Prolog

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Viele Jahre waren vergangen, seit Silver Proud Kayla in einem magischen Duell besiegte und der große Bestiatus, Arktos, sich der Macht zweier mutiger Fohlen gebeugt hatte. Die einst so kleinen Herden Nimaryas waren seither stets gewachsen und Silver Proud, der mit der großen Menge an neuen Herdenmitgliedern nicht alleine fertig wurde, hatte begonnen, die Herde unter seinen treuesten Freunden aufzuteilen.

Panthera, Fjalar und Black vererbte er die Herde der Eingebung. Nur die klügsten und kreativsten Pferde seiner Herde wurde die Ehre zuteil, unter Blacks Herrschaft zu leben. Die Herde der Eingebung war bekannt für ihre cleveren Heilmethoden und Zaubersprüche, die alles überstiegen, was bisher in Nimarya bekannt war.

Puma und Cherie erbten die Herde der Treue. Puma war seit Lebzeiten Silvers treuester Begleiter gewesen und daher ehrte ihn Silver mit den tapfersten und kräftigsten Springern Nimaryas. Sie entwickelten sich in kürzester Zeit beeindruckend fort, sodass man überall in Nimarya zu munkeln begann, die Herde der Treue wäre abgehoben und hätte zu fliegen begonnen.

Pumas Sohn, Gale, ein graubraun gescheckter Junghengst hatte in der Zwischenzeit das Licht der Welt erblickt. Ihm war es vorbestimmt, der neue Leithengst der Herde seines Vaters zu werden, wenn dessen Zeit gekommen war.

Raven und Fuego vererbte Silver Proud die Herde des Zusammenhalts. Eine Herde aus Junghengsten, denen die beiden Streithähne beibringen sollten, wie man ein friedliches Zusammenleben garantieren konnte. Ob Raven und Fuego ihrer Aufgabe sehr gerecht wurden, war fraglich, denn sie konnten selbst nach all den Jahren nicht aufhören, sich wegen jeder Kleinigkeit zu zanken. Silver Proud sah dies jedoch nicht als Nachteil an. So wurden sie den Junghengsten wenigstens zu einem Beispiel, wie sie eben nicht miteinander umzugehen hatten, bis sie sich entschieden, welcher Herde sie sich letztendlich anschließen wollten.

Die Herde der Wölfe verblieb im Wald, den sie schon vor ihrem Aufeinandertreffen mit dem silbernen Hengst regiert hatten. Delta und Darana hatten die Herde der Wölfe jedoch verlassen, um in die Berge zu ziehen. Silver Proud teilte ihnen die stärksten und größten Pferde zu, die in Nimarya lebten. Meist Kaltblüter, Tinker, Clydesdales und Shire Horses, die nicht wussten, was sie sonst mit ihrer Kraft anstellen sollten.

Die Herde der Tapferkeit war bekannt für ihre enorme Stärke und Ausdauer. Sie traten sich riesige Felsbrocken aus dem Weg, um sich Lager und Höhlen zu formen, in denen sie leben konnten. Zur Tarnung nahm ihr Fell die Farbe von den Steinen an, die sie umgaben, bis ihr Fell schließlich komplett zu einer steinernen Rüstung wurde. Nach Silver Prouds Zeit geriet die Herde der Tapferkeit jedoch in Vergessenheit und verschwand fast vollständig von der Bildfläche.

Niki war zu einer sehr weisen Stute geworden und lebte mit ihrem Gefährten, Max am Rande des Tals, wo sie Stuten beim Abfohlen half und von Herde zu Herde zog, um weitere Corlupi ausfindig zu machen. Seit Miss Twiggy hatte es jedoch keinen anderen Corlupus mehr in Nimarya gegeben und so blieb Niki die einzige Vertreterin ihrer Art.

Silver Proud, der mächtige Herrscher Nimaryas, verblieb im Zentrum seines Reiches, an dem einst die schwarze und die weiße Herde ihre Tage verbracht hatten und leitete dort die Herde der Vereinigung. Er regierte sein Land gerecht und mit viel Gespür. Die Pferde aus Silver Prouds Herde waren bekannt für ihre Geschwindigkeit und ihr reines Herz. Silver Proud und seine Gefährtin, Saphira, waren geliebt von allen Herdenmitgliedern, die Nimarya bevölkerten.

Magie war in den vergangenen Jahren zu einer gewohnten Sache geworden, denn nach der Wiederkehr der Macht des Steins des Lebens waren Funken aus allen Dimensionen versprüht worden und hatten Fohlen mit den verschiedensten Kräften hervorgebracht. Silver Light, die Tochter von Silver und Saphira hatte jedoch keine magischen Kräfte ausgebildet, aber Silver war sich trotzdem sicher, das seine Tochter zu Großem bestimmt war...

Silberherz sah hinauf zu der gewaltigen Statue, die über den Köpfen von ihm und seinem Sohn, Nordstern prangte. Es war eine äußerst kunstvolle Darstellung eines Pferdes von außergewöhnlicher Schönheit. Macht und Kraft strömten von ihr aus und Nordstern fühlte sich sofort geborgen, wenn er in die Augen des steinernen Hengstes blickte. Der schwarze Islandhengst schüttelte die schneeweiße Mähne mit der einen schwarzen Strähne im Schopf. Seine blauen Augen suchten nach so etwas wie Freude in den Zügen seines Vaters, fanden jedoch nichts dergleichen.

„Aber Silberherz", riss Nordstern seinen Vater aus den Gedanken, „Wo sind Silver Proud, Puma und Black jetzt?"

Silberherz Blick wich keine Sekunde von der großen, moosbewachsenen Statue ab, sein Blick voller Liebe und Respekt, dann blickte er seinen Sohn an und etwas trübes erschien in seinen Augen. Eine Traurigkeit, die sich Nordstern nicht erklären konnte kam über ihn und seinen Vater und er wünschte sich für einen Augenblick, dass er nicht gefragt hätte.

„Nordstern, weißt du... der Grund warum uns hier im Tal Unsterblichkeit gewährt ist, ist schlichtweg, dass viele Pferde dafür ihr Leben gelassen haben. Silver Proud hat die Einsamkeit nicht ertragen und wacht nun in Form dieser Statue über uns."

Nordsterns Herz sank ein Stück. Zu gerne hätte er den mächtigsten Herrscher aller Zeiten kennen gelernt. Seinen Verwandten, seinen Vorfahren, dem Begründer seines geliebten Heimatlandes. Plötzlich schoss ihm ein Gedanke in den Kopf, den er nicht schweigend ertragen konnte. Silberherz' Erzählungen waren Nordstern sehr zu Herzen gegangen. Silvers Sieg über Kayla, die Rettung seiner Gefährtin, sein Besuch in der Menschenwelt, auf dem Hof, auf dem Nordstern selbst aufgewachsen war. Immer in Begleitung seiner treuen Gefährten, die ihn nie im Stich gelassen hatten. Nordsterns Nüstern begannen zu beben.

„Aber das heißt doch, dass alle seine Freunde..."

Silberherz nickte mit hängenden Ohren. Nordstern wusste, dass er Silver Proud und seine Freunde in seinen Fohlentagen noch gekannt hatte. Mit ihnen war ein Teil Nimaryas gegangen und mit diesem Teil Nimaryas auch das Paradies, das es einst gewesen war.

„Silver Proud war ein kluger Leithengst und alles was er tat, tat er nur zum Wohle seiner Nachkommen. Es hätte keine Toten gegeben, wäre da nicht die Gier eines Einzelnen gewesen, der die Unsterblichkeit für sich alleine wollte und in seiner Gier einen Großteil dessen ausgelöscht hat, was sich Silver Proud in all den Jahren hart erarbeitet hatte."

„Oh", schnaube Nordstern traurig. Er konnte nicht verstehen, wie Unsterblichkeit so verlockend sein konnte, dass man dafür über Leichen ging. Er selbst hatte lange Zeit nicht einmal von seinen magischen Kräften gewusst und war trotzdem glücklich in Romarya, der Menschenwelt, gewesen. Sterblichkeit und Verletzlichkeit hatte er jahrelang mit ansehen müssen, als alte Pferde in den großen Himmel der Gnade gewandelt waren. So hatten sie es sich in Romarya vorgestellt. Was Nordstern jetzt hörte bestürzte ihn so sehr, dass er zu zittern begann.

„Vergiss nie, mein Sohn: Die Verlockung der Unsterblichkeit ist groß, denn sie macht dich mächtig, weil dir niemand etwas anhaben kann, doch sie macht auch einsam. Du siehst die Jahre an dir vorüber ziehen, siehst Blätter wachsen und fallen, siehst Fohlen aufwachsen und alt werden. Das Leben zieht an dir vorüber und es nimmt kein Ende. Was wir hier im Tal haben, ist ein freiwilliges Gut. Jedem hier steht es zu, das Tal der Unsterblichkeit zu verlassen und seine letzten Tage in Ehre zu verbringen, wenn er es möchte."

Silberherz sah wieder zu der Statue hinauf und senkte dann dankbar den Kopf.

„Silver Proud hat sich in Stein verwandelt, weil er einsam war, aber trotzdem für uns da sein wollte. Ich habe nie ein Pferd gesehen, das ihm in irgendeiner Weise das Wasser reichen konnte. Er war so mächtig wie kein anderer und trotzdem immer für uns da. Er hat sich nie abgehoben gefühlt, war niemals arrogant und tat niemals etwas aus bösem Willen. Und ich wette mit Dir, wenn Nimarya in großen Schwierigkeiten steckt, wird er zurückkehren und uns vor dem Schlimmsten bewahren!"

Silberherz bedeutete Nordstern, ihm zu folgen und der junge Hengst tat einige Schritte vorwärts, um mit seinem Vater Schritt zu halten. Er konnte sich aber nicht zurückhalten, um der Statue noch einmal in die Augen zu sehen und ihm ein kleines Gebet zu schicken.

Vielen Dank, Silver Proud, mein Urgroßvater. Vielen Dank für alles, was du diesem Land gegeben hast. Ich danke dir!

Ein warmer Strom durchzuckte Nordstern, als sein Gebet zu Ende war und kurz, nur ganz kurz meinte Nordstern, dass Silver Proud ihm ein kleines Lächeln geschenkt hatte.

Silver Heart - Die Legende des silbernen HengstesWo Geschichten leben. Entdecke jetzt