Unwissenheit ist ein Segen

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Als ich dann eine halbe Stunde zu spät bei Dr. Montgomery eintraf, musste ich überrascht feststellen, dass er in meinem Alter und unglaublich gutaussehend war. Obwohl sein Name amerikanisch klang hätte ich wetten können, dass er südamerikanische Wurzeln hatte....
Seine Stimme klang warm, sympathisch und sehr männlich. Er war ca. 1,90m groß und sehr maskulin gebaut. Seine relativ langen, dunklen Haare fielen leicht wellig und umrahmten zusammen mit einem Drei-Tage-Bart sein Gesicht. Sein Teint war leicht gebräunt, was sein weißer Kittel nochmal unterstützte. Auch seine Augen waren zum dahin schmelzen: sie hatten einen warmen und verständnisvollen, gleichzeitig aber auch einen verletzlichen Ausdruck, durch den Dr. Montgomery endgültig meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Sollte er jemals als Psychologe kein Geld mehr verdienen, könnte er einfach umschulen und Model werden😍
HALT! STOP! Was hatte er jetzt gesagt?! Shit... war hoffentlich nicht so wichtig.
Seit der ganzen Sache mit Lilly hatte ich echt keine Zeit mehr gehabt mich um mein Privatleben zu kümmern. Das rächte sich scheinbar jetzt. Denn mein verunsichertes Lächeln schien nicht zu dem zu passen, was seine wundervollen Lippen... ähm naja also es passte nicht zu dem was er gesagt hatte.
Entschuldigen Sie bitte... was haben Sie gesagt?" fragte ich deshalb während mein Gesicht rot anlief.
Ich wollte wissen ob sie bei Lilly in letzter Zeit Veränderungen festgestellt haben..."
Ähm... also... ich... ne eigentlich nicht." war meine unglaublich souveräne Antwort.
Okay. Sobald Ihnen etwas besonderes auffällt würde ich mich freuen wenn Sie mir das mitteilen." sagte er.
Natürlich. Klar werde ich das machen also Ihnen mitsagen... äh mitteilen natürlich." stotterte ich
Sehr gut." sagte er. Und dann an Lilly gewandt Wir sehen uns dann nächste Woche".
Das war das erste Mal in meinem Leben dass ich eine vierjährige beneidete... Und als ich dachte, dass das Maß an Peinlichkeit für heute erreicht wäre, sagte Dr. Montgomery während Lilly und ich die Praxis verließen: Ach ja. Frau Grüntal, natürlich kann ich auch Ihnen mit Ihrer Psyche weiterhelfen, falls das mal notwendig werden sollte."
Na toll... da hab ich einmal Kontakt zu einem Traumtypen und was passiert? Ich mach mich so zum Deppen, dass er gleich denkt ich brauche psychische Unterstützung. Was ein Tag!

Auf dem ganzen Heimweg dachte ich über diese lachhafte Unterhaltung nach und ärgerte mich über mich selbst... Immer musste ich mich vor den falschen Menschen blamieren, als wäre es ein Naturgesetz.
Erst Zuhause viel mir meine eigentliche Mission wieder ein: Ich musste mehr über diesen Steven herausfinden, der vermutlich Lillys Vater war. Ich entschied mich vorerst für den einfachsten aller Wege: ich fragte Lilly nach ihrem Vater und ärgerte mich etwas über mich selbst, dass mir das nicht schon viel früher eingefallen war. Ich versprach mir nicht viel davon, da Lilly ja sehr schweigsam war, aber entweder hatten die letzten gemeinsamen Wochen bei mir Zuhause ihre Unsicherheiten, mir gegenüber, beseitigt oder dieser gutaussehende Psychologe war jeden Cent wert. Denn sie antwortete: "Mama hat immer gesagt, dass ich nicht nach Papa fragen darf. Sie hat gesagt dass ich es nicht verstehen würde und mich damit abfinden soll keinen Vater zu haben. Und dann hat sie gesagt dass ich einfach sagen soll mein Papa ist tot wenn mich jemand fragt, weil dann alles einfacher ist." Ihre Antwort schockierte mich etwas, da ich es gemein fand wie ihre Mutter ihr den Kontakt zu ihrem Vater ausredete und ihn einfach für tot erklärt hatte.

Doch dann brachte mich der Liebesbrief, den ich unter dem Nachttisch gefunden hatte auf eine Idee. Deshalb fragte ich Lilly: "Das tut mir wirklich leid mit deinem Vater. Also habt ihr immer nur zusammen mit Chico in dem Haus gewohnt oder hatte deine Mama irgendwann mal einen neuen Mann?"

"Also gewohnt haben wir da immer nur mit Chico. Aber manchmal kam Steven vorbei. Und meine Freundin Emily dachte immer er wäre mein Papa." antwortete sie mir. "Und was hast du Emily dann gesagt?" fragte ich. "Na dass Steven mit Tante Claire verheiratet ist und sie sowas nie wieder sagen darf. Sonst muss sie sofort nach Hause gehen." schließlich gähnte sie und kuschelte sich unter die Decke, die ich ihr eben zum Sofa gebracht hatte. Es war schon 19:30 Uhr und normalerweise Schlafenszeit. Aber Lilly wirkte in diesem Augenblick so aufgeschlossen, dass ich das Gespräch noch nicht beenden wollte.

"Das klingt aber als wärst du ein bisschen zu gemein zu Emily gewesen... sie hat doch nur etwas gefragt.." versuchte ich Lillys Verhalten auf den Grund zugehen. "Ja aber Mama hat mich angeschrien als ich sie dasselbe gefragt habe und mir verboten jemals wieder so viele Fragen zu stellen... und dann hat sie gesagt Unwissenheit ist ein Segen für alle Beteiligten. Seitdem habe ich sie nie wieder etwas ge.." noch bevor sie ihren Satz beenden konnte war sie eingeschlafen. Das arme Mädchen. Wahrscheinlich war sie deshalb immer so schweigsam. Sie tat mir leid und ich schämte mich dafür sie regelrecht verhört zu haben. Ich blieb noch einen kurzen Moment bei ihr sitzen und fragte mich, während ich sie betrachtete, was sie wohl schon alles erlebt hatte und welche Gemeinheiten sie sich hatte gefallen lassen müssen. Schließlich schickte ich Caro ein Foto von dem Liebesbrief, den ich unter dem Nachttisch gefunden hatte, in der Hoffnung mehr über diesen Steven herauszufinden.

Anschließend nahm ich das schlafende Knäuel bestehend aus Decke, Kissen und Lilly auf den Arm und trug es ins Schlafzimmer, wo ich Lilly auf ihre Seite des Bettes legte, zudeckte und dann den Raum verließ. Im Flur fiel ich fast über Chico, der das Mädchen auf Schritt und Tritt verfolgte seit dem beide bei mir wohnten. Er setzte sich vor die Schlafzimmertür und sah mich an, als würde er sagen wollen: "Ich passe auf sie auf. Egal was passiert..."

Bloody PicturesWhere stories live. Discover now