33. Nichts - Alles normal

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Nun saßen beide am Bett, Astrid in Hicks' Armen, die sie fest an ihn drückten. Somit konnte er ihr besser in diesen Minuten voller brennender Schmerzen im ganzen Körper beistehen. Schon zu Anfang dieser Phase war die Blondine auf die Feststellung gekommen, dass die Schmerzen diesmal viel intensiver als die vorigen waren. Die Wikingerin konnte bei diesem stechenden Ziehen Hicks' leise Sätze fast nicht wahrnehmen. Der junge Mann stand zwar auch einem Nervenzusammenbruch nahe, aber er versuchte für seine Freundin Ruhe zu bewahren und redete beruhigend auf sie ein, auch wenn ihm klar war, dass es dadurch nicht gerade viele Fortschritte gab. ,,Ganz ruhig, du wirst es genauso wie beim letzten Mal schaffen. Das hoffe ich nicht, sondern ich weiß es.“ Einzelne Schweißperlen bildeten sich auf Astrids Stirn, ihre Augenbrauen saßen tiefer, da die junge Frau ihre Augenlider fest zusammenpresste, genauso wie ihre Fäuste. Ihrem Mund entkam schmerzerfülltes Wimmern, welches zeigte, wie sie gegen die Schmerzen ankämpfte - Auch wenn es sie somit noch viel mehr Kraft kostete. Neben ihren Lauten waren draußen die Geräusche des tobenden Sturmes zu hören. ,,Du schaffst das“, flüsterte der Braunhaarige noch einmal. Ein letztes Keuchen ertönte, dann merkte Hicks, wie sich Astrids Muskeln entspannten und sie sich ihren übrigen Kräften entnommen in seine Arme sinken ließ. ,,Gut so, jetzt hast du es hinter dir“, versicherte das Oberhaupt von Berk, die Erleichterung, dass sich diese schrecklichen Schmerzen für den Moment zurückgezogen haben, machte sich in ihm breit. Schließlich küsste er noch kurz die Stirn seiner Partnerin und legte sie dann ins Bett zurück. Während er die Decke über ihren mit Gänsehaut bedeckten Körper legte, verkündete er: ,,Du solltest dich jetzt ausruhen, ich hole uns jetzt schnell ein Abendessen und dann legen wir uns beide schlafen.“ Diesmal konnte der Berkianer ohne Störungen die Treppe hinunter steigen.
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Das erste, was Hicks erblickte, war die hölzerne Decke seines Zimmers, als er seine Augen öffnete. Nachdem er sich an das Sonnenlicht, welches durch das Fenster schien, gewöhnt hatte, schaute er neben sich, um seine schlafende Freundin vorzufinden. Der junge Mann streckte seine Hand nach der Schulter der am Rücken liegenden Blondine aus und rüttelte leicht an dieser. ,,Aufwachen, Mylady“, flüsterte er. Als Hicks nach ein paar Sekunden keine Reaktion erhielt, versuchte er es nochmal mit Rütteln. Wieder keine Reaktion. ,,Astrid?“, fragte der Braunhaarige nun leicht irritiert, da die Frau sich normalerweise in einem ziemlich leichten Schlaf befand und leicht aufzuwecken war. Bald setzte sich das Oberhaupt auf und betrachtete seine Freundin von oben. Alles schien normal - Zumindest für jemanden, der eine höchst gefährliche Krankheit hat, die einen mit grausamen Schmerzen langsam in den Tod beförderte. Ja, definitiv normal. ,,Astriid, wach aauf“, summte Hicks und schüttelte die Blondine nun etwas härter als zuvor. Nichts. ,,Astrid?“ Nichts. ,,Süße?“ Und wieder nichts.
Doch dann kam der Drachenreiter auf eine schreckliche Erkenntnis. Nun merkte er, dass die Person vor ihm sich nicht rührte. Im Schlaf tat man dies ja auch, also wäre es auch nichts außergewöhnliches, würde Astrids Brust sich noch bewegen. Doch das tat sie nicht.
Völlig überstürzt begann der Wikinger die Berkianerin mehr und mehr zu schütteln, wiederholte dabei ständig ihren Namen, er ließ seiner Nervosität freien Lauf, zeigte sie auch äußerlich und sperrte sie nicht in sich ein. Der Gedanke, etwas war fehlgeschlagen oder die Informationen über die Seuche der Götter könnten falsch gewesen sein und Astrid steuerte geradewegs mit hohem Tempo auf das Tor zum Tod zu - oder war dort schon längst angekommen - kam in seinem Gehirn auf. ,,Astrid?! Komm schon, sag doch was. Du kannst doch nicht...“ Doch mit einem Satz, dem Klang ihrer Stimme, fielen seine vielen Sorgen in den Abgrund. ,,Ich lebe noch“  Täuschte Hicks sich oder war ihre Stimme noch rauer und ihre Tonlage noch dunkler geworden?
Mit einem tiefen Seufzer der Erleichterung ließ sich Hicks zurückfallen und schluckte die Panik hinunter. ,,Du hast mir den Schock meines Lebens verpasst.“ ,,Eine Entschuldigung bekommst du nicht“, versprach Astrid, allerdings konnte sie weder lächeln, noch die Schmerzen des Sprechens verbergen. Immerhin hatte ihr Herz eine gute Minute die Herzschläge ausgesetzt.
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,,Seid ihr alle soweit? Wir haben einen langen Weg vor uns“ Auf die Worte des Stammesoberhaupts nickten die Drachenreiter und ihre Drachen gaben zustimmende Laute von sich.
Der heftige Sturm hatte sich vollständig zurückgezogen. Zum Glück hatten die Berkianer am Tag davor alles ordentlich gesichert, sodass es außer einer eingebrochenen Stelle in einem Dach eines Hauses keine Zerstörungen gab. Nun begannen die Dörfler, wieder alles aufzubauen, aufzurichten und alles von den Häusern wieder raus zu bringen. Bald würde wieder alles normal ablaufen, fröhliche Berkianer würden wieder durch das Dorf spazieren, mit anderen plaudern und tratschen.
Mit genügend Proviant für den Flug zu der Insel der Beschützer des Flügels hoben die vier Drachen, auf ihnen Hicks, Fischbein, Rotzbakke, Taffnuss und Raffnuss, ab. Valka blieb wie schon gewohnt bei Astrid und sorgte für sie und auch ihren Drachen.
Es dauerte mehrere Stunden, bis die Freunde die Insel erkennen konnten. Inzwischen stand die Sonne bereits auf ihrem höchsten Punkt im Süden und würde bald wieder sinken. Die ganze Zeit über verspürte Hicks dieses mulmige Gefühl. Aber nicht nur er, sondern auch die anderen hatten es in sich. Sie schoben mit aller Kraft die letzte Hoffnung aus ihrem dunklen, tiefen Versteck heraus. Das letzte bisschen Hoffnung. Würde diese verschwendet werden und Mala und die anderen Bewohner der Insel hätten keine nützlichen Informationen für das Gegenmittel, wäre das zuerst der Untergang ihres Optimismus und dann der Untergang von Astrid. Diesen Gedanke konnte man nicht wirklich als amüsierend bezeichnen.
Ein erfreuter Empfang folgte. Jeder einzelne Bewohner der Insel bekam den Besuch mit und schon bald hatte sich ein großer Kreis um die Drachenreiter gebildet. Dass die Beschützer des Flügels so ihre Freude zeigten, brachte die Drachenreiter zu einem Lächeln. Sie beobachteten, wie Mala, die Anführerin, neben ihr ihr treuer Anhänger Throk, auf sie zukamen. Sie zeigten ebenfalls Freude als auch Überraschung. ,,Hicks Haddock und die Drachenreiter von Berk. Was führt euch zu uns?“ ,,Und wie ich sehe seid ihr ziemlich wenig. Wo ist Fräulein Astrid?“  Hicks beantwortete seine Frage: ,,Ihr habt es schon herausgefunden, es geht um Astrid.“ Und somit wurde die Geschichte wieder mal erzählt. Wie oft sie wohl jetzt schon erzählt worden ist? Ziemlich oft - Soviel steht fest. Und wie immer kamen als Reaktionen Hände vor dem Mund und große Augen heraus. ,,Wird sie es denn schaffen?“, fragte Throk besorgt. Er konnte sich Astrid nicht so schwach vorstellen. Er kannte sie nur als furchtlose Kriegerin, als eine Hofferson. Hicks verkündete: ,,Das kann niemand wissen. Nicht solange wir nicht das Gegengift finden. Wir sind hergekommen, um euch zu fragen, ob ihr vielleicht irgendetwas über die Seuche der Götter habt. Irgendetwas niedergeschriebenes.“ Mala meldete sich sofort: ,,Ich wüsste nichts darüber. Aber wie ihr gesagt habt, ist diese Krankheit schon längst ausgestorben und niemand kennt sie mehr. Vielleicht haben wir ja doch etwas für euch. Gehen wir zu unserer Heilerin, Mederi.“ So folgten die fünf Berkianer Mala und Throk zu der Heilerin, während die Dörfler verschwanden und sich wieder ihren eigenen Dingen widmeten. Sie nahmen Kurs auf eine ziemlich kleine Hütte. Nachdem Mala geklopft und die Heilerin alle hereingelassen hatten erkundigte die Anführerin der Insel sich nach einem Zettel über diese Krankheit. Zuerst musste Mederi, eine 57-Jährige, deren Haare noch erstaunlich blond und nicht grau gefärbt waren, gründlich nachdenken, dann aber holte sie eine Kiste unter einem Regal hervor und suchte ein gewisses Blatt Pergament. Gefunden, reichte sie es ihrem Oberhaupt mit einem: ,,Hier haben Sie ihr Keuchen von Spöttern.“ Verwundert betrachtete Mala die falsche Überschrift. ,,Ähm...Mederi, wir suchen nicht das Keuchen von Spöttern, sondern die Seuche der Götter.“ Die Heilerin blickte die Blonde genervt an und legte ihre Stirn in Falten. Dann zeigte sie auf das Blatt und behauptete: ,,Ja, das ist es. Das Keuchen der Spötter, das was Sie suchen.“ Seufzend wandte Mala sich an die verwirrten Berkianer und erklärte im Flüsterton: ,,Mederi hört nicht besonders gut.“ Rotzbakke verschrenkte seine Arme und meinte trotzig: ,,Ja, das haben wir bereits gemerkt.“ Während Mederi wieder in der Kiste rumwühlen musste, da dort so viele Papiere auf einmal waren, kniete Fischbein sich hin, als er das Wort Seuche von einem Zettel herausstechen sah. ,,Hey, seht mal!“ Doch sobald Fischbein das Blatt in seine Hand nahm und den Titel las, senkte sich der aufgeregte hohe Ton in seiner Stimme wieder. ,,Ups. Fehlanzeige, da steht nur Die Seuche der Gärtner.“ Völlig überrumpelt ließ der Blonde sich das Pergament von Hicks aus der Hand reißen. ,,So ein Blödsinn. Fischbein, da steht Die Seuche der Götter!“ Man merkte sofort wie seine Stimme nach Optimismus und Aufregung klang. Sogleich drängten sich alle unruhig an Hicks, um zu sehen, was am Papier stand. Die Hoffnung, dieser Zettel würde Informationen über das Gegengift, eine unbekannte Beere, enthalten, flammte wieder auf. Der Haddock-Junge las laut vor: ,,Es gibt drei Schritte, der erste dauert vermutlich zwei bis fünf Tage, der zweite fünf bis sechs, bla, bla, bla. Es gibt Phasen voller Schmerz, wobei man sich nicht auf den Beinen halten kann. Man nennt sie Schmerzphasen. Tja...Die haben wir jetzt auch schon kennen gelernt. Egal. Der letzte Schritt dauert eine Stunde, bla, bla bla. Hier! Das Gegengift! Es ist eine namenlose Beere, die man auf der Petiviinsel finden kann.“ Perplex blieb Hicks' Blick nur auf dem Zettel liegen. ,,Na super! Woher sollen wir wissen, wo diese Petotoinsel steckt?“, beschwerte sich Rotzbakke. ,,Habt ihr nichts anderes? Keine anderen Zettel?“, fragte das Stammesoberhaupt von Berk mit einer etwas brüchigen Stimme nach, ließ seine Hände mit dem Blatt Pergament sinken und fokussierte Mederi. Diese setzte sich einen traurigen Blick auf, worauf Hicks die Antwort bereits vor sich sah. Doch kurz bevor die Heilerin zu Wort kommen konnte, tat Taffnuss dies: ,,Hey, ich bin mir nicht ganz sicher, was wir hier suchen, aber könnte das hier helfen?“ Ganz plötzlich hielt er eine Karte in der Hand. Und auf dieser Karte war eine Insel mit einem Kreuz markiert und darunter der Name der Petiviiinsel geschrieben worden. ,,Taff, du bist großartig!“ Mit einem riesigen Lächeln im Gesicht legte Hicks dem Blonden eine Hand auf die Schulter und nahm ihm dann die Karte ab. Mit verstellter Miene winkte Taffnuss dem Nichts entgegen und sagte dabei: ,,Oh nichts zu danken. Ich stehe meinen Fans doch immer treu zu Diensten. Ich weiß, ihr liebt mich. Und ich liebe mein Morgensternchen.“ Begeistert betrachtete Hicks die Karte. ,,Die Insel ist ungefähr zwei Stunden von hier entfernt. Und das bedeutet...“ Kurz ließ der Braunhaarige sich diesen Gedanken durch den Kopf gehen und realisierte dann, wie spät es bereits war. ,,Das bedeutet, dass wir die Beere heute nicht mehr holen können. Bis wir in Berk angekommen sind ist es schon sehr spät und die Drachen würden viel zu müde sein. Aber wir müssen doch diese Beere holen!“ ,,Hicks, komm runter! Wir haben noch genügend Zeit, um die Beere zu holen. Immerhin bleiben uns noch um die drei Tage. Es wird schon passen, wenn wir die Beere morgen holen.“, meinte Rotzbakke. Widerwillig nickte das Oberhaupt und gab zu: ,,Du hast wohl recht.“ ,,Super. Dann lasst und gleich aufbrechen. Und morgen werden wir Astrid endlich von dieser Krankheit befreien können!“ Erfreut klatschte Fischbein in die Hände. Hicks erstellte sich kurz ein falsches Lächeln und ersetzte es dann durch ein echtes, dankbares, als er sich an Mala wandte: ,,Wirklich vielen Dank, ihr habt uns großartig geholfen. Aber wir müssen jetzt echt los, sonst kommen wir ziemlich spät auf Berk an.“ ,,Natürlich, wir verstehen das, Hicks Haddock. Wir freuen uns sehr, dass wir helfen könnten. Nun habt eine gute Heimreise. Wir hoffen zutiefst, dass Astrid wieder gesund wird.“ Mit diesen letzten Worten sah Mala gemeinsam mit Throk zu, wie die Berkianer auf ihre Drachen stiegen und mit hohem Tempo in den Wolken verschwanden.

Hiccstrid ~ Schwere Zeiten ✅Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt