❥ Kapitel 1

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Genervt ließ ich den Papierstapel auf meinen Schreibtisch niedersausen. Ein Seufzen glitt über meine Lippen. Immer wieder musste mir meine Chefin ein Berg von Arbeit aufladen. Sie hatte kein Erbarmen. Zwar war ich eine kleine, mickrige Angestellte in ihrem Verlag, dennoch gab ich mir so viel Mühe und sie schätzte es gar nicht wert.

Nicht einmal ein eigenes Büro hatte ich, stattdessen hatte man mich zu einer Lektorin gesteckt. Diese hatte einen winzigen Tisch aufgetrieben und ihn in eine Ecke verfrachtet, sogar einen Klappstuhl habe ich dazu bekommen. Du solltest froh sein, sagte man mir. War ich aber nicht.

»Musst du schon wieder irgendwas für Karen sortieren?«, die Lektorin, namens Amber, schaute von ihrem Bildschirm zu mir auf. Amber schob sehr gerne Überstunden, deswegen war ich meist nicht allein, wenn ich mal wieder einen Haufen Arbeit hatte.

Schulterzuckend strich ich mir eine blonde Strähne hinters Ohr. »Scheint wohl so ...« Mitleidig schaute Amber mich an. »Du hättest dir wirklich einen anderen Job suchen sollen, wenn es dich so stört.« Sie legte den Kopf schief und grinste verschlagen.

»Jaja«, war meine knappe Antwort und ließ mich auf meinen Klappstuhl fallen. Ein Wunder das er noch nicht zusammengebrochen war, so alt und schäbig wie er aussah. Mit flinken Finger begann ich die Zettel nach Datum zu sortieren. Es waren Rechnungen, von was auch immer.

Ungefähr eine Stunde später und zwei Kaffee intus war ich endlich fertig. Amber hatte schon längst Feierabend gemacht, worum ich sie beneidete. In meiner Kindheit hatte mein Vater mir eingetrichtert immer das Beste zu geben und nie Arbeit aufzuschieben, diese Eigenschaft konnte ich einfach nicht mehr ablegen. Es hatte sich fest in mein Gehirn gebrannt.

»Hattest du auch mal vor eine Pause zu machen, Freya liebes?« Erschrocken zuckte ich zusammen und schaute erstaunt zur Tür. In dieser stand mein bester, und so ziemlich einziger, Freund Sam. Auf seinen vollen Lippen, die gruselig aufgespritzt aussahen, lag ein breites Lächeln. Seine viel zu markanten Gesichtszüge und das schmale Gesicht machten diesen Eindruck auch nicht besser.

Ich dagegen konnte ihm nur ein halbherziges, müdes Lächeln schenken. »Ich bin gerade fertig geworden und es ist noch gar nicht-« Ich blickte auf die Uhr an der Wand. Es war kurz nach neun.  Seufzend rieb ich meine Handflächen aneinander.

»Okay vielleicht ist es doch ein wenig später geworden. Aber Karen würde ausflippen, wenn es nicht morgen auf ihrem Tisch liegt«, murmelte ich und senkte den Blick. Sam war Künstler, ein fraglicher, und hielt überhaupt nichts von Überstunden. Er verdiente sein Geld mit dem freien Leben, arbeitete, wann er wollte und wie er wollte. Sofern ihn seine Muse auch küsste.

»Die soll mal ihren Arsch nicht so aufblasen. Du bist genauso wichtig für diese Firma, wie sie.« Lachend schüttelte ich den Kopf. »Das glaubst du wohl selbst nicht.« Ich schob die einzelnen Papierstapel beiseite, in eine perfekte Reihe. Danach erhob ich mich und griff nach meiner Tasche, eine dunkelgrüne Sporttasche. Nicht gerade das was man schick nennen würde, doch ich war nicht der Typ für Handtaschen.

»Danke das du mich abholen kommst, mein Auto ist leider immer noch in der Werkstatt«, meinte ich zu Sam, der daraufhin nickte. Bei ihm angekommen, wurde ich erst einmal in eine ausgiebige Umarmung gezogen. Küsschen rechts, Küsschen links dürfte natürlich auch nicht fehlen.

Sein Haar war verstrubbelt und von seinem ehemaligen Undercut war fast nichts mehr zu sehen, da seine Haare so schnell nachwuchsen wie Schamhaare. Was für ein komischer Vergleich, weswegen ich über mich selbst nur den Kopf schütteln konnte.

Nachdem Sam mich aus seiner Umarmung entlassen hatte, hakte ich mich bei ihm unter. »Ich möchte dich gerne dieses Wochenende zum Essen einladen.« Mein erster Impuls war abzusagen, da so etwas viel zu teuer war. Doch Sam hielt mich sofort mit einer Handbewegung auf. »Meine Schwester hat sich verlobt und deswegen möchte sie mit Familie und Freunden essen gehen. Natürlich darf für mich eine Begleitung nicht fehlen!«, klärte er mit einem süffisanten Lächeln an.

»Ähm ... das hört sich doch toll an.« Kläglich scheiterte ich an einem überzeugenden Satz, gar einem Lächeln. »Ich weiß das du nicht gerne aus dem Haus gehst, aber es wird wirklich mal wieder Zeit.« Er streichelte sanft mit seinem Zeigefinger über meine Wange. Traurig lächelte ich, ließ meinen Blick zu Boden wandern.

Es zwar schon vier Monate her und doch konnte ich mich einfach nicht an den Gedanken gewöhnen. Nicht daran das sie nicht mehr einfach in meine Wohnung platzte und Eis dabei hat, von mir fordert mit ihr irgendeinen kitschigen Liebesfilm zu schauen. Allein bei diesem Gedanken stiegen mir schon wieder die Tränen in die Augen, die ich jedoch wütend beiseite wischte.

Die Trauer sollte nicht immer wieder von mir Besitz ergreifen, es machte mich schwach und ließ mich nicht auf die eigentlichen Dinge konzentrieren. Doch leider blieb das dumpfe Pochen meines Herzens in meinen Ohren zurück, erinnerte mich an diesen schrecklichen Tag.

Ruckartig blieben wir stehen. Ich hatte gar nicht bemerkt, dass wir schon in der Tiefgarage angekommen waren und nun vor Sam rostigem Volvo standen. »Das er überhaupt noch fährt«, murmelte ich beim Einsteigen. Entrüstet schnaubte Sam. »Lass Baby Angel in Ruhe, er kann doch auch nichts dafür!«, schmollte mein bester Freund, was mich schmunzeln ließ.

Sam hatte einfach dieses Talent in wenigen Sekunden jede unangenehme Situation zu lösen und einem die Traurigkeit in wenigen Minuten vergessen zu lassen. Vielleicht war dies einer der Gründe warum ich ihn so sehr liebte.

»Du bist so ein Spinner!«, erwiderte ich kichernd und gab ihm anschließend einen Klaps gegen die Schulter. Der Schwarzhaarige zuckte mit den Schultern. »Ich gebe täglich mein Bestes diesem Ruf gerecht zu werden!« Seine vollen Lippen verzogen sich wieder zu einem breiten Grinsen, während er den Motor starrte.

Dieser erwachte knatternd zum Leben, was mich einen Moment besorgt dreinschauen ließ. Immer wenn ich in Baby Angel saß, hoffte ich inständig der Engel würde nicht einfach absaufen. Am meisten auf Autobahnen hatte Angst. Von hinten mit voller Wucht gekracht zu werden, wollte ich nicht zu meinen bisherigen Erfahrungen zählen.

»Hast du Hunger?« Fragend sah er mich einen Augenblick an, starrte dann jedoch wieder in den Rückspiegel während er versuchte auszuparken. »So eine Pizza wäre jetzt bestimmt toll, meinst du nicht?« Lächelnd nickte ich und lehnte mich in den Sitz zurück. »Absolut.«

Enymir - No magic is infinite  #AtriumAward #IceSplinters18 #TeaAward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt