Ein neuer Gast

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Genau diese Wahrheit klopfte am nächsten Morgen um halb 5 an meiner Tür. Chico machte ein riesiges Theater, was eigentlich gar nicht zu ihn passte. Normalerweise bellte er nur ein bis zweimal wenn jemand klingelte oder klopfte. Aber heute konnte ich ihn nicht einfach ignorieren, weil ich befürchten musste er würde solange bellen bis ein Herzinfarkt ihn daran hindern würde.
Also quälte ich mich aus dem Bett und trottete verschlafen zur Tür. Als ich sie öffnete stand Caro in Polizeiuniform vor mir und hielt Lilly an der Hand. Chico schoss auf das kleine Mädchen zu, jaulte, führte eine Art Freudentanz auf und sprang spielerisch an ihr hoch.
"Zoey, sorry erstmal wegen der Uhrzeit aber können wir rein kommen?" fragte Caro sofort. "Ähm ja... klar" antwortete ich völlig überrumpelt.
Als wir zu dritt in meinem kleinen Flur standen fiel mir auf, dass Lilly auch noch einen Schlafanzug trug und, ähnlich wie ich, noch sehr verschlafen wirkte. Auch Caro war das nicht entgangen und sie fragte an uns beide gewandt: "Ich glaube da ist jemand noch sehr müde... vielleicht legst du dich nochmal schlafen, Lilly?"
"Komm Lilly, wenn du willst darfst du in meinem Bett weiterschlafen." sagte ich sofort. Lilly schien etwas orientierungslos, stimmte aber mit einem müden Nicken meinem Vorschlag zu und ich brachte sie ins Bett.
Auf dem Rückweg zu Caro stieg mir der Duft von frischem Espresso in die Nase. Und tatsächlich: als ich die Küche betrat standen zwei Tassen auf dem Tisch. Der aufsteigende Dampf strich durch den Raum, der nur kläglich durch die allerersten Sonnenstrahlen ausgeleuchtet wurde.
"Tu mir einen Gefallen, setzt dich und trink erstmal..."begann Caro. Ihre ruhige Art bewirkte leider genau das Gegenteil in mir. "Was ist los? Wieso seid ihr hier? Und dann noch um diese Zeit?" fragte ich deshalb sofort.
"Okay, ich weiß dass das vielleicht was dreist ist,"setzte Caro an," aber ich brauche deine Hilfe- naja besser gesagt Lilly... Wir haben diese Nacht die Zweitwohnung in Mohnheim aufgebrochen, weil niemand geöffnet hatte... Kaum war die Tür offen lief mir Lilly in die Arme. Alice haben wir im Bad gefunden- neben zwei leeren Medikamentendosen, bewusstlos." Erschrocken riss ich die Augen auf und wollte etwas sagen, aber ich fand keine Worte. "Wir haben den Rettungsdienst gerufen und die haben gesagt, dass sie durch kommt. Jetzt ist Alice im Krankenhaus und wir erreichen keinen ihrer Verwandten, damit wir jemanden haben, der sich um Lilly kümmert. Du warst die Erste die mir auf die Schnelle eingefallen ist. Unser Polizeipsychologe hat sich schon etwas um Lilly gekümmert und gesagt dass es das Beste für sie wäre bei einer bekannten Person oder einem Familienangehörigen unter zu kommen, bis die Sache geklärt ist. Ich weiß, dass es sehr viel verlangt ist und wenn ich nicht überzeugt wäre dass es keine andere Möglichkeit gibt würde ich niemals fragen... Aber du bist Lillys letzte Rettung. Sonst kommt sie in eine fremde Einrichtung mit ganz vielen fremden Erziehern..."beendete Caro ihren Bericht. Der Blick, mit dem sie mich jetzt ansah war eine Mischung aus Frage, Entschuldigung, Angst und Bitte.
Ich weiß auch nicht, was mich ritt als ich darauf antwortete: "Wir kriegen das Kind schon geschaukelt." und anschließend über die Ironie in meinen Worten lachen musste. Caros Blick wechselte von bittend zu fragend und schließlich zu verständnislos. "Was soll das denn jetzt heißen?" fragte sie. Ich kippte darauf hin meinen doppelten Espresso herunter, spürte wie ich sofort wacher wurde und sagte dann: "Ich mache es. Du kannst Lilly hier lassen bis ihr eine andere Lösung gefunden habt. Aber ich will natürlich wieder die neuesten News über den Fall -aus erster Hand..." "Du bist der beste Mensch der Welt!" strahlte Caro mich an und gab mir eine Kuss auf die Wange. "Natürlich halte ich dich auf dem Laufenden, aber Alice muss erst mal gesund werden, bevor wir sie verhören und weiter ermitteln können." erklärte sie mir. "Wie gesagt, Lilly kann hier bleiben bis der Fall gelöst ist oder ihr eine bessere Lösung gefunden habt." erwiderte ich darauf.
"Sehr gut." sagte Caro " Dann kommen wir jetzt zum Papierkram..."
Hätte ich mir denken können... ich meine hallo?! wir leben in Deutschland irgendwo ist immer ein Haken und der heißt meist Papierkram.
In der nächsten Stunde gingen wir die Erziehungsvollmachtformulare durch, ich setzte einige Unterschriften und wir  organisierten den bevorstehenden Alltag: Caro würde mir bald einen Zweitschlüssel für das Haus der Dwanes bringen, damit ich immer an Lillys Sachen gelangen konnte wenn sie was brauchte. Außerdem war es mir gestattet Rechnungen einzureichen wenn ich in der nächsten Zeit größere Anschaffungen für Lilly machen musste. Ansonsten versprach Caro mir mindestens einmal pro Woche Hund und Kind für einen Tag zu übernehmen und mir so eine Pause zu gönnen. Im Türrahmen viel Caro dann noch etwas ein: "Hätte ich fast vergessen, Zoey, es wurde für Lilly ein Psychiater engagiert, weil sie ja anscheinend den Mord und zusätzlich auch noch den Selbstmordversuch ihrer Mutter miterleben musste... Der Termin ist immer donnerstags von 16:00-17:00 Uhr. Der Typ wirkt sehr nett und wenn du Hilfe brauchst frag ihn ruhig. Ich schick dir gleich die Telefonnummer und Adresse seiner Praxis."
"Okay Danke. Gut zu wissen dass wir einen Experten zur Verfügung stehen haben." sagte ich. "Nochmal vielen Dank, dass du das hier machst. Ich weiß du schaffst das... wer wenn nicht du!" baute sie mich zum Abschied noch einmal auf. Ich zwinkerte ihr zu und nickte. Dann schloss ich die Tür hinter ihr und ging zurück in die Küche. Mittlerweile war die Sonne aufgegangen und ich spürte die leichte Wärme auf meiner Haut während ich vor dem Fenster stand. Ich hatte ein gutes Gefühl obwohl ich ab jetzt große Verantwortung trug. "Ich krieg das schon hin!" murmelte ich der Sonne entgegen.

Bloody PicturesWhere stories live. Discover now