Kapitel 11

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„Wo sind wir?“
Anthony´s Gedanken rasten durcheinander. Er wusste weder wie, noch warum sie plötzlich in einer Scheune waren. Der Professor seinerseits war entspannter denn je. Er stand dort vor dem völlig verwirrten Anthony mit den Armen vor der Brust verschränkt und einem verschmitzten Lächeln. Er trug noch immer den Kittel und das weiße Hemd.
„Virginia.“, erwiderte der Professor beiläufig. Anthony akzeptierte das erst genauso beiläufig wie der Professor es gesagt hatte. Dann fiel ihm auf das zwischen Virginia und New York eine Flugspanne von 543Km liegt. Niemals ginge eine Reise so schnell.
„Das ist nicht möglich. Das waren weniger als 5 Minuten. Wie sollen wir bitte jetzt plötzlich in Virginia sein?“
„Alles zu seiner Zeit. Folge mir.“
Der Professor drehte sich einfach um und ging aus dem breiten Scheunentor hinaus. Er bog dahinter nach rechts und war verschwunden. Anthony machte sich daran schritt zu halten. Das ständige verschwinden des Professors nervte ihn. Er ging auch aus dem Tor heraus und trat in den heißen Sonnenschein. Er konnte kilometerweit über das Land hinaussehen. Riesige Felder auf denen Weizen und Mais angebaut wurde. Eine einsame unbefestigte Straße die plötzlich inmitten des Hofes begann und zwischen den Feldern in weiter ferne verschwand. Die Sonne stand direkt über Anthony und brannte unerbittlich hinunter. Keine Wolke war zu erkennen. In unregelmäßigen abständen waren Bäume entlang der Straße gepflanzt und erstreckten sich Meter hoch in die Luft. Rechts von der Scheune waren drei Gebäude angesiedelt. Eines schien ein Stall zu sein, da man schwache Tierlaute daraus vernahm. Während Anthony auf das zweite Gebäude, ein normales veraltetes Farmhaus, zuging, bemerkte er langsam was das dritte Gebäude sein könnte. Es war ein kleiner quadratischer Bau aus Ziegeln und kaum größer als 2 Meter hoch und 4 Meter Breit. Es roch nach Schweiß und Blut. So eisern und abgestanden. Weiter achtete er jedoch nicht darauf da ein lauter Knall aus dem Haus seine Aufmerksamkeit auf sich zog. Anthony trat auf die breite Veranda und stand vor einem Fliegengitter und einer sich dahinter befindlichen Tür aus Eichenholz. Die Tür war markant verziert wie die Tür durch die er hergelangt war. Er öffnete das Fliegengitter und erhaschte nähere Blicke auf die Verzierungen. Er erkannte das Wesen auf dem hellen Holz wieder und betrachtete es etwas näher. Auf diesem Abbild war es von vielen verschiedenen Zeichen eingerahmt. Es sah aus wie eine uralte Sprache. Anthony wusste jedoch bei bestem Willen nicht was es sein könnte. Also ließ er von der Tür ab und öffnete sie. Sie glitt schwungvoll ins innere des Hauses hinein und machte dabei keinen Laut. Dahinter befand sich nichts großartig unerwartetes. Ein schmaler Flur, eine kleine Diele, Wohnzimmer, eine Treppe die in den Keller führte und eine die ins Obergeschoss führte, ein Bad und eine geräumige Küche. Anthony hörte leises Flüstern aus dem Keller. Er ging zur Treppe und sah herunter. Dort unten war nichts außer Schatten und ein kleines Licht das sich seinen Weg durch die Dunkelheit fraß. Wieder vernahm Anthony das Flüstern. Dieses mal lauter. Es klang wie Arabisch oder entfernt wie Russisch. Von seiner Neugierde gepackt stieg Anthony langsam die Treppen hinunter und schaltete das Licht auf  seinem Handy ein. Er leuchtete in die Dunkelheit hinein und sah nicht bedeutend mehr als vorher. Es war als verschluckte die Dunkelheit das Licht sobald es sich zu weit von Anthony entfernte. Das alles nicht bemerkend und nicht auf seine Umgebung achtend schritt Anthony voran. Er konzentrierte sich allein auf das Licht in der Ferne. Es erschien so unendlich weit weg, und doch war das Flüstern so nahe. Es schwoll in Anthony´s Hinterkopf zu einem stetigen Surren an. Er war wie hypnotisiert von dieser fremden Sprache. Sie schien ihn durch die Dunkelheit zu leiten und verleitete ihn dazu seine Gedanken abzuschalten. Das einzige was er noch denken konnte war wie schön diese Sprache klang. Die Stimme war zwar nicht weich und sanft. Sie klang eher als würde gerade mit Fingernägeln über eine Tafel gekratzt.
Doch diese Sprache.
Sie war so bezaubernd und hörte sich so wunderschön an. Auch wenn sie von einem Ungeheuer ausgesprochen wurde.
Anthony näherte sich immer weiter der Stimme. Die Szenerie änderte sich langsam, aber Anthony bekam rein gar nichts davon mit. Er flog auf einer kleinen Wolke dem Flüstern entgegen. Alles was vor seinen Füßen lag wurde aus dem Weg geräumt von einer unsichtbaren Kraft. Nichts konnte ihn berühren. Dann plötzlich leuchtete der Flur hell auf und er stand in einem Sechseckigen Raum. Völlig leer, bis auf ein kleines Podest. Und auf diesem Podest lag ein Buch. Es war aufgeschlagen und die Luft darüber schien zu vibrieren. Anthony lokalisierte das Flüstern. Es drang aus dem Buch. In seiner Trance gefangen lief er weiter auf das Buch zu und die Sprache wurde wilder. Die Wörter erklangen schneller, der Tonfall der Stimme wurde bedrohlich, das Licht das Anthony umgab begann zu schwinden. Die Dunkelheit machte sich auf den Vormarsch. Sie drang aus allen Ecken und Nischen und schlängelte sich wie ein Geflecht aus Wurzeln auf Anthony zu. Dieser bemerkte nichts. Er ging weiter geradeaus. Er war fast am Buch. Er streckte die Hand aus, die Stimme wurde wild, die Sprache erklang wie ein einziges Wirrwarr, die Dunkelheit floss voran.
Anthony´s Finger berührten fast das Buch. Die Stimme schrie nun fast und die Sprache war kaum mehr zu vernehmen. Die Dunkelheit hatte Anthony fast erreicht.
Dann schrie der Professor hinter Anthony einen Fluch aus und handelte.
„Exclarem Dignitius!“
Er klatschte in die Hände und eine Schockwelle aus Licht entfuhr seinen Händen. Sie drängte die Dunkelheit zurück in ihre Verstecke und erstickte das Schreien der Stimme aus dem Buch und die Sprache, die Anthony so gefesselt hatte, war verschwunden.
Anthony erwachte aus seiner Trance. Er drehte sich um und sah den Professor mit Schweißnasser Stirn in einem Türrahmen stehen.
„Was ist los?“, fragte Anthony.
Der Professor ging zu Anthony herüber und packte ihn an den Schultern.
„Was zum Teufel noch eins machst du hier unten?“
Anthony wusste es selber nicht mehr. Er erinnerte sich nur an das Flüstern und das er die Treppe hinuntergestiegen war.
„Ich hab ein Flüstern gehört. In einer mir unbekannten Sprache. Ich habe noch nie etwas so wunderschönes gehört.“
Der Professor machte ein fragendes Gesicht.
„Du hast ein Flüstern gehört?“
„Ja. Es kam aus diesem Raum hier. Eher gesagt kam es aus dem Buch.“, Anthony zeigte auf das Podest.
„Also wie haben sie das gemacht. Lautsprecher in dem Podest? Und wie haben sie sich diese Sprache ausdenken können. Wie viel Freizeit haben sie bitte?“, fragte Anthony ganz geradeheraus. Der Professor sah ihn nur fragend an. Anscheinend wusste er nicht genau wovon Anthony da redete.
„Sie haben also wirklich ein Flüstern gehört? In einer ihnen unbekannten Sprache? Und das Flüstern drang aus diesem Buch?“, der Professor ging zu dem Podest herüber und schaute das Buch sehr skeptisch an. Es schien als hätte er großen Respekt davor. Er fasste es nur mit größter Vorsicht an und schlug es zu. Auf dem Einband waren Fantasievolle Verzierungen angebracht. Von Rosen bis zu Tieren war alles vertreten. Auch das Wesen aus dem Wald war wieder vertreten. Anthony´s Neugier war jetzt zu sehr ausgereizt. Er konnte nicht anders als zu fragen.
„Was hat es mit diesen Wesen auf sich?“, er zeigte auf die Verzierung.
Der Professor sah sich an auf was Anthony mit seinem Finger zeigte.
„Wieso fragen sie Anthony?“
Anthony wusste das er jetzt nicht mehr Lügen konnte.
„Ich habe eines im Wald angetroffen. Obwohl, angetroffen, trifft es nicht ganz.“
„Was Trift es denn besser?“
Der Professor war jetzt sichtlich interessiert.
„Naja, ich denke man könnte sagen…“
„Man könnte sagen…?“
„Dass ich und ein weiterer Involvierter…“
„Dass sie und ein weiterer involvierter, was?“
Der Professor war jetzt doch eher genervt.
„Naja, ich habe eines umgebracht.“
Der Professor war regungslos. Sein Gesicht zeigte keinen Ausdruck von Emotionen. Er stand einfach so da und starrte Anthony an.
Dann prustete er lauthals los. Er bekam sich vor Lachen gar nicht mehr ein. Nach mehreren Augenblicken schaffte der Professor es dann doch und sah Anthony wieder an.
„Dieses „Wesen“ ist ein Golem. Es ist ein uralter Wächter. Normalerweise dürften sie so etwas nicht einfach so treffen.“
„Wieso? Weil es so etwas etwa nicht gibt?“
„Weil es in einer anderen Dimension lebt, Anthony“
Jetzt war Anthony mit Lachen an der Reihe. Doch er lachte länger und ausgiebiger als Hedgewig. Er bekam sich wirklich nicht mehr ein, sodass Hedgewig dazwischen ging.
„Was finden sie daran so witzig?“
Anthony nahm sich zusammen.
„Naja. Ich sage es einmal so. Hätte ich dieses Wesen nicht gesehen und hätte es mir nicht ein paar blaue Flecke verpasst, würde ich nicht einmal glauben dieses Wesen, oder wie sie es nennen, Golem, existiert. Und jetzt soll es auch noch aus einer anderen Dimension stammen? Nein danke. Ich denke eher es so etwas wie ein geheimes Regierungsprojekt. Eine Killermaschine um…“
Der Professor ging dazwischen und hielt Anthony die Hand vor den Mund.
„Wenn sie kurz ihre Paranoia abstellen könnten und mit mir nach oben kommen würden, dann würde ich ihnen alles ausführlich erklären. In diesem Keller habe ich mich noch nie wirklich wohl gefühlt.“
Der Professor ging heraus aus der Tür und kontrollierte das Anthony ihm folgte. Die Dunkelheit im Flur wich wieder sobald Anthony sie fast berührte und er sah noch einmal zurück in den sechseckigen Raum. Während dieser langsam in der Dunkelheit verschwand erhaschte er einen flüchtigen Blick auf das aufgeschlagene Buch, das bedrohlich auf dem Podest thronte und die Luft über sich zum Vibrieren brachte.

Anthony Finch - Der Beginn einer ÄraWhere stories live. Discover now