Kapitel 2

2.3K 187 85
                                    

„Mist", fluchte ich leise vor mich hin, während ich noch schnell mein Zeug in meine Tasche stopfte.
Parallel dazu zog ich wahllos Klamotten aus meinem Kleiderschrank. Bei näherem Betrachten überlegte ich es mir jedoch anders. Das T-Shirt war mir schon zu klein und die Hose hatte noch den Kaffeefleck von Gestern. Entnervt öffnete ich meinen Kleiderschrank erneut. Okay tun wir doch heute mal so, als wäre ich ein bisschen modisch.
Letztendlich lief es jedoch wieder auf eins von Linas Greenpeace-T-Shirts hinaus, welches sie mir zum letzten Geburtstag geschenkt hatte.
Meine Familie, das heißt, meinem Vater war es eigentlich relativ egal, aber meiner Schwester und meine Mutter, fanden meinen Kleidungsstil 'schrecklich', 'unweiblich' und 'nicht elegant genug'.
Meine Kleidung war meine eigene kleine Rebellion.
Auch als ich jetzt in die Küche hastete, um mir noch eine Flasche Wasser einzupacken, musterten sie meinen Aufzug kritisch.
„Willst du wirklich SO in die Schule gehen", wollte meine Schwester wissen und zog eine ihrer perfekt gezupften Augenbrauen nach oben.
„Selbst wenn ich es nicht wollen würde, hätte ich keine Zeit mich umzuziehen", erklärte ich, als ich schon fast aus der Tür war.
Mein Handy hatte mich nicht geweckt, da es keinen Strom mehr hatte. Lina, die selbst morgens nicht wirklich aus den Federn kam, hatte mir schon immer gepredigt, dass ich mir doch einen richtigen Wecker kaufen sollte.
Das hatte ich nun davon, ich musste jetzt wie eine Verrückte zur Bahn rennen.
Im letzten Moment stürmte ich herein und ließ mich auf einen freien Platz, neben einer älteren Dame, sinken. Ich schnappte erstmal nach Luft, weil meine Lunge zu Platzten drohte.
Schon von Weitem erkannte ich Lina an der Haltestelle an ihren Haaren, die zu unzähligen kleinen Zöpfen geflochten waren.
Sie stieg schlecht genau, was ich aber sowieso gewohnt war, in den Bus und trottete mit hängenden Schultern und müdem Blick auf mich zu. Wortlos ließ sie sich mir gegenüber auf einen freien Platz fallen und reichte mit genauso still meinen Kaffee, den sie jeden Tag aus unserem kleinen Lieblingscafé holte.
Während sie ihren Kaffee schwarz trank, bevorzugte ich Kaffee Latte mit extra Karamell und Kakaopulver. Genau die Mischung, die bereits gestern auf meiner Hose gelandet war.
Wie genau ich auf diese gestoßen war, wusste ich bis heute nicht, aber es war mir eigentlich auch egal.
Ohne mich von ihrer schlechten Morgenlaune beeindrucken zu lassen, nahm ich wortlos einen großen Schluck des viel zu heißen Kaffees.
Stattdessen starte sie vor sich hin und hatte Mühe die Augen aufzuhalten.
Spätestens nach der ersten Stunde konnte ich dann mit ihr rechnen oder eben nach dem Dauerlauf zur Schule, der jeden Morgen anstand.
Während ich an dem noch viel zu heißen Kaffee nippte überlegte ich, wie ich ihr am besten von dem merkwürdigen Besuch am Vortag erzählen sollte.
„Bei uns waren gestern Männer, die über irgendwas geredet haben was keinen Sinn ergab", fing ich an.
Lina schaute mich mit einem desinteressierten Blick an.
„Beide hatten einen Anzug an und sahen irgendwie wichtig aus", fuhr ich unbeeindruckt fort.
„Ich tippe entweder auf FBI oder Scotland Yard", erklärte sie schließlich nüchtern, was ihr einen verständnislosen Blick von mir einbrachte.
„Naja, wegen den Anzügen und so", versuchte sie sich zu erklären, was mir einen Lachanfall entlockte.
„Was ist daran jetzt so witzig?", beschwerte sie sich und schaute mich gespielt schockiert an.
„Naja", versuchte ich es nett auszudrücken, „Das ist schon ziemlich unwahrscheinlich."
„Ach, was ist daran den unwahrscheinlich. Es werden ja wohl kaum Agenten des russischen Geheimdienstes sein."
„Könnten wir da bitte ernsthaft herangehen?"
„Ja, aber nicht jetzt, wir müssen nämlich zum Unterricht, möglichst nicht zu spät."
In diesem Moment hielt der Bus an unserer Haltestelle und wir drängten uns mit den anderen Leuten nach draußen.

*

„Also die Schergen des Chaos sammeln sich und deshalb müssen sie handeln, weil sonst was genau passiert?", fasste Lina das zusammen, was ich ihr in der vergangen halben Stunde erzählt habe. „Das weiß ich nicht, das ist ja das Problem an der Sache."
Nach der Schule hatten wir uns gemeinsam in einen Park gesetzt um in Ruhe reden zu können.
Dadurch, dass die letzten zwei Stunden ausgefallen waren, hatten wir alle Zeit der Welt.
„Aber du musst davor geschützt werden", überlegte sie weiter ohne auf meine Antwort einzugehen.
Ich ließ meinen Blick durch den Park schweifen, konnte aber bis auf zwei Jogger, einen Hundebesitzer mit Hund und einem Typen, der in einiger Entfernung an einem Baum lehnte, nichts erkennen.
Allerdings schaute dieser unverwandt zu uns. Hastig senkte ich den Blick und schaute stattdessen zu Lina.
„Also sind sie gefährlich", stellte sie gerade begeistert fest. „Ich weiß ja nicht was dich so euphorisch werden lässt, wenn etwas Bedrohliches hinter mir her ist", erwiderte ich pikierte und schlang meine Jacke etwas enger um mich, da in diesem Moment eine Windböe die Blätter zum Rascheln brachte und mich frösteln ließ. Der heutige Tag war so viel düsterer als der Gestrige.
„Man Claire, das ist doch gar nicht sicher", wandte meine beste Freundin ein, die im Schneidersitz neben mir auf der Bank saß.
„Doch, weil ich nämlich bald fünfzehn werde", setzte ich ihr entgegen. Um genau zu sein Morgen. Ich hasste meine Geburtstage. Jeder lief gleich ab.
Direkt nach der Schule nutzen Lina und ich die eine Stunde um gemeinsam in unser Lieblingscafé zu gehen und meinen Geburtstag zu feiern, anschließend wurde ich von meiner Schwester entsprechend hergerichtet, sodass ich unter die Leute konnte, so wie sie es nannten.
Meine Geburtstagsfeier fand jedes Jahr in einer anderen Location statt und diente mehr dem Geschäftlichen, da alle möglichen wichtigen Verhandlungspartner anwesend waren, die Lina mit abschätzigen Blicken musterten. Ich musste in 'ordentlicher' Kleidung erscheinen und den ganzen Abend nett lächeln. Dabei wünschte ich mir einfach nur eine kleine Feier mit Familien und Freunden.
Ich schob meine Hände unter meine Oberschenkel, da es wirklich sehr kühl war und ich relativ leicht fror.
„Erinnere mich nicht daran", stöhnte meine beste Freundin gequält, die nur mir zu Liebe anwesend war.
„Und da hast du es noch gut, ich muss eins dieser wunderbaren Kleider anziehen", erklärte ich und rollte mit den Augen.
Lina grinste breit. Sie selbst hatte dieses Problem nicht, auch wenn meine Familie es nicht guthieß, weigerte sie sich ein Kleid anzuziehen. Eine neu gekaufte Hose mit dazu passender Bluse war das einzige Zugeständnis, das sie machte.
„Na ihr zwei habt ja Probleme", mischte sich eine weitere mir nur allzu bekannte Stimme ein. Lina und ich wirbelten herum und blickten direkt in das Gesicht meines besten Freundes, Julien.
„Du hast es ja auch einfach, dich mögen ihre Eltern", erwiderte Lina mit verschränkten Armen.
„Was kann ich denn dafür?" Julien schwang sich über die Lehne der Holzbank und ließ sich zwischen und fallen.
Meine beste Freundin rümpfte bei seinem Anblick die Nase.
„Du hast schon wieder eine neue Uhr."
Der Rotschopf folgte ihrem Blick zu seinem Handgelenk.
„Die Alte war kaputt und die hier ist sogar wasserabweisend", erklärte er und ein gewisser Stolz schwang in seiner Stimme mit.
„Eine Einfachere hätte es auch getan", tadelte Lina ihn.
„Leute, wir müssen doch jetzt nicht über seine neue Uhr diskutieren", mischte ich mich ein.
„Aber er ist nun einmal ein Opfer des Kapitalismus und denkt in keinster Weise an die Umwelt", beschwerte Lina sich.
Es war nicht so, dass die Beiden sich nicht leiden konnten, Nein. Sie kam nur nicht mit seiner Lebensweise zurecht.
Julien fuhr sich schuldbewusst durch die roten Locken.
„Ich habe dir schon oft erklärt, dass es wichtig ist. An der Börse zählt so etwas nun einmal."
„Du bist aber nicht an der Börse", entgegnete Lina.
„Aber an einer Eliteschule, die voller zukünftiger Börsianer ist", wandte ich ein und boxte spielerisch gegen seinen muskulösen Oberarm.
„Man bin ich froh, dass du da nicht bist", murmelte Lina.
„Meine Eltern arbeiten glücklicherweise nicht an der Börse."
„Aber sie verkaufen trotzdem Anteile ihrer Firma", belehrte Julien mich.
„Leute, das Thema wird mir gerade zu viel", beschwerte Lina sich und vergrub den Kopf zwischen den angezogenen Knien.
„Lasst uns lieber über deinen Geburtstag reden", stimme Julien zu, was mir und Lina jedoch nur ein genervtes Aufseufzen entlockte.

Hüter der HimmelsrichtungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt