Kapitel 6

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Wenn man es so sah war der Einbruch nicht das schlimmste was an diesem Tag hätte passieren können. Er war bloß ein Makel auf einem sonst sehr angenehmen Tag. Das einzige was Anthony die Stimmung vermieste war, dass Earl nicht mehr an seinem angestammten Platz lag.
Als er an der bestimmten Position im Wald angekommen war hatte er sich erst kurz umgesehen ob auch kein weiteres wildes Tier ihn anfallen wollte und war dann auf direktem Weg zu dem Baumstumpf gegangen. Doch als er das dichte Gebüsch überwunden hatte, war da kein Earl der auf den Blättern lag.
Anthony sah sich überall im Umkreis von 100 Metern um den Stumpf nach ihm um, doch kein Anzeichen von Earl. Dann setzte er sich auf den Stumpf und überlegte wie er so dumm hatte sein können. Earl war immer noch ein wildes Tier und dazu noch ein Wolf. Nur weil er ihn zusammengeflickt hatte, hieß das nicht, dass sie jetzt etwas verband.
Dann raschelte etwas im Dickicht. Blätter stoben auf und vereinzelte Zweige brachen unter leichtfüßigen wohl platzierten Schritten. Anthony stand auf und zog sein Taschenmesser. Zwar nicht sonderlich groß, aber effektiv. Dann sprang ein grauer Schatten aus dem Busch vor Anthony und landete direkt auf ihm. Anthony schlitterte ein paar Meter auf dem Rücken und verlor das Messer. Die Augen geschlossen und nach Luft ringend versuchte er das Gewicht auf seiner Brust wegzuschieben.
Dann leckte ihm das etwas über sein Gesicht.
Anthony öffnete die Augen und starrte in graue, glitzernde Augen. Es war Earl der ihn angefallen hatte und jetzt auf ihm saß. Eine schwere Last fiel von Anthony´s Herz, wurde aber durch etwas anderes ersetzt. Ein flaues Gefühl in der Magengegend. Earl saß direkt auf seinem Bauch und war auch schon vorher mit Wucht darauf gelandet.
Anthony schob ihn von sich herunter und übergab sich in das nächste Gebüsch. Kein Grund zur Sorge. Es war ein vollkommen normaler Prozess. Trotzdem war Anthony immer noch nicht wohler zumute.
Er drehte sich wieder nach Earl um und sah dem Wolf in die Augen. Fröhlichkeit und etwas das er als Belustigung interpretierte waren darin zu erkennen. Es war zwar ein wenig beängstigend die Gefühle eines Wolfes schon an seinen Augen zu erkennen, aber schnelles lernen gehörte nunmal zu Anthony´s Leben. Also setzte er sich bloß auf einen Baumstumpf und versuchte seinen Magen unter Kontrolle zu kriegen. Earl setzte sich einfach neben ihn und streifte ihn immer wieder mit der Flanke, wie eine Katze die Aufmerksamkeit brauchte.
Nach wenigen Augenblicken war Anthony dann auch wieder bereit aufzustehen und machte sich daran Earl von der Tüte mit dem Fleisch weg zu ziehen. Der Wolf hatte natürlich schon längst bemerkt was in der Tüte lag. Also machte Anthony sich auch nicht die Mühe es zu verstecken. Er packte ein riesiges Stück und warf es Earl zu. Dieser war anscheinend hungrig, denn er fing es aus der Luft und schlang es in wenigen Sekunden mit nur ein paar Bissen herunter. Beeindruckend.
Anthony packte das nächste Stück und warf es. Auch dieses fing Earl aus der Luft und hatte es mit derselben Geschwindigkeit verzehrt wie das vorherige. So langsam fing Anthony an sich Sorgen zu machen ob er auch genug Fleisch hatte. Doch schon nach dem nächsten Stück hatte Earl schon kein Interesse mehr an dem Fleisch. Er setzte sich einfach hin und starrte Anthony an. Wieder faszinierten ihn diese Augen und die Ausstrahlung des Wolfes. Sie waren fast schon königlich. Er konnte nicht verstehen wie ein solches Prachtexemplar an Stärke und Wendigkeit vom Thron eines Alphas gestoßen werden konnte.
