❥ Kapitel 20

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Mit schiefgelegen Kopf betrachtete ich die Flagge der Malediven, ein dunkelroter Rahmen, in dem ein dunkelgrünes Viereck ist und in diesem ist ein weißer Halbmond. Also sonderlich kreativ waren sie ja damals bei dem Design nicht gewesen, wobei es seinen ganz eigenen Charme hatte. Schon jetzt spürte ich den Schweiß über meinen Rücken laufen und vermutlich verströmte ich auch keinen sehr angenehmen Geruch.

Warum nochmal hatten meine Eltern sich genau für diese Insel entschieden? Hätte es etwas weniger heißes sein können? Vielleicht Deutschland, da sollte es ja weder schneien noch sonderlich sonnig sein. Schulterzuckend nahm ich den Koffer, den mir Neil reichte. Auch sein Blick war nicht begeistert von den weißen Punkten auf der dunkelblauen Farbe. »Den kenne ich doch irgendwoher«, murmelte er und warf einen weiteren Blick auf den Koffer.

»Gehörte Mary«, erwiderte ich knapp und wand mich anschließend von ihm ab. Ein Gespräch über meine Schwester wollte ich nicht anfangen, nicht nach dieser schmerzhaften Erinnerung die nur wenige Stunden zurücklag. Neben mir blieb Mire stehen. »Du stinkst«, meinte sie lachend und legte ihren Arm um meine Schulter.

»Aber kein Wunder, wenn du so ein Pullunder trägst«, fügte sie schmunzelnd hinzu, zog demonstrativ am Stoff. Schnaubend schmiss ich ihren Arm von meiner Schulter. »Bei der nächsten Gelegenheit werde ich mich umziehen. Aber danke für den Tipp.«

Die Silberhaarige zuckte schmunzelnd mit den Schultern und ging dann rüber zu Lexie. Diese war laut am Lachen, über etwas was Bella gesagt hatte. Die konnte witzig sein? Magnus und Samy unterhielten sich angeregt, blieben neben mir stehen. »Was gibt es so zu diskutieren?«, erkundigte ich mich, meine Finger trommelten demonstrativ auf dem Koffer herum.

Mein bester Freund schaute zu mir herüber. »Wir fragen uns, wie genau wir deine Eltern finden.« Das war eine wirklich gute Frage. Auf dem Zettel hatte nichts über ihre Position auf den Inseln gestanden. Auf eine lange Suche wollte ich nun nicht gehen. »Wie wäre es, wenn Neil sie aufspürt?«, warf Magnus eine Idee ein. Natürlich hatte ich keine Ahnung, was er damit meinte, aber der Erwähnte meldete sich zu Wort. »Ich brauche ein Bild.«

Dies war an mich gerichtet. Auf der Lippe kauend überlegte ich, ehe ich mein Handy zuckte und begann in diesem zu suchen. Eigentlich erwartete ich kein Erfolg, doch er kam. Es war zwar ein unscharfes und kleines Bild von ihren Gesichtern, welches auch schon ein paar Jährchen älter war, doch was Besseres fand ich nicht.

Deswegen reichte ich Neil das Handy und einige Sekunden klebte sein Blick an dem Bildschirm, ehe er es mir wieder reichte. Einige Menschen kamen an uns vorbei, warfen uns neugierige Blicke zu. Ein kleiner Trupp von Mädchen kam ebenfalls kichernd an uns vorbei, woraufhin Magnus ihnen ein kokettes Lächeln zuwarf. Empört schlug ich ihm gegen die Schulter. »Sie ist gerade mal vier Monate tot und schon machst du anderen schöne Augen?«

Sofort verzogen sich seine Mundwinkel nach unten und die Schuld war ihm ins Gesicht geschrieben. »Du hast Recht«, flüsterte er zustimmend und wand seinen Blick von dem Trupp ab. Meiner dagegen glitt zu Neil, dieser hatte sich einige Schritte von uns entfernt und seinen Koffer auf den Boden gelegt, auf dem er nun saß. Seine Augen waren geschlossen und er wirkte hoch konzentriert.

Vogelgezwitscher drang an meine Ohren und das Rauschen von Wasser. Eine Windbrise, die vom Meer her wehte, strich mir über das Gesicht. Seufzend rieb ich mir über die Stirn, spürte den Schweiß an meinen Fingern.

Einige Minuten verstrichen, in denen ich einfach meinen Gedanken abdriften ließ und mein Blick immer wieder über die Umgebung gleiten ließ. Nachdem Neil fertig war, erhob er sich mit einem lauten Räuspern. Alle blickten wir zu ihm.

»Wir müssen zu den Addu Atoll, dort gibt es einen kleinen Flughafenplatz, zu dem stündlich ein Flugzeug fliegt«, informierte er uns und ließ den Griff seines Koffers mit einem Windstoß in seine Hand wandern.

Das Flugzeug war winzig und stickig und wir mussten uns mit zehn anderen Passagieren die freien Plätze teilen. Warum waren wir nicht mit dem Privatjet von Bella und Neil weitergeflogen?

Genervt wischte ich mir über die Stirn, wünschte ich konnte meinen verdammten Pullover von meinem Leib reißen. Jedoch wollte ich mich nicht gerade vor den Anwesenden entblößen. Samy musterte mich besorgt, als er sein Mund öffnen wollte, schüttelte ich den Kopf.

Zwar versuchte ich alles auf die Hitze zu schieben, auf die Nerven. Doch ich wusste es besser. Die Tatsache, das ich in ungefähr einer Stunde auf meine Eltern treffen würde, machte mich fertig. Außerdem hatte mich der Flug auch irgendwie ausgelaugt.

Seufzend schloss ich die Augen, rieb mir über die geschlossenen Augen. Mama, Papa. So nannte ich sie eigentlich schon lange nicht mehr. Für mich waren sie längst nur noch meine Eltern, persönlich sprach ich nie von ihnen. Bestenfalls könnten sie auch nur unsere Erzeuger sein. Wenn ich denn wirklich ihre Tochter war.

Keine Ahnung wie, aber Bella organisierte uns einen Jeep, in dem wir uns gequetschten nachdem das Flugzeug gelandet war. Schweigend ließ ich mich auf Samys Schoß sinken, da sonst nicht viel Platz war. Neil saß mit steinerner Miene am Steuer, sprach kein Wort mit den andere, genauso wenig wie ich. Im Kofferraum waren die Koffer zu hören, wie sie immer wieder gegen den Innenwänden prallten.

Ich könnte schwören das mein Herz so laut pochte, dass es jeder im Jeep hören konnte. Doch wenn dies der Fall war, dann ließ es sich keiner anmerken. Nur Samy griff vorsichtig nach meiner Hand, verschränkte unsere Finger und drückte meine dann. »Wenn du nicht mehr kannst, gehen wir«, flüsterte er mir leise zu, sodass nur ich es hören konnte.

Nickend lehnte ich mich an meinen besten Freund und ließ mein Blick aus dem Fenster gleiten, ehe ich meine Augen schloss. Scheinbar musste ich weggenickt sein, denn ein sanftes Rütteln riss mich aus meinem Dämmerzustand.

»Wir sind da Freya«, ertönte Samys beruhigende Stimme an mein Ohr, was mich die Augen ruckartig aufreißen ließ. Diese drei Worte ließen mich aus meinem Dämmerzustand schrecken. Wieder begann mein Herz zu rasen, mein panischer Blick glitt aus dem Fenster und ich entdeckte Neil und Bella die mit jemanden sprachen, doch die Person konnte ich nicht erkennen da die Geschwister sie mit ihren Körpern verdeckte.

Sam öffnete die Tür und ich fiel mehr aus dem Wagen, als das ich herausstieg. »Sehr elegant«, kommentierte Mire, als ich mit dem Knien im Gras landete. »Eine meiner Spezialitäten«, brummte ich zurück und ließ mir von Samy wieder auf die Füße helfen. Schnell klopfte ich mir den Dreck von der Hose und richtete meine Kleidung.

»Warum seid ihr hergekommen?« Diese Stimme. Ich würde sie, selbst nach alle den Jahren, wiedererkennen. Meine Mutter. Clarissa Davey. Neil trat zur Seite, sodass sie einen Blick auf mich werfen konnte. Schlagartig war ihr Lächeln wie weggewischt. Sie war gebräunt, keine Spuren mehr von der früheren bleichen Haut. Ihre strahlenden, blauen Augen musterten mich genau.

Früher hatte sie sehr helles, blondes Haar gehabt. Doch durch die Sonne waren sie nun eher hellbraun und wellten sich bis über ihre Brust. »Freya«, ihre Stimme, melodisch wie immer, wehte zu mir herüber. »Du hast also all diese Fremde mitgebracht.« Mutter schnalzte mit der Zunge und schüttelte leicht ihren Kopf, ganz so als wäre sie über unser Auftauchen nicht erfreut.

Als wäre es meine Schuld. »Irgendwie muss ich euch Flüchtenden ja gegenüber treten«, merkte ich an und warf mir das schwitzige Haar aus der Stirn. Schmunzelnd ahmte sie meine Geste nach, eine Eigenart von ihr, die sie wohl niemals würde ablegen.

Die Luft zwischen uns war zum Zerreißen gespannt, alle um uns herum schwiegen, während sich Mutter und Tochter mit Blicken förmlich bombardierten. Bis schließlich Magnus ein lautes Schnaufen von sich gab, gefolgt von einem meckern: »Können wir endlich rein? Dieser verdammter Koffer ist schwer und ich habe Durst!«

Innerlich dankte ich ihm für diese Unterbrechung, nun lag nämlich sämtliche Aufmerksamkeit auf dem Rothaarigen. »Na gut«, lenkte meine Mutter ein und gab ein resigniertes Seufzen von sich. »Dann kommt rein.«  

Enymir - No magic is infinite  #AtriumAward #IceSplinters18 #TeaAward2018Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt