Kapitel 17 | Claire - Teil 2

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„Claire, wach auf", Kyle rüttelte mit seiner unverletzten Hand an meiner Schulter.
„Wieso?", murmelte ich verschlafen. Gerade jetzt, wo es interessant wurde, weckte er mich.
„Wo sind wir überhaupt?", wollte ich wissen, noch bevor er mir antwortete.
„Wir befinden uns an einer Raststelle in Frankreich.", klärte er mich auf und reichte mir einen Kaffee, den er Jace abnahm.
„Jace meinte, du magst vielleicht Kaffee Latte, ich war mir nicht sicher, aber du kannst auch meinen haben, wenn du das nicht magst", bot er direkt an und wirkte ziemlich unsicher.
„Nein, Danke. Kaffee Latte ist perfekt", murmelte ich, immer noch mit rauer Stimme und setzte mich auf.
„Wie lang dauert es noch bis nach England?" Fragend sah ich von meinem Kaffee aus und musterte Kyle, der immer noch in der geöffneten Tür stand.
„Wir nehmen die nächste Fähre von Calais nach Dover", rief Jace dazwischen, noch bevor Kyle überhaupt zum Reden ansetzte.
Na das konnte wohl noch dauern. So hatte ich aber immerhin genug Zeit über die Bedeutung des Traumes nachzudenken.
Morgause, die Schwester von Morrighan, wurde von Azriel auf die Seite des Chaos gezogen.
Hatte ich das richtig verstanden? Und Lancelot beziehungsweise Azriel hat sie bedroht, damit Morgause auf seine Seite wechselt. Aber warum war sie überhaupt auf seine Seite gewechselt? Und wer zur Hölle war nun wieder Guinerve?
Einen Moment überlegte ich, ob ich den Hütern davon erzählen sollte, verwarf diesen Gedanken jedoch wieder.
Momentan war unsere oberste Priorität Camelot zu finden und ich wollte den Beiden, genauer gesagt Jace, keinen Grund geben mir zu misstrauen. Ich würde mich nie für die Seite des Chaos entscheiden, da konnte Azriel mich bedrohen wie er wollte und meine Schwester stand nicht auf seiner Seite, sodass ich auch durch sie nicht beeinflusst werden konnte.
Allerdings machte mir das mehr als nur Angst. Nicht nur der Traum, nein, auch die Prophezeiung.
Das Geschehene wird wiedergeboren. Eigentlich bedeutete es, dass sich das Gleiche abspielen würde, was bereits in der Vergangenheit passiert war.
Bedeutete es auch, dass ich Böse war und auf der Seite des Chaos stand? Ich hatte bereits Chaosmagie genutzt. Die Chaosmagie der Exiti.
Bedeutete das, dass ich Stück für Stück böse wurde?
Würde ich mich für das Chaos entscheiden? Kalte Schauer der Angst liefen meinen Rücken hinab, ließen mich frösteln.
„Claire?" Jace, der wild mit seinen Fingern vor meinem Gesicht herum schnipste um meine Aufmerksamkeit zu erlangen, riss mich aus meinen Gedanken.
Langsam blickte ich zu ihm auf.
„Was ist?", fragte ich verwundert, nicht sicher, was genau er jetzt von mir wollte.
Kyle saß mittlerweile wieder auf seinem Platz direkt vor mir. Er hat sich umgedreht und zu mir gewandt.
„Musst du noch einmal auf Toilette?", wollte Jace wissen, „wenn ja wäre jetzt deine Chance."
Ich schüttelte nur den Kopf. Jetzt musste ich nicht.
„Gut, aber ich habe dich gewarnt." Mit diesen Worten schlug Jace die Tür zu und lief um das Auto herum.

