games
I see you
Who knows the secret tomorrow will hold?
We don't really need to know
'Cause you're here with me now, I don't want you to go
You're here with me now, I don't want you to go

Ich suche seinen Blick, schaue ihm fest in die Augen. Und er versteht. Wir haben längst angefangen, auf die Texte der Songs zu hören, die wir uns hier heute Nacht schenken. Denn es ist unser Soundtrack. Der uns immer miteinander verbinden wird.

Maybe we're perfect strangers
Maybe it's not forever
Maybe intellect will change us
Maybe we'll stay together
Maybe we'll walk away
Maybe we'll realize
We're only human
Maybe we don't need no reason

Er fängt wieder an zu lächeln. Seine Augen strahlen aufrichtig, weil er glücklich lächelt. Ich liebe sein Lächeln. Vielleicht auch nicht nur das.

No one but you got me feeling this way
There's so much we can't explain
Maybe we're helping each other escape
I'm with you

Accidental Passengers (larry stylinson)✔Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt