Kapitel 10 - Teil 1

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„Ich nicht. Aber sie kann es", sagte der Hüter und deutete dabei auf mich. Eurus hatte das Selbe gesagt. Ich stand wie erstarrt da, während ich die Blicke der anderen auf mir spürte, die mich mit einer Mischung aus Verunsicherung und Misstrauen musterte.
„Wie, wie meinst du das?" versuchte ich herauszufinden.

„Du hast eine besondere Gabe", erklärte er. „Nutze Sie."
„Aber was ist es denn für eine Gabe?", fragte ich verzweifelt, da mich diese Information aus dem Konzept brachte. Die anderen dachten wahrscheinlich, dass ich ihnen etwas verschwieg, dabei war das doch nicht mal der Fall.

Sofort meldete sich mein Gewissen. Vielleicht sollte ich ihnen von meinen Träumen erzählen? Doch wie ich Jace kannte würde er das Ganze ins Lächerliche ziehen und darauf hatte ich wirklich wenig Lust.
„Was sollen wir jetzt tun? Was hat das ganze mit dem Fluch zu tun?", wollte Milan wissen.
„Ihr sucht einen Ort, der euch einiges über den Fluch verrät. Findet ihr ihn, findet ihr Antworten."

„Wieso könnt ihr uns die Antworten nicht geben?", fragte ich beinahe verzweifelt. „Der Fluch verbietet es uns", erklärte Notus knapp und beantwortete erneut keine meiner Fragen.

„Ihr dürft nun gehen, versucht so schnell wie möglich Zephyr zu besuchen. Euch läuft die Zeit davon. Denn der Fluch wird sich nicht noch einmal wiederholen und das bedeutet entweder das Ende des Fluches oder das Ende der Welt."

Wieso konnte denn niemand mal Klartext reden? Frustriert schnaubte ich.
Brecht den Fluch. Findet den Ort. Bekämpft das Chaos.
Aber mal sagen wie wir dies anstellen sollten, war zu viel verlangt.

Ohne eine weitere Verabschiedung spazierte Notus den Strand entlang, von uns weg und ließ uns allein stehen.
„Lasst uns zurück gehen", ergriff Milan das Wort und wir nickten zustimmend, da es wahrscheinlich das Sinnvollste war, denn von Notus würden wir nicht mehr erfahren.

Nacheinander sprangen wir in den Tornado und fanden uns wenig später an unserem Ausgangspunkt, auf der Spitze des Berges, wieder. „Was verschweigst du uns?", fragte Jace sogleich und trat einen Schritt auf mich zu, sodass er nun drohend vor mir stand.
„Ich, ich weiß nicht was Notus und Eurus meinen", brachte ich stockend hervor und versuchte möglichst selbstbewusst zu ihm hoch zu schauen.

Die Wahrscheinlichkeit, dass sie meine Träume meinten war doch verschwindend gering. Oder? Vielleicht sollte ich wirklich mal jemandem, außer Lina, davon erzählen. Vielleicht Milan? Doch wie sollte man so ein Gespräch beginnen?
Irgendwie hatte ich zu viele Fragen, auf die ich keine Antwort bekam.

Jace, der mir, meiner Meinung nach, viel zu nah stand, drehte sich nun zu den Anderen um, was mich erleichtert ausatmen ließ.
„Wie gehen wir jetzt weiter vor?", wollte er von Milan und Kyle wissen. Schloss er mich gerade bewusst von dieser Entscheidung aus?

Ich dachte nicht weiter darüber nach und machte einen Schritt an ihm vorbei, sodass ich die Anderen besser sehen konnte. „Also ich würde sagen, dass wir auf Notus hören und uns auf den Weg zu Zephyr machen", schlug ich vor.
Milan schien mit dieser Idee einverstanden und nur Jace hatte etwas dagegen.

„Wieso sollten wir das tun?", erwiderte er patzig. „Hast du eine bessere Idee?", fragte ich und forderte ihn geradezu heraus, mir zu widersprechen. Doch er schaute mich nur einen Moment böse an, bevor er zum reden ansetzte.
„Ich denke, wir sollten das Tor des Westens besuchen."

Ich konnte gerade so ein Schnauben unterdrücken. Das war ja nur genau das, was ich vorgeschlagen hatte. Milan sah meinen Blick und konnte sich ebenfalls nur schwer sein Lachen verkneifen.
Langsam setzten wir uns also in Bewegung.

„Gehen wir in das selbe Hotel?", wollte ich wissen.
„Nein, natürlich nicht. Wir werden ein anderes nehmen, da Azriel das Alte schon kennt", antwortete Jace, als wäre es selbstverständlich und ließ mich dadurch ziemlich blöd aussehen. Genau deswegen hatte ich gefragt. Ach egal, sollte er doch denken was er wollte.

*

Ich befand mich unter der Dusche. Jace hatte beschlossen, dass ich bei Ihnen im Zimmer schlafen sollte. Natürlich hatte ich protestiert, doch er war nicht darauf eingegangen und hatte mir keine Wahl gelassen. Mal wieder. Warum durfte er überhaupt alles hier bestimmen?

Wahrscheinlich, weil Milan einfach keinen Konflikt wollte und Kyle... Keine Ahnung was Kyle wollte. Wahrscheinlich war Jace es einfach nicht gewohnt, dass ihm jemand widersprach. Während ich mir meine Schlafsachen anzog, hörte ich wie sich die Jungs leise unterhielten.

„Wir sollten es ihr sagen", vernahm ich Milan's Stimme. Unwillkürlich hielt ich den Atmen an und hörte auf mich zu bewegen.
„Nein!", erwiderte Jace flüsternd, aber trotzdem mit schneidendem Unterton, der keinen Widerspruch duldete.
„Wie stellst du das dir denn vor? Sollen wir bei Zephyr ankommen und dann hat sie keine Ahnung davon?", warf nun Kyle ein.

„Wenn wir es ihr sagen, dann macht sie nicht mehr mit", erklärte Jace frustriert. Von was redeten die? Ich würde definitiv nicht einfach abwarten.
„Mir was sagen?", fragte ich und öffnete im selben Atemzug die Badtür. Drei Augenpaare starrten mich erschrocken an.

„Nichts", behauptete Jace.
„Ich lasse mich nicht abwimmeln. Entweder ihr erzählt es mir oder ich bin weg", stellte ich klar und verschränkte die Arme vor der Brust. Ich sah, dass Jace innerlich mit sich rang. Doch schließlich gab er nach.
„Es geht um den Besuch bei Zephyr."

„Ich weiß", erwiderte ich kühl. Jace schluckte bevor er weitersprach.
„Es ist nicht nur ein Besuch bei Zephyr", er stockte.
„Zephyrwirdsichmitdirverbinden." brachte er schließlich gepresst hervor.
„Was?" hakte ich nach, da er einfach zu schnell gesprochen hatte.

Bevor er erneut ansetzte, sog er tief die Luft ein. „Zephyr wird sich mit dir verbinden", wiederholte er, diesmal verständlicher. „Was bedeutet das?", wollte ich wissen. „Dass Zephyr einen Teil ihrer Macht an dich abgibt", erklärte Milan an der Stelle von Jace.

„Aber ich dachte ein Teil der Macht wohnt bereits in mir? Das ist doch der Grund warum ich diese Kräfte habe?", fragte ich verwundert. „Nein. Das ist deine eigene Macht", erläuterte Milan weiter.
„Wenn es nur bedeutet, dass ein Teil der Macht in mir wohnte, warum sollte ich dann dagegen sein?", forschte ich misstrauisch nach.

„Nunja. Es ist mehr als nur eine Abgabe von Macht. Zephyr wird ihren Geist mit deinem verbinden", beantwortete Jace meine Frage. Doch auch das kam mir nicht sonderlich abwegig vor und so schaute ich ihn einfach nur fragend an. „Das bedeutet, dass Zephyr auch durch dich handeln kann", stellte Kyle klar, dem das alles anscheinend zu lang ging.

„Also wie...", ich suchte nach den richtigen Worten, fand sie allerdings nicht. „Ihr teilt euch sozusagen einen Körper, beziehungsweise ein Teil von Zephyr wohnt in dir", formulierte Milan es genauer. Zephyr würde mich kontrollieren können?

„Was ist, wenn ich das nicht möchte?", hakte ich nach.
„Du hast wenig Wahl", stellte Jace fest und schaute stur auf den Boden. „Aber ich will nicht, dass mich jemand kontrolliert", rief ich aus.
„Zephyr wird dich nicht kontrollieren, das kommt so gut wie nie vor. Sie wird nur ihre Macht durch dich leiten und dich bei Ritualen unterstützen", versuchte Milan mich zu beruhigen, allerdings war ich gerade viel zu aufgewühlt.

Ich wollte nicht... kontrolliert werden. Ich brauchte niemanden, der so etwas für mich übernahm. Ich wollte das selber machen. Wollte es allein schaffen. Vielleicht war mein Verhalten kindisch, aber ich wollte nicht, dass irgendwer in meinem Kopf herumpfuschte.

Hüter der HimmelsrichtungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt