Kapitel 3. NAHENDES UNHEIL

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Benommen blinzelte ich mir den Schlaf aus den Augen. Irgendwas hatte mich aus meinen Träumen gerissen. Müde setzte ich mich auf und blickte durch das dunkle Zimmer. Alles wirkte normal. Ich überlegte einen Moment, ob ich aufstehen und ins Wohnzimmer gehen sollte, um auch dort nach dem rechten zusehen, doch der Gedanke nur mit Boxershorts bekleidet vor Jungkook zu erscheinen, war nicht sonderlich verlockend. Dass ich vorhin so heftig auf ihn reagiert hatte, machte mich immer noch wütend. Am schlimmsten war jedoch die Tatsache, das mein Bauch seitdem schon beinahe richtig schmerzte. Ich drückte meine Hände auf meinen Bauch und wollte mich gerade wieder hinlegen, als ich ein schepperndes Geräusch unter meinem Fenster hörte, auf das leises Stimmengewirr folgte. Irritiert stand ich auf und wollte nachsehen gehen, was da mitten in der Nacht unter meinem Fenster war. 

Ich hatte gerade mal zwei Schritte getan, als meine Schlafzimmertür aufflog und Jungkook in mein Zimmer gestürmt kam. Er zog mich grob am Arm zurück, sodass ich ins Straucheln geriet und stellte sich vor mich. "Schnapp dir was zum überziehen, wir müssen verschwinden", raunte er mir über seine Schulter zu. Entsetzt schaute ich ihn an. "Ich werde wohl kaum in Boxershorts durch die Gegend rennen. Außerdem hab ich dir doch schon gesagt, dass ich dir nicht fol..." Mitten im Satz stockte mir der Atem. Ich starrte über Jungkooks Schulter auf die Hand, die sich gerade auf mein Fensterbrett gelegt hatte. Die Finger waren schmal und lang. Die Haut war grau und runzelig, die Fingernägel lang, gelb und gebogen. Jungkook folgte meinem Blick, gerade als sich ein kleiner, schrumpliger Kopf, welcher mit vereinzelten schwarzen Haaren versehen war, in mein Fenster schob. Kleine, stumpfe Augen, die tief in den Augenhöhlen lagen, schaute uns grimmig an. Das war schon alles gruselig genug, aber was mich dann wirklich zum schreien brachte, war die Augenfarbe. Die Augen waren Blutrot. 

Als das Wesen meinen Schrei hörte, fing es an zu grinsen und sein Gesicht verzerrte sich zu einer schrecklichen Fratze, mit Spitzten, gelben Zähnen zwischen den brüchigen Lippen. Nun hielt mich nichts mehr im Schlafzimmer. Ohne auch nur einen weiteren Gedanken an meine Kleidung zu verschwende, rannte ich aus meiner Wohnung, nur um im Hausflur abrupt stehenzubleiben. Wo sollte ich hin? Nach unten hatte bestimmt wenig Sinn, da würde die Schreckgestalt nur auf mich warten. Würde ich nach oben rennen, saß ich genauso in der Falle wie jetzt, nur ein paar Stockwerke höher. Gehetzt schaute ich mich um, als Jungkook auch schon gehetzt aus der Wohnung gerannt kam und mich hinter sich her die Treppe hinab zog. "Wir werden ihm direkt in die Arme laufen." Ich konnte es nicht fassen, dass Jungkook wirklich nach unten rannte. "Werden wir nicht. Kein Griever ist schlau genug, um auf die Idee zu kommen, dass man jemanden auch erwischen kann in dem man ihm den Weg abschneidet, statt ihn zu verfolgen. Er hat uns gesehen, also wird er uns hinterher rennen." Unten angekommen, stieß Jungkook die Haustür auf, späte jedoch erst durch den Spalt, bevor er mich mit sich in die Dunkelheit der Nacht zog.

Wir liefen durch Seitenstraßen, die ich noch nie zuvor bemerkt hatte, vorbei an kleinen, heruntergewirtschafteten Lädchen und zerbrochenen Fensterscheiben. Überall lag Müll in den Ecken. Streunende Katzen ergriffen die Flucht, als wir an ihnen vorbeirannten. Meine Lunge begann zu schmerzen und ich verfluchte mich dafür, dass ich nicht wenigstens ein bisschen Sport getrieben hatte. Keuchend lief ich hinter Jungkook her, wobei mich dieser mehr zog als alles andere. Neidisch schaute ich zu ihm auf, wie er so mühelos durch die Nacht rannte und das obwohl er mein Gewicht noch mitzog. Sobald ich den Blick jedoch von meinen Füßen gelöst hatte, blieben diese am nächsten herausstehenden Pflasterstein hängen. Ich ließ Jungkooks Hand los, um meinen Sturz abzufangen, nahm ihm dadurch allerdings jede Chance meinen Sturz zu verhindern. Obwohl ich mit meinen Händen das schlimmste abfedern konnte, schürfte ich mir die Knie und Handflächen auf. Auch an meinen rechten Zehen war die Haut abgeschürft, sie pochten und bluteten. Stöhnend rappelte ich mich auf und versuchte den gröbsten Schmutz von meinen Knien zu wischen. Das linke Knie war aufgeplatzt, auf das ich direkt drauf gefallen war, aber an dem rechten und an meinen Händen hatte ich nur Oberflächliche Wunden. "Lass mal sehen." Jungkook bedeutete mir mich hinzusetzten und kniete sich vor mich. Vorsichtig nahm er meinen  Fuß in die Hand und begann jeden Zeh einzeln zu bewegen. "Tut das weh?" "Es geht so." "Gebrochen scheint zum Glück nichts zu sein, aber es wird nachher bestimmt doller schmerzen, wenn der schock erstmal nachgelassen hat." "Wie aufmunternd", grummelte ich vor mich hin und sah auf meinen zerschundenen Fuß hinab. Jungkook ließ einen Rucksack von seinen Schultern gleiten, den ich bis zu diesem Zeitpunkt noch gar nicht bemerkt hatte, und beförderte ein Handtuch und eine Flasche Wasser zu Tage. "Eigentlich hatte ich das Wasser zum trinken gedacht, aber wir müssen unbedingt deine Wunden reinigen. Wir können es uns nicht leisten, dass sie sich entzünden." Mit diesen Worten tränkte er eine kleine Ecke  des Handtuchs und begann damit erst meine Zehen und dann mein Knie abzutupfen. Scharf sog ich die Luft ein, hielt jedoch still. Als nächstes band Jungkook das Handtuch um meinen Fuß, um zu verhindern das neuer Schmutz in die offenen Wunde kam und holte meinen schwarzen Hoodie aus dem Rucksack. "Wann hast du die ganzen Sachen zusammen gepackt und wie bist du an meinen Kleiderschrank gekommen?" Er runzelte die Stirn und blickte mich aufmerksam an, während ich meinen Pulli anzog. "Du bist einfach aus dem Zimmer gerannt, ohne dir etwas mitzunehmen. Ich  dachte mir, dir wär es lieber, wenn ich einfach irgendwas mitnehme, als wenn du gar nichts hast. Den Rucksack habe ich gestern Abend in deinem Schrank im Flur gefunden und da schon mit der Wasserflasche gefüllt." "Du hast einfach so in meinem Schrank gewühlt?" Verärgert schaute ich ihm ins Gesicht. "Wäre es dir lieber wenn ich nicht vorbereitet gewesen wäre?" Meine Wut verpuffte und ich schaute beschämt weg. Wovor er mich gerettet hatte, wusste ich nicht, aber ich war mir sicher, dass es nichts Angenehmes gewesen wäre. Und ich hatte nichts Besseres zu tun als ihm Vorwürfe darüber zu machen, dass er einen Rucksack aus meinem Haushaltsschrank stibitzt hatte. "Entschuldige", murmelte  ich und richtete mich auf. Meine Hände taten schon weniger weh, nur meine Zehen machten mir Sorgen. Vorsichtig tat ich einen Schritt und wäre wieder gestürzt, hätte Jungkook mich diesmal nicht aufgefangen. "Verdammt, das tut höllisch weh. Wir sollten irgendwo Verbandszeug und Desinfektionsmittel besor...ach verdammt!" Bei meinen frustrierten Ausruf zuckte Jungkook zusammen und schaute sich alarmiert um. "Was ist los?" "Ich hab kein Geld bei." "Und ich dachte schon, sie hätten uns gefunden." "Sie?", fragte ich entsetzt. "Es gibt mehrere von diesen Viechern?" "Natürlich, Griever jagen nie alleine. Deswegen sollten wir langsam in eine belebtere Gegend gehen, da fällt es ihnen schwerer uns zu folgen." 

