Kapitel 3

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Als Anthony die Treppe in das „Wartezimmer“ hinunterging hörte er bereits seine Mutter in der Küche. Der Herd schien zu laufen und man konnte das brodeln von kochendem Wasser hören. Doch anstatt nach der knapp entdeckten Misere mit seiner Mutter reinen Tisch zu machen, ging Anthony i  das geräumige Wohnzimmer, wo sein Vater vor der gläsernen Terassentür stand und irgendetwas im schwindenden Abendlicht beobachtete. Er musste Anthony gehört haben denn er begann zu reden.
„Ich weiß nicht was ich mit dem kleinen Buchsbaum dort drüben in der Ecke machen soll. Irgendwie passt er nicht zu den anderen.“
Er meinte einen kleinen , beinahe Verkümmerten Baum in der hintersten Ecke des riesigen Gartens. Alles in allem war der Garten mit mehreren Markisen, Bäumen und Sträuchern die fein säuberlich gepflegt waren sehr ansehnlich. Es war bunt. Für Anthony ein wenig zu bunt doch auf eine angemessene weise schön.
„Da der Baum in einem sehr durch Schlingpflanzen verdunkelten Teil des Gartens und der Mauer steht und dadurch nicht die optimalen Bedingungen für Wachstum und Gesundheit hatte war es von Anfang an ein auswegloses Unterfangen.“
Anthony´s Vater sah ihn nur an.
„Es ist ein Segen und ein Fluch einen Hyperintelligenten Sohn zu haben. Weißt du das?“
„Natürlich weiß ich das.“
Ein Grinsen umspielte die Lippen seines Vaters. Sie waren schmal geschnitten und passten wie die Faust auf´s Auge zu seiner Nase. Seine braunen Augen und seine blonden, kurz geschnittenen Haare ergaben einen perfekten Kontrast. Sein Gesicht hatte weiche Konturen und seine Wangen-Knochen waren perfekt. Er war groß. Größer als Anthony. Er war ungefähr 1,81 m groß. Sein stressiger Job hatte ihm bereits die ersten grauen Strähnen verpasst, wobei sie ihn bloß nur noch qualifizierter aussehen ließen. Sie vermittelten bloß ein Gefühl von Erfahrenheit und Weisheit.
Anthony´s Dunkelgrau dagegen vermittelte bloß den Eindruck er sei zu gestresst in seinem Leben. Was in diesem Augenblick auch stimmte, denn die Energie des Teilchenbeschleunigers war bei weitem noch nicht abgebaut. Sein Körper produzierte zu viele Hormone auf einmal, sodass sein Stress- und Adrenalinspiegel stiegen. Was nicht besonders normal war wenn man den Kontext des Gespräches verfolgte. Gartenarbeit war normalerweise nicht sehr Nervenaufreibend.
Er begann zu schwitzen. Die genau so muskulöse Gestalt seines Vaters, wie die von Anthony, drehte sich von der Scheibe weg. Sein Vater sah ihn an und runzelte die Stirn.
„Ist dir etwa zu warm?“
Sein Blick drückte Unverständnis aus und er sah auf das Thermostat. Solide 22°C Innentemperatur. Zimmertemperatur. Kein Grund für einen Menschen Schweißperlen zu bilden. Aber die Energie in Anthony spielte verrückt. Da er der Druckwelle ungeschützt ausgeliefert gewesen war, musste er schlussweigerlich einen Teil der Energie absorbiert haben. Und die spielte jetzt verrückt.
„Nein, nein. Es ist eine verspätete Reaktion auf die Anstrengung und die Temperaturen außerhalb dieses Hauses.“
Er schenkte seinem Vater das schmeichelndste Lächeln das er machen konnte und dieser zuckte bloß die Achseln und ging die Treppe in den Keller hinunter. Dort bewahrte er den Wein auf. Anscheinend gab es etwas zu feiern von dem Anthony nichts wusste. Aber dieser musste sich ab jetzt vor seinen Eltern verstecken und die Energie bis zum Essen loswerden. Bei einer langen Konfrontation mit den Symptomen würden mehr Fragen gestellt werden als bisher. Und das Essen war ein wunderbarer Zeitpunkt dafür.
„Mom! Ich bin nochmal draußen mir die Beine vertreten.“, schrie Anthony über den Lärm des kochenden Wassers hinweg seiner Mutter zu. Als er die Haustür aufzog kam die Antwort.
„Lass dir aber nicht zu viel Zeit. Essen gibt´s in einer halben Stunde.“
Jetzt war er unter Druck. Er musste Massenweise Energie verbrauchen und das in einer halben Stunde. So gut wie unmöglich. Er ging erst noch in normalem Tempo die Straße bis zur Kreuzung hinauf und lief dann in den Wald hinein. Dann begann er zu sprinten. Nicht aus irgendeinem bestimmten Grund, sondern um die Energie abzubauen. Er rannte und rannte durch den Wald. Ohne ein bestimmtes Ziel rannte er immer tiefer in den kleinen Wald hinein. Eines der letzten Naturschutzgebiete in Washington und mit Abstand das größte. Er sprang über herabgefallene Äste, große Steine und Wurzeln. Wenn er einmal ein Tier zu Gesicht bekam verschwand es direkt wieder im Dickicht. Anthony verlor das Zeitgefühl. Er rannte seit einer gefühlten Ewigkeit ohne die geringste Spur von Erschöpfung oder Schmerzen in den Beinen. Es war als hätte er unbegrenzte Energiereserven, obwohl die absorbierte Menge an Energie längst hätte verbraucht sein müssen. Während er sich in seinen Gedanken Berechnungen zuwandte, bemerkte er das laute Rascheln im Unterholz nicht. Erst als ein Markerschütterndes Knurren ertönte erwachte er aus seiner Benommenheit. Er sah sich um, doch nirgends bewegte sich etwas. Ein Gefühl von Bedrückung machte sich in ihm breit. Er schluckt einmal laut und sah sich nach einer provisorischen Waffe um.
Anthony war nur allzu bewusst das in diesem Wald Wölfe angesiedelt wurden. Er erhaschte im Gebüsch einen Blick auf eine Pfote, so groß wie seine Handfläche, die aber sofort ohne ein Geräusch zu verursachen verschwand. Anthony schnappte sich einen großen Ast und hielt ihn wie einen Speer. Er hatte einmal gelesen das ein Wolf Hetzjagden veranstaltete und man ihm in einem Dauerlauf nicht gewachsen war. Also versuchte er sich zu beruhigen und seine Gedanken zu sammeln. Das wichtigste war erst einmal wie groß das Rudel war. Bisher hatte er nur einen Wolf gesehen, doch er wusste das Wölfe nicht allein jagen. Also konzentrierte er sich auf Bewegungen in den Büschen und Sträuchern. Er stand in einer kleinen Kuhle die von seiner rechten und linken Seite  etwa 80cm zu ihm steil abfiel. Auf den Abhängen wuchsen Büsche und Sträucher und auch vor Anthony waren nur Büsche zu sehen. Der einzig sichtbare Ausweg war hinter Anthony, doch wenn er jetzt überstürzt versuchte zu fliehen, würden sie ihn jagen. Und gegen Wölfe kam er auch mit seiner zusätzlichen Energie nicht an. Also setzte er jetzt langsam und ganz sachte einen Fuß hinter den anderen und machte einen langsamen Rückzug.
Doch sobald er den ersten Fuß bewegt hatte erklang das Knurren wieder. Doch es schien nur aus einer Richtung zu kommen. Wenn ein Rudel Wölfe jagt fangen sie  immer gemeinsam an zu knurren. Meistens leitet der Alpha ein solches ein, doch dieses kam nur aus einem einzigen Busch. Aus dem direkt vor Anthony. Ohne drüber nachzudenken und zu dem Schluss zu kommen das es eine beschissenen Idee war, machte er nun kleine Schritte auf den Busch zu. Als er de ersten Fuß vor den anderen gesetzt hatte blieb das Knurren aus. Entweder er spielte dem Wolf gerade in die Karten und lief in sein Verderben, oder mit dem Wolf stimmte etwas nicht.
Anthony war nicht einmal eine Armlänge von dem Busch entfernt, weswegen er daraus schloss, das der Wolf ihm nichts tun wollte. Es wäre ein leichtes für einen Wolf gewesen aus dem Busch zu springen und Anthony die Kehle zu zerfleischen. Aber der Sprung und das zerfleischen der Kehle blieben aus. Der Wolf musste verletzt sein oder zumindest nicht mehr hungrig. Also machte Anthony zum ersten Mal in seinem Leben etwas ohne darüber nachzudenken. Er machte noch einen Schritt auf den Busch zu und schob die Zweige auseinander. Und plötzlich konnte er das volle ausmaß des Wolfes erkennen. Sein Fell glänzte dunkelgrau und wart mit roten Flecken überzogen. Er lag auf der Seite mit der Zunge aus dem Maul hängend. Die Augen konnte Anthony zwar nicht sehen, aber er ahnte das sie auf ihn gerichtet waren. Der Wolf war muskulös und der Kopf war riesig. Der Kiefer war prächtig und durch das offene Maul konnte Anthony die riesigen Fangzähne erkennen. Alles in allem war das ein furchteinflößendes Szenario, würde in der Flanke des Wolfes nicht eine Wunde klaffen.
Anthony ließ den Ast fallen was dem Wolf ein knurren entlockte. Jedoch längst nicht mehr so kraftvoll und Markerschütternd wie vorher. Als er versuchte sich zu nähern schnellte der Kopf nach oben und Anthony konnte die dunkelgrauen Augen sehen. Sie waren jung und Anthony fühlte sich plötzlich bedroht. Sie funkelten im Abendlicht das durch die dichten Baumkronen fiel. Während Anthony den Wolf anschaute und überlegte was er tun sollte, senkte der Wolf seinen Kopf wieder. Ein tiefer Atemzug des Wolfes endete in einem Röcheln und Blut sickerte aus der Wunde.
Anthony löste sich aus seiner Starre und suchte nach etwas um die Blutung zu stoppen. Er hat zwar nur Grundwissen auf dem Gebiet der Notfallhilfe, doch einen Chirurg als Vater zu haben schadete bei seinem Vorhaben nicht. Er kramte dicke und dichte Blätter zusammen und ein paar Stöcke. Als er wieder dem Wolf gegenüber stand rührte dieser keinen Muskel mehr. Nur das ständige auf und ab des Brustkorbes zeigte das er noch lebte. Anthony näherte sich ihm langsam und ohne Geräusche zu machen.
Dann trat er auf einen trockenen Zweig.
Die Augen des Wolfes öffneten sich schlagartig, doch weitere Reaktionen blieben aus. Er schaute Anthony nur eindringlich an. Dieser kniete sich neben die Flanke des Wolfes und sah zum ersten mal die erschütternden Ausmaße der Verletzung. Die Wunde war ziemlich tief und musste definitiv genäht werden. Es sammelten sich bereits kleine Insekten in ihr und Anthony kämpfte gegen den Brechreiz an.
„Was hat dir das angetan?“, fragte er mehr sich selbst als den Wolf. Er sah ihm in die grauen Augen und beobachtete die Reaktion darin. Wölfe waren intelligent. Sie waren zwar Tiere, wilde Tiere, aber doch sehr intelligent. Sie kannten verschiedenste Emotionen wie Schmerz, Angst, Wut und Fröhlichkeit. Die Augen dieses Wolfes waren voller Verzweiflung und Schmerz.
Anthony wusste zwar nicht genau wie alt die Wunde war, doch es konnte durchaus sein das er seit mehreren Tagen mit dieser Verletzung durch den Wald geirrt war. Verängstigt und gepeinigt von den Schmerzen. Und die Bewegung der Muskeln hatte die Wunde nur weiter aufgerissen. Ein Märtyrium mit nur einem Ausweg. Dem Tod.
Doch Anthony hatte andere Pläne. Er zog ein Fläschchen Desinfektionsmittel aus seiner Hosentasche und goss den Inhalt in die Wunde.
Der Wolf rekelte sich und jankte vor Schmerz, sodass Anthony befürchtete das er auf ihn losgehen würde, doch als er sich beruhigt hatte blieb er bloß weiter ruhig liegen. Die Wunde war jetzt zwar von den Insekten und Bakterien gereinigt, doch das Blut floss stetig hindurch. Zwar nicht viel, aber genug. Anthony presste die Blätter, die er vorher mit Desinfektionsmittel übergossen hatte, auf die Wunde und hoffte der Blutstrom würde dadurch abgemildert. Ein hoch auf seinen Vater das er ihm ein paar Tricks und Kniffe verraten hatte. Und das er Anthony nie ohne Desinfektionsmittel aus dem Haus ließ.
Nach ein paar Minuten nahm Anthony die Hand weg und betrachtete das Ergebnis. Die Blätter blieben wegen des Blutes im Fell kleben und das Blut floss nicht mehr, doch das war keine dauerhafte Lösung. Aber er konnte nichts weiter tun ohne Nähzeug  oder Verband. Er nahm die Äste in die Hand und zerquetschte sie in der Hand. Seine Wut war riesig. Er konnte nicht fassen das ihm nichts einfiel um dem Wolf zu helfen. Er zerquetschte immer weiter die Äste und wünschte er hätte Nähzeug. Plötzlich wurde die Innenfläche seiner Hand glühend heiß. Er schrie kurz und gellend auf und ließ den Inhalt seiner Hand auf den Boden fallen.
Anthony ergriff seine eigene Hand und presste sie sich an die Brust. Er hatte eine gehörige Verbrennung an der Innenseite seiner linken Hand. Er sah auf den Boden wohin er die Äste hatte fallen lassen um sich zu erklären, was so heiß geworden war.
Aber als er auf den Boden sah, sah er bloß piekfeines Nähzeug. Eine Nadel und ein zwar nicht aufgerollter oder weißer hygienischer Faden, aber dennoch genug Faden um damit die Wunde zu nähen.
Anthony sammelte das Nähzeug auf und betrachtete es eingehend. Er konnte sich bei bestem Willen nicht erklären woher es gekommen war oder wieso es ihm die Handfläche verbrannt hatte, doch er fragte nicht lange nach und machte sich ans Werk.
Er knotete den Faden um die Nadel und hoffte es würde halten. Dann ging er zu demWolf herüber. Dieser war bereits wieder voll bei Bewusstsein und beobachtete jeden von Anthony´s  Schritten. Dieser jedoch hatte gar keine Angst mehr vor dem Wolf. Er kniete sich neben ihn und packte die Wunde mit beiden Händen.
„Das wird jetzt weh tun, aber es hilft dir. Also wäre es in deinem Interesse mir nicht die Kehle herauszureißen.“
Und als hätte der Wolf ihn verstanden ließ er den Kopf sinken und blieb flach atmend liegen.
Dann machte Anthony sich ans Werk und nähte Stich für Stich mit dem aus dem Nichts einstandenen Faden die Wunde. Er fühlte sich hölzern an und war doch so biegsam wie normaler Faden.
Bei jedem Stich den Anthony machte fuhr der Wolf zusammen. Als Anthony schlussendlich sein Werk betrachtete war er stolz auf sich. Die Wunde war fachmännisch versorgt.
Also für einen Fachmann der auf die Schnelle ein paar Hilfsmittel finden musste. Er kniete sich jetzt neben den Kopf des Wolfes und deutete an mit seiner Hand den Wolf zu streicheln. Dieser hatte die Augen geschlossen. Doch kurz bevor Anthony´s Hand seinen Kopf berührte öffnete er die Augen und fletschte die Zähne. Zwar kein Knurren, aber auch keine offenherzige Einladung. Anthony machte sich nich allzu viel draus und packte den Wolf an den Hinterbeinen. Diesem gefiel das gar nicht und er meldete sich lautstark zu Wort. Doch Anthony zog einfach weiter und rückte ihn an einen Baumstumpf und legte ihm ein Bett aus Blättern zurecht.
„Hättest du mich töten wollen hättest du es längst getan, also tu nicht so als wärst du eine hoch gefährliche Bestie und zeig ein wenig Dankbarkeit.“
Anthony bedeutet dem Wolf das das Bett aus Blättern für ihn war und schlug ein paar mal sachte mit der flachen Hand darauf. Der Wolf sah in bloß desorientiert an.
„Na komm schon. Ich hab dir gerade nichts getan und habe es auch nicht vor. Vertrau mir.“
Anthony war durchaus bewusst das er Selbstgespräche führte, doch der Stress und die Stille machten ihm zu schaffen.
Der Wolf versuchte aufzustehen. Er hatte sichtlich schmerzen und diese machten ihm dabei große Probleme, doch Schlussendlich stand er auf allen vier Pfoten.
Ihn so zu sehen flößte Anthony Respekt ein. Er sah bedrohlich aus, auch wenn man ihm die Erschöpfung ansah. Als er begann zu laufen humpelte er zwar ein wenig, doch die Muskeln an seinem Körper waren trotzdem beeindruckend. Seine Schritte waren königlich präzise und wohl gesetzt. Anthony hatte bei dem Anblick des riesigen Wolfes nun keinen Zweifel mehr. Das war einst ein Alpha-Männchen gewesen. Seine Art zu schauen. Seine Art sich zu bewegen und jedes andere Merkmal deuteten darauf hin.
Doch das hieß wiederum das es ein Machtkampf gewesen war, bei dem er verletzt wurde.
Als der Wolf vor dem noch knienden Anthony stand überragte er ihn um eine Kopfgröße. Ein Atemberaubender Anblick der bei Anthony eine gewisse Angst auslöste. Auch wenn er ihm geholfen hatte, war der Wolf wahrscheinlich hungrig und immer noch ein Wildes  Tier. Es wäre nur logisch wenn er ihm die Kehle aufreißen würde um sich zu sättigen.
Doch der Wolf legte sich nur erschöpft auf den Blätterhaufen und legte seinen Kopf in Anthony´s Richtung.
Dieser legte ein letztes Mal seine Hand auf die Nähte und prüfte ob alles in Ordnung war. Als er sich vergewissert hatte das der Wolf die Nacht überstehen würde streichelte er ihm einmal über den Rücken und erhob sich.
„Ich komme gleich morgen um nach dir zu sehen.“, flüsterte er dem bereits schlafenden Wolf zu und sprintete zurück nach hause. Er wusste zwar nicht wie lange er weg gewesen war, doch es war definitiv länger als eine halbe Stunde gewesen.

Anthony Finch - Der Beginn einer ÄraWhere stories live. Discover now