Aber er hatte auch nicht ewig Zeit, weswegen er die Antibiotika und den Verbandskoffer aus der Tasche zog. Die Antibiotika stopfte er in ein kleineres Stück Fleisch und warf es Earl zu. Doch dieser ließ es einfach vor sich auf den Boden klatschen und beachtete es gar nicht weiter. Das Fleisch schien ihn überhaupt nicht mehr zu interessieren, vielmehr schien er es extra nicht zu beachten. Er starrte bloß weiter einen Busch hinter Anthony an. Irgendetwas stimmte nicht wenn ein Wolf Fleisch verschmähte. Anthony´s Paranoia ließ ihn sofort nach seinem Messer greifen, das immer noch im Dreck lag, und er machte Earl den Weg frei um den Busch zu inspizieren.
Dann bewegten sich Earl´s Ohren ruckartig in Richtung Busch. Auch wenn Anthony nichts gehört hatte verließ er sich dann doch auf die um ein vielfaches besseren Ohren von Earl. Dieser erhob sich jetzt langsam und wendete kein einziges Mal seinen Blick von dem Busch ab. Jetzt konnte auch Anthony etwas hören. Es hob sich bei weitem von dem Vogelgesang und dem üblichen Rascheln ab. Es war als würde ein Dampfhammer ruckartig in weiter Ferne auf den Erdboden schlagen. Ein dumpfer Schlag der auch aus weiter Ferne zu hören war. Anthony packte sein Messer fester und spielte in Gedanken alle Szenarien ab. Vom Auftauchen eines sehr massigen Eichhörnchens, bis zu dem Auftauchen eines Panzers. In 11 von 12 der Szenarien nahm es kein gutes Ende mit Anthony.
Earl machte einen Schritt auf den Busch zu, während das ständige dumpfe schlagen stetig näher kam. Langsam konnte Anthony sogar die Erschütterung spüren. Vögel stoben aus den Baumkronen und flüchteten in alle Himmelsrichtungen. Das Verhieß weiterhin nichts gutes.
Anthony bekam riesige Angst und schluckte einen Kloß herunter. Earl machte sich zum Sprung bereit und fletschte die Zähne. Wäre Anthony nicht bewusst das etwas noch gefährlicheres auf ihn zu kam hätte er Angst vor Earl bekommen. Der Wolf sah wenn er wütend war sehr bedrohlich aus.
Und dann stürzte ein Baum langsam auf Anthony und Earl zu. In Sekundenschnelle reagierte Anthony und sprang auf Earl zu und riss ihn zur Seite. Kurz nachdem sie aus dem Weg waren schlug der Stamm auf. Genau an der Stelle wo sie gerade noch gestanden hatten und begrub die Tasche mit dem Fleisch unter sich.
Als der Staub sich gelegt hatte und die Hammerartigen Schläge verstummt waren, konnte Anthony seinen Augen nicht trauen. Da wo der Baum gestanden hatte war jetzt ein riesiges Etwas. Es war mindestens so groß, dass es die Baumkronen berührte und sah aus als wäre es aus flüssiger Materie. Die Haut des Wesens waberte und änderte ständig die Beschaffenheit. Das Wesen war Dunkel, fast schwarz. Die Materie war undefinierbar und Anthony hatte so etwas noch nie gesehen. Das Wesen hatte Arme so lang wie sein gesamter Körper. Es stand aufrecht, doch man konnte nicht sagen wo der Kopf saß. Es hatte kein Maul oder Augen. Es bestand nur aus der undefinierbaren Materie. Die Beine des Wesens waren dick wie Baumstämme und hatte eine klar zu sehende Spur hinterlassen. Selbst ein blinder hätte ihr folgen können, da man praktisch hineinfallen konnte. Ohne zu Wissen warum, nahm Anthony eine Hand in die Luft und wedelte damit herum. Das Wesen zeigte keine Regung. Seit Anthony es beobachtete hatte sich nur die Materie immer wieder verflüssigt und verformt. Er machte einen Schritt zur Seite und das etwas zeigte wieder keine Regung. Anthony fragte sich ob es sich überhaupt für ihn interessierte. Dann machte er noch einen Schritt zur Seite und trat auf einen trockenen Zweig. Sofort drehte sich das Wesen zu ihm und der riesige Arm flog durch die Luft und raste auf Anthony zu. Dieser wich wieder nur Knapp aus. Aus diesem Verhalten schloss Anthony das das Wesen ihn zwar nicht sehen, aber dafür um so besser hören konnte.
Und das es feindselig war.
Er machte ein paar schritte zurück und achtete darauf so leise wie möglich zu sein. Als er außer Reichweite war versuchte er etwas zu finden, womit er sich sehr leise aus dem Staub machen konnte. Doch dann fiel ihm Earl wieder ein und er bemerkte, dass der Wolf verschwunden war. Anscheinend war er doch nicht so furchteinflößend und mutig genug gewesen. Anthony war wenigstens froh das Earl in Sicherheit war. Aber dann huschte etwas auf leisen Sohlen und anmutig durch einen Busch neben dem Wesen. Anthony erkannte sofort diese wohlplatzierten und anmutigen Schritte. Earl war nur auf leisen Sohlen verschwunden um einen Schwachpunkt des Wesens zu finden.
Und als hätte Anthony ein Kommando gegeben stürzte Earl aus dem Busch und sprang auf das fast 5x so große Wesen zu. Gleichzeitig ließ Anthony sein Taschenmesser wieder aufklappen und rannte auf das Wesen zu. Als dieses das Knurren von Earl hörte machte es schwerfällige Bewegungen und versuchte mit ein Paar schritten zur Seite auszuweichen, wofür es natürlich zu spät war. Als der erste dumpfe Schlag eines Dampfhammers ertönte war Earl schon auf dem Rücken des Wesens gelandet. Er versank mit den Pfoten in der Materie und hatte so festen halt auf dem Rücken. Als nächstes grub er seine Zähne in die Flüssige Materie und riss ein großes Stück davon heraus. Als es seinen Wirt verließ und auf dem Boden landete verhielt es sich wie Glas. Es zersplitterte in tausende Von Teilen.
Dann war auch Anthony da und wich den langsamen und schwerfälligen Schlägen des Wesens aus. Als er nah genug war versenkte er die 15cm lange Klinge im Bein des Wesens. Dieses ließ einen stummen Schrei von sich. Man konnte ihn zwar nicht richtig hören, doch er brachte die Luft zum vibrieren. Auch wenn Anthony nicht genau wusste was passierte, ließ er sich einfach von seinem Instinkt leiten. Und dieser sagte das Wesen musste sterben. Also stach er noch einmal zu, und dieses Mal drang die Klinge bis zum Schaft in die Materie ein. Ein Ploppen war zu hören, als hätte man eine Blase zum platzen gebracht und dann schoss die Klinge aus der Materie heraus und flog knapp zwanzig Meter tief in die entgegengesetzte Richtung. Und mit der Klinge floss eine noch dunklere Flüssigkeit aus der Wunde. Die verhielt sich jedoch genau so wie die Materie auf der Oberfläche des Wesens. Als die Flüssigkeit auf den Boden traf wurde  sie zu einer Art Glas und zersplitterte. Während Anthony jetzt machtlos gegen das Wesen war, hatte Earl nur umso mehr Spaß es zu zerfetzen. Er biss immer wieder zu und riss riesige Stücke der Materie aus dem Rücken des Wesens. Er war in einen richtigen Rausch verfallen. Seine Augen waren Schlitze und er sah aus als würde er alles und jeden sofort töten, sobald es in Reichweite war. Anthony war so gebannt das er den Arm des Wesens aus den Augen verlor, der ihn mitten in einer Aushol-Bewegung traf. Es presste ihm die Luft aus den Lungen und er hob vom Boden ab. Er flog sicherlich zwei Meter über dem Boden und landete erst mehrere Meter weiter hart auf dem Rücken. Er bekam keine Luft und atmete flach ein und aus. Er hatte Glück gehabt das er seinen Mantel mitgenommen hatte. Der war aus extra weichem Stoff gefertigt und hatte das meiste des Aufpralls gedämpft. Langsam und mit einem Klingeln im Ohr versuchte Anthony aufzustehen. Auch wenn es ihm gelang, war er noch wackelig auf den Beinen. Seine Sicht war verschwommen, weil seine Augen sich mit Tränen füllten. Er hatte große Schmerzen in seinem Rücken und den Rippen. Er stützte sich auf sein rechtes Bein, weil sein linker Fuß sich komisch verdreht hatte. Ohne weiter auf sich zu achten machte er sich klar das Schmerz nur ein Kopfsache war. Und wenn man so intelligent war, musste dieser Fakt doch etwas Wert sein. Er versuchte sich zu konzentrieren und seinen Teil des Gehirns, der Schmerzen verarbeitete auszuschalten.
Aber so sehr er es auch versuchte, die Schmerzen blieben. Jedoch war Schmerz nichts neues für Anthony. Er war oft wegen seiner Intelligenz verprügelt worden. Meist von Menschen mit weniger oder gar keiner Intelligenz. Also biss er die Zähne zusammen und machte sich daran sein Messer zu finden. Währenddessen hörte er Earl winseln und konnte gerade noch sehen wie er in den nächsten Busch geschleudert wurde. Das Wesen war jetzt nur noch halb so groß wie vorher, doch die Form hatte sich nicht geändert. Es sah immer noch aus wie ein zu groß geratener, unproportionaler Mensch. Es stand jetzt wieder regungslos da und Anthony wagte nicht einen Muskel zu bewegen. Solange Earl nicht dabei war hatte er keine Chance diesem Wesen zu entkommen. Geschweige denn es zu töten. Seine einzige Chance war ruhig zu bleiben und darauf zu hoffen das Earl dieses Ding ablenken könnte. Also versuchte er nicht einen  Muskel  zu bewegen und bemerkte, dass etwas sein Bein heraufkrabbelte.  Als er an sich herunter sah, entdeckte er eine riesige Spinne. Er erschrak, schlug die Spinne weg und verlagerte sein Gewicht auf seinen linken Fuß. Ein Aufschrei entglitt ihm und das Wessen drehte den Körper zu Anthony herum. Auch wenn es ihn nicht sehen konnte und keine Augen hatte, wusste Anthony aus irgendeinem Grund das es ihn Ansah wie Earl das Fleisch angesehen hatte. Erst bewegte es sich nicht und es wurde wieder still. Nicht einmal ein Vogel war zu hören. Dann passierte alles so schnell, das Anthony es kaum mitbekam. Das Wesen begann zu laufen und wurde rasant schneller. Währenddessen schälte sich ein grauer Umriss aus dem Dickicht und flog auf das Wesen zu. Als nächstes taumelte das Wesen und fiel auf die Seite. Dann stand Anthony von seinem Instinkt getrieben auf und machte sich daran zu dem Wesen zu laufen. Earl zerfetzte es derweil wieder mit einem noch größeren Eifer als vorher. Das Wesen versuchte aufzustehen, doch Earl sprang dann nur auf dessen Kopf herum und massierte ihn in den Boden ein. Anthony wusste nicht so recht was zu tun war, weswegen er seinem Instinkt vertraute und das Wesen einfach berührte. Dann plötzlich verschwand alles um ihn herum. Das vibrieren der Luft hörte auf und Earl verschwamm langsam. Das einzige was Anthony noch vernahm war sein eigener Atem. Er spürte die Materie an seiner Hand und das stetige Wabern. Es fühlte sich an wie eine flüssige Form von Energie. Er spürte wie sie ihn durchdrang, wie es die Energie des Teilchenbeschleunigers tat. Sie floss in ihn hinein und blieb dort. Die Schmerzen in seinem Fuß, seinem Rücken und den Rippen ließen nach und er merkte wie das wabern der Flüssigkeit schwächer wurde. Nach nur wenigen Augenblicken war die Bewegung zum Stillstand gekommen und Anthony nahm die Hände von dem Wesen. Als er die Hände weggenommen hatte, bewegte Earl sich wieder in Echtzeit und das Wesen blieb erstarrt.
Earl sprang von dem Kopf des Wesens und kurz nachdem er das getan hatte, explodierte das Wesen in mehrere große Stücke, die auf dem Boden zersplitterten. Anthony starrte auf seine Handflächen, die immer noch glühten. Sie taten nicht weh, sie leuchteten einfach nur. So schwach als hätte man eine Glühbirne umgeschaltet und sie verglüht langsam, aber doch genug sodass man es wahrnahm.

Anthony Finch - Der Beginn einer ÄraWhere stories live. Discover now