Ein Schauer lief mir über den Rücken, als ich an die Fratze vor meinem Fenster dachte und mir vorstellte, dass dort noch mehrere gewesen waren. Jungkook wedelte mit einem roten Gegenstand vor meinem Gesicht herum und holte mich so aus meinen furchteinflößenden Gedanken. "Mein Portmonee", rief ich erfreut aus. "Wie bist du denn daran gekommen." "Ich habe aus deiner Tasche im Flur genommen." Nun schaute Jungkook doch etwas schuldbewusst. Da ich einfach nur froh war Geld zu haben, um mir in einer Apotheke Verbandsmaterial kaufen zu können, erwiderte ich nichts. Humpelnd setzte ich mich in Bewegung. Wortlos trat Jungkook neben mich, legte einen Arm um meine Hüfte und stützte mich beim Gehen. Zusammen steuerten wir die nächste Apotheke an, von der ich wusste, dass sie rund um die Uhr auf hat. Erschöpft ließ ich mich auf die Bank vor der Apotheke sinken und verarztet meinen Fuß und mein Knie. Ich war der Apothekerin sehr dankbar, dass sie trotz unseres merkwürdigen Anblicks keine fragen gestellt hat. Ich zischte, als ich mit dem Desinfektionsmittel meine Wunden betupfte. "Soll ich das machen?" Jungkook war neben mich getreten und schaute mich besorgt an. "Ich bekomm das schon alleine hin." Achselzuckend setzte er sich neben mich und schaute in den Himmel." Überrascht schaute ich ihn von der Seite an. Ich hob den Blick und schaute ebenfalls in den Sternenhimmel. "Ich war noch nie im Süden." "Im Süden?" "Ja du meintest doch ihr habt da einen schöneren Sternenhimmel." "Ich spreche nicht vom Süden." Verwirrt schaute ich ihn an. "Aber... du hast gemeint wir haben hier so wenige Sterne, deswegen dachte ich... wegen der dunklen Haut und dunklen Haaren..." Verunsichert schwieg ich und versank in Jungkooks Augen. Das Licht der Sterne, oder doch eher der Straßenlaternen, schimmerte in seinen Augen und gaben ihm ein mystisches Aussehen. Er steckte seine Hand aus und strich mir zart über die Wange. Mein Herzschlag beschleunigte sich und meine Atmung ging schneller. Er beugte sich vor und hielt kurz vor meinem Gesicht inne. Er schaute mir in die Augen und ich hätte schwören können, dass er bis auf meine Seele hinab blickte. Ein leichtes flattern breitete sich in meinem Bauch aus und überlagerte das ziehen, welches wiedergekehrt war. Unsere Lippen trennten nur noch wenige Zentimeter. "Schon gut Baby, ich werde dir zeigen wo ich herkomme", flüsterte er zärtlich. Das Flattern in meinem Bauch weitete sich aus. Dann strich er mit seinen Lippen leicht über meine. Noch bevor ich die Berührung richtig wahrnehmen konnte, richtete er sich schon auf, zog mich von der Bank hoch auf meine weichen Knie und führte mich weiter durch die Nacht.

Ich stolperte mehr Jungkook hinterher, als das ich lief. Zum einen tat mein Fuß Langsam tierisch weh und zum anderen waren meine Knie immer noch weich wie Butter und wollten mein Gewicht nicht so richtig tragen. Der Kuss, falls man ihn als solchen bezeichnen konnte, hatte mein Gehirn in Wackelpudding verwandelt. Zu leugnen, dass ich mich zu ihm hingezogen fühlte, auch wenn es mir nicht gefiel,  machte keinen Sinn mehr. Ich war nicht so dumm zu versuchen, mich selbst zu belügen. Ich will ihn aber nicht mögen. Kann mir ja schon denken, wie das dann wieder enden würde. Langsam lichtete sich das Chaos in meinem Kopf und ich konnte wieder halbwegs vernünftig denken. "Wo gehen wir hin?" "Wie gesagt ich nehm dich mit zu mir." "Hast du mich gefragt, ob ich das überhaupt möchte?" Meine Wut auf mich selbst lenkte ich langsam aber sicher auf Jungkook um. Wenn ich etwas nicht leiden konnte, dann war es wenn jemand über meinen Kopf hinweg für mich bestimmte. 

Jungkook zog spöttisch eine Augenbraue hoch. "Möchte der kleine Junge lieber zurück in seine Wohnung?" Böse funkelte ich ihn an und entriss ihm meine Hand. "Natürlich nicht", fauchte ich, "Aber zu dir möchte ich auch nicht." Ich drehte mich um und wollte erhobenen Hauptes davon stolzieren, doch der Verband um meinen Fuß machte mir einen Strich durch die Rechnung. Er verhedderte sich in einem kleinen Ast, was schon ausreichte um mich straucheln zu lassen. Fluchend kämpfte ich um mein Gleichgewicht und hatte letztendlich doch keine andere Wahl, als Jungkooks dargebotene Hand zu ergreifen. "Zieh dir erstmal ein paar Schuhe an. Ansonsten verletzt du dir deine Füße noch mehr." Langsam glaubte ich, dass er eine Zaubertasche wie Mary Poppins besaß. Nur die Tatsache, dass es mein eigener Rucksack war, brachte mich dazu den Gedanken fallen zu lassen. Ich lehnte lehnte mich an die nächste Hauswand und zog vorsichtig meine Grünen Leinenschuhe an. Der verbundene Fuß war so dick, das er nur mit Mühe in den Schuh paste und ich die Schnürsenkel, statt sie zuzubinden, einfach mit in den Schuh steckte. 


Shadow Shapes || BTS FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt