Kapitel 9

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"Schatz, das ist eine lange Geschichte kommst du bitte mal mit?"

Margaret schiebt mir einen Klappstuhl hin und zieht ihre Tochter, die sich entrüstet noch einmal zu mir umdreht, mit um eine Ecke. Ich kann mir denken was sie jetzt bereden. Wie Margaret ihrer Tochter erzählt dass sie mich so verletzt im Wald gefunden hat, dass ich dringen Hilfe brauche, sie das sicher verstehen würde, da ich ja nur wenige Jahre älter als sie bin.

Wie das Mädchen erst zweifelt, dann wütend wird und schließlich einsieht das ihre Mutter recht hat. Oder auch nicht.

"Mom, du kannst doch nicht einfach fremde, angeschossene Leute mit nach Hause nehmen!"

Der Schrei kommt überraschend, überbrückt das dumpfe schweigen des alten Hauses.

"Hätte ich ihn da etwa einfach liegen lassen sollen? Ich weiß nicht was da passiert, vielleicht will ich das auch gar nicht tun, aber egal was es war, niemand hat es verdient mit den Wissen von Hilfe im Kopf zu verbluten!"

Ich bekomme Kopfschmerzen, ein lautes Pochen an meinen Schläfen. Auf einmal will ich weinen, ohne Grund, weil ich emotional einfach überfordert bin. Keuchend, lehne ich mich an dem Küchentresen vor mir an, als mein Versuch aufzustehen kläglich misslingt. Ich schließe die Augen nur kurz, um meinen Schmerz auszublenden, wie kann es sein das Margaret und ihre Tochter so schnell vor mir stehen?

Die Mutter wirft ihrer Tochter einen Blick zu, den ich nicht deuten kann. Über was haben sie geredet? Ohne ein Wort, greift jeder von ihnen einen meiner Arme und gemeinsam chauffieren sie mich zum Sofa. Ich lasse mich, schwer atmend, hinauf Plumpsen und lehne meinen Kopf gegen ein einladend aussehendes Kissen. Margaret verlässt den Raum, ihre Tochter geht zu einem Schrank und wühlt darin herum.

"Hi"

Erschrocken, dreht sie sich zu mir um. Hatte wohl nicht gedacht das ich reden kann.

"Hi, denke ich mal?"

Ich lege den Kopf in den Nacken und lache. Nicht über sie, sondern mit ihr. Sie kichert und kommt dann mit einem Verbandskasten in der einen und Whisky in der anderen Hand zurück. Sie kniet sich vor mich hin und holt dann eine Schere aus dem alten Kasten. Umständlich versucht sie die Hose über meiner Wunde abzuschneiden. Ich schiebe ihre Hände nach mehreren erfolglosen Versuchen beiseite und reiße mein eines Hosenbein einfach ab.

Im erstem Moment sieht sie peinlich berührt weg, dann scheint sie sich zu fassen und holt den Whisky raus. Als sie meinen Blick bemerkt, lacht sie und schüttelt den Kopf.

"Keine Angst, ich trinke jetzt nicht. Mein Name ist übrigens Jose, von Josephine"

Lächelnd nicke ich:

"Ich bin Josh."

"Gut Josh, das wird jetzt weh tun!"

Ich Spanne mich an, bereit einen Aufschrei zu unterdrücken. Erfolglos. Als der Alkohol meine Wunde trifft und reinwäscht, schießt mir der Gedanke durch den Kopf, das man mir genauso gut ein glühendes Eisen auf die Haut legen könnte. Ich beiße meine Zähne zusammen, bemühe mich stark zu sein. Erst als Jose' ruhige Stimme mir sagt das es vorbei ist, öffne ich meine Augen wieder. Mein Bein ist verbunden, ein Druck Verband fixiert beide Seiten der Wunde.

"Wo hast du das denn gelernt?"

Ein leichtes lächeln ziert ihre zarten Lippen.

"Ich arbeite in einer Klinik, in der Notaufnahme, deshalb bist du jetzt auch hier. Du... wolltest ja nicht ins Krankenhaus... oder?"

Ich verneine hastig;

"Die Leute würden wissen wollen was passiert ist."

Sie hebt eine Augenbraue, aber ich schüttle unmerklich den Kopf. Sie wird es nicht erfahren, noch nicht. Jose seufzt auf, schlägt die Augen nieder und geht dann aus dem Raum.

Eine halbe Stunde, solange sitze ich da und höre den ticken der Uhr zu. Der Tag neigt sich dem Ende zu und die Nacht legt sich mit ihrer schweren, dumpfen Stille wie eine Decke über den Wald um uns herum. Grillen zirpen, Eulen lassen ihre einsammen, traurigen Schreie durch die Dunkelheit hallen. Irgendwann kommt Margaret in das Zimmer. Sie deckt den Tisch: drei Teller, drei Gabeln, drei desert Löffel.

AnonymousWo Geschichten leben. Entdecke jetzt