Bereits eine Stunde später befanden wir uns irgendwo auf dem Ärmelkanal, zwischen England und Frankreich.
Gemeinsam mit Kyle stand ich an der Reling und starrte auf das Mitternachtsblaue Wasser.
Tatsächlich war es schon dunkel, sodass die Sterne am Himmel funkelten. Keine einzige Wolke verdeckte ihn.
„Denkst du Milan und Lina geht es gut?", durchbrach ich das Schweigen zwischen Kyle und mir.
Er zuckte mit den Schultern.
„Ehrlich gesagt, ich weiß es nicht", antwortete er. Ich hatte mit dieser Antwort gerechnet, auch wenn ich mir ein Andere erhofft hatte.
Schweigend starrten wir beide weiter auf das Meer.
Ich wusste nicht wieso, aber ich kam mir auf einmal so klein vor. So unwichtig, obwohl ich jetzt viel wichtiger für diese Welt war als früher. Früher, eine Ewigkeit, obwohl es erst ein paar Wochen waren. Früher, als ich noch ein normales Leben hatte, als Lina noch nicht wegen mir in Gefahr schwebte und ich noch Streit mit meiner Schwester hatte. Als meine einzigen Probleme die Schule betrafen.
In diesem Moment wünschte ich mir dieses Leben mehr zurück als je zuvor. Warum tat ich das überhaupt? Wieso ließ ich mich von Kyle in dieses Gefühlschaos stürzen, von Jace beleidigen und von Azriel bedrohen?
Warum verschwand ich nicht einfach und kehrte in mein normales Leben zurück?
Eigentlich lag die Antwort auf der Hand. So egoistisch war ich dann doch nicht.
Ich konnte meine Eltern nicht enttäuscht und ich würde die anderen Hüter nicht im Stich lassen.
„Danke."
Überrascht wandte ich mich zu Kyle um. Dieser räusperte sich, bevor er erneut zum Sprechen ansetzte.
„Danke, dass du meinem Leben etwas gegeben hast, wofür es sich zu kämpfen lohnt."
Mit großen Augen schaute ich ihn an. Wie er sich verlegen seine dunklen Haare aus dem Gesicht strich und seinen Blick dann abwandte.
Meinte er mich? Was sollte ich darauf nur antworten.
Wortlos trat ich einen Schritt näher auf ihn zu.
„Das", setzte ich an, brach jedoch ab. Meine Stimme klang heiser, so, als hätte ich Minuten lang laut geschrien.
„Das freut mich", brachte ich schließlich unbeholfen heraus.
„Weißt du, ich", begann ich erneut, wurde dieses Mal jedoch von Jace unterbrochen, der sich uns leise genähert hatte.
„Wollt ihr auch was Essen?", fragte er unbedarft und hielt uns eine Papiertüte entgegen. Ich konnte nicht erkennen, ob er wusste, über was wir gesprochen hatten oder nicht.
Kyle nahm sie stumm entgegen und inspiziert den Inhalt.
„Was ist das?", fragte er skeptisch, als er ein Sandwich mit einem undefinierbaren Belag herauszog. Mich erinnerte diese Creme oder was auch immer es war, an das Heilmittel, dass ich den Beiden auf ihre Verletzungen geschmiert hatte.
„Das ist Knoblauch-Basilikum-Frischkäse", klärte Jace auf ohne mit der Wimper zu zucken. Ich rümpfte nur die Nase.
Knoblauch stinkt widerlich.
„Für dich habe ich Käsebrötchen", wandte er sich an mich und ignoriert Kyles missmutigen Blick.
„Soll ich jetzt dankbar sein, dass es für mich keinen Knoblauch gibt?", fragte ich sarkastisch.
„Exakt. Das solltest du." Jace grinste nur leicht. Na wunderbar. Ihm war aber schon klar, dass Kyle mit uns in einem Auto saß?
„Danke." Ich hörte die Ironie in meiner Stimme. Genauso wie Jace er schaute mich nun abwertend an.
Was war bitte sein Problem? Wieso musste es Knoblauch sein?
Verstehe ihn, wer will. Ich zumindest schon einmal nicht.

Hüter der HimmelsrichtungenWo Geschichten leben. Entdecke jetzt