Kapitel 6. ERKUNDUNG

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Nachdem ich am nächsten Morgen so lange in der großen Badewanne gelegen hatte, bis meine Haut an den Fingern schon ganz schrumplig geworden war, trocknete ich mich ab. Ich riskierte einen Blick auf meine Boxershorts, verwarf den Gedanken es noch einmal anzuziehen jedoch gleich wieder. Das verschmutzte Ding würde auch nach hundert Wäschen nicht mehr sauber werden. Also durchquerte ich das Zimmer und riss die großen Flügeltüren des Kleiderschranks auf. In allen Farben hingen dort gut ein dutzend Klamotten in aller Art. Natürlich nur für Jungs.

Staunend betrachtete ich die Menge an Kleidung und entschied mich dann für ein einfachen schwarzen Hoodie, eine Jeans, welche einen Reisverschluss am Knie hatte, Timberlands die ich in einem Riesen Schuhschrank gefunden hatte und eine schwarze Mütze, die mit dem schwarzen Pulli meine roten Haare sehr zum Vorschein brachten. Ich schnürte noch meine Schuhe zu und verließ dann das Zimmer. Es herrschte keine Ruhe. Dienstmädchen mit knappen Uniformen und Butler mit freiem Oberkörper liefen durch die Gänge. Ich machte mich auf die Suche nach der Küche, stets bemüht den Blicken des Personals auszuweichen. Dass hier alle so leicht bekleidet umher liefen, war mir mehr als unangenehm. Ich kam mir vor wie in einem Freudenhaus, aber gewiss nicht wie in einem Schloss. Meine Suche nach der Küche blieb jedoch erfolglos, sodass ich eines der Hausmädchen fragen musste, wie ich dorthin gelangte. "Oh, Sie müssen nicht extra in die Küche kommen, Hoheit. Wir bringen ihnen alles auf ihr Zimmer. Sie müssen mir nur sagen, was sie möchten." "Ich möchte mir aber gerne die Küche ansehen." Auf meinem Zimmer würde ich mich nur langweilen. Außerdem hatte ich vor das Schloss zu erkunden, um zu erforschen, wo mein Vater die ganzen Jahre gelebt hatte." Meine Aussage schien das Mädchen komplett überrascht zu haben, denn es schaute mich aus großen Augen an. Ich schätze sie circa auf mein Alter. "Wie heißt du?" "Hayley, Hoheit." "Ich würde mich freuen, wenn du mich in die Küche begleitest, Hayley. Und bitte nenn mich Jimin. Hoheit gefällt mir nicht sonderlich." Sie verbeugte sich kurz vor mir und nickte leicht. "Folgt mir." 

Der Weg in die Küche war noch verwirrender als der in den Thronsaal. Wir liefen mehrere Treppen runter und wieder hoch, bis wir uns in einer altmodischen Großküche wieder fanden. Auf drei Kochstellen köchelten Große Töpfe vor sich hin, die jeweils glatt für eine ganze Fußballmannschaft gereicht hätten. Zwischen den Töpfen und den Arbeitsplatten rannten sechs Frauen hin und her, die von einer siebten dirigiert wurden. Im Ofen backte ein Brotteig vor sich hin, sodass die ganze Küche nach frischem Brot roch, woraufhin mir das Wasser im Mund zusammenlief. "Du, Hayley, meinst du, ich kann etwas von dem Brot haben, wenn es fertig ist?" "Selbstverständlich, Hoheit." Anklagend schaute ich Hayley an. "Was hatte ich gerade über die Hoheit- Sache gesagt?" "Oh, selbstverständlich... Jimin." Es war Hayley deutlich anzusehen, dass es ihr schwerfiel mich nicht mit Hoheit anzusprechen. Aber sie würde sich schon noch daran gewöhnen, im Gegensatz zu mir. Hoheit... Neee, das geht ja mal gar nicht. Die Dirigentin des Küchentrupps kam auf mich zu und machte einen Knicks vor mir.  "Schera, zu Ihren Diensten." Diese ganzen Höflichkeitsformen waren mir alles andere als geheuer. "Hört mal bitte alle her." Die Frauen unterbrachen ihre Arbeit und blickten zu mir herüber. "Ich hab mich mein Leben lang nicht als Prinz gefühlt und das wird sich nun auch nicht mehr ändern, deswegen würde ich mich freuen, wenn ihr mich einfach Jimin nennt und diese Höflichkeitsfloskeln sein lasst." "Verzeiht mir meine Worte, mein Prinz, aber das können wir doch nicht machen", entgegnete zaghaft eine der Frauen. Ich war überrascht, dass mein Angebot ausgeschlagen wurde. "Doch, doch, ich habe euch doch gesagt ihr könnt das ruhig machen." "Aber Hoheit...", setzte nun eine weitere an. Entnervt verdrehte ich meine Augen. "Schluss jetzt aber. Ich möchte nicht mit Hoheit, Prinz oder sonst irgendetwas in der Richtung angesprochen werden. Außerdem seht mich an, wie könnt ihr mich in den Klamotten Hoheit nennen... Und das geknickte sollt ihr gefälligst auch lassen. Und wenn es halt nicht anders geht: Ich befehle es euch, verstanden?" Die Frauen warfen sich beunruhigte Blicke zu, nickten jedoch. "Danke. Schera?", wandte ich mich an die Küchenchefin. "Könnte ich etwas von dem Brot bekommen, wenn es fertig ist?" "Selbstverständlich Hoh... ähm Jimin." Ich nickte ihr dankbar zu und setzte mich auf einen Stuhl in der Nähe des Ofens. Hayley trat zögerlich neben mich. "Dürfte ich zurück zu meiner Arbeit?" "Oh, natürlich, wobei ich mich gefreut hätte, wenn du mich etwas durch das Schloss führen könntest. Must du denn etwas so dringendes erledigen?" "Oh nein, nein, für Euch habe ich immer Zeit." Ich stieß einen Seufzer aus und blickte Hayley, die sich neben mich gekniet hatte, in die Augen. "Hör mir zu, Hayley. Ich bin genauso ein Mensch wie du, ok? Du musst mich also nicht besonders behandeln. Tu so, als wäre ich ein Freund mit dem du redest."  Ein kleines Lächeln trat auf ihre Lippen, während sie nickte. "Ich bin kein Mensch." Verblüfft blinzelte ich. "Nicht?" Leise kicherte Hayley und schüttelte den Kopf. Nein ich bin ein Hippocamp." "Was ist das denn?" Nachsichtig lächelte sie mich an. "Ich bin ein sogenanntes Wassereinhorn, wie mich viele nennen. Im Wasser wird mein Oberkörper zu einem Pferd und mein Unterkörper zu dem eines Fisches. An Land verwandle ich mich nach 10 Sekunden wieder zu einem Menschen." "Wow, dann kannst du ja ewig lange unter Wasser bleiben. Ich wollte als kleiner Junge immer ein Fisch sein. Ich hab mir das immer voll cool vorgestellt, als Fisch durch alte Schiffswracks zu schwimmen und so." "Also ich bin froh, dass du kein Fisch bist", Hayley schüttelte lachend den Kopf. "Sonst hätte ich dich vielleicht irgendwann zum Mittag verspeist." Plötzlich hielt sie inne. Ihre Augen weiteten sich vor entsetzten und sie warf sich vor mir nieder. "Oh nein, bitte verzeiht mir. Das war schrecklich unhöflich. Ich hätte euch nicht wagen dürfen zu duzen. Es tut mir so unglaublich leid." Ihre Schultern zitterten mindestens genauso heftig wie ihre Stimme. Ich griff nach ihren Schultern und zog sie mit mir hoch. "Das muss es doch nicht. Hayley, schau mich an." Zaghaft hob sie den Kopf und ich entdeckte Tränen in ihren Augen. "Du hast mich ganz normal behandelt, so wie ich es mir gewünscht habe. Also hast du doch im Endeffekt nur das getan, worum ich dich gebeten hatte. Sieh es doch mal aus der Richtung, hm?" Hayley wischte sich die Tränen ab. "Also habe ich nicht wiederrechtlich gehandelt?" "Ganz und gar nicht. Ich würd eher sagen, du hast genau das Richtige getan." Aufmunternd lächelte ich sie an, was sie schüchtern erwiderte. In dem Moment trat Schera auf uns zu, blieb jedoch unschlüssig stehen, als sie uns so sah. Ich bedeutete ihr näher zu kommen. "Das Brot ist fertig... Jimin. Ich werde Euch ein Frühstück zusammen stellen und es auf Euer Zimmer bringen lassen, wenn ihr das wünscht." "Nein, danke. Ich werde mir einfach hier schnell eine Brot Scheibe schmieren und sie gleich essen. Das andere ist viel zu viel Aufwand." Fast schon verzweifelt schaute mich Schera an. "Lasst bitte wenigstens mich Euch die Brotscheibe zubereiten." Nachdenklich runzelte ich die Stirn und nickte Schera schließlich zu. Letztendlich war dies ihre Arbeit, die ihr anscheinend wichtig war und diese wollte ich ihr nicht wegnehmen. Ich orderte an, dass Hayley auch eine Stulle bekam, auch wenn sie diese zuerst dankend ablehnen wollte. Da ich jedoch nicht wusste wie lange unser Schlossrundgang dauern würde, bestand ich darauf. Letztendlich wollte ich nicht, dass Hayley hungrig mit mir durch die Gegend lief und wie ich sie einschätzte, würde sie nicht einmal etwas sagen, wenn es so wäre. Nachdem wir aufgegessen hatten, bedankte ich mich bei Schera, die daraufhin fast schon wieder einen Knicks gemacht hätte. Es war ihr deutlich anzusehen, dass sie es gerade so in letzter Sekunde verhindern konnte. 

Wie ich vermutet hatte, waren wir den ganzen Vormittag damit beschäftigt durch die Korridore und Zimmer des Schlosses zu wandern. Je weiter wir nach oben kamen, desto niedriger wurden die Decken, auch wenn sie für mich immer noch höher waren, als alles, woran ich gewöhnt war. Hatte das Erdgeschoss, wo sich die Empfangshalle, der Thronsaal, der Speisesaal, die Küche und eine wirklich riesige Bibliothek befanden, eine Zimmerhöhe von bestimmt sechs Metern, so hatte das erste Stockwerk, mit seinen Zimmern für die Mitglieder der Königsfamilie, deren engsten Angehörigen und für Besucher, eine Deckenhöhe von fünf Metern. Das zweite und letzte Obergeschoss wies immer noch Decken in drei Metern Höhe auf. Hier waren das Schlosspersonal, Dienstmädchen, Butler und Köche untergebracht. Von außen hätte ich mindestens auf vier Obergeschosse getippt, da hatte ich aber auch nicht mit einer Decken Höhe von über drei Metern gerechnet. 

Hayley wollte mich zunächst nicht in den Keller führen, als ich sie darum bat. Aber letztendlich konnte sie es mir doch nicht ausschlagen.  Also liefen wir die große steinerne Treppe hinunter, die vom Erdgeschoss in den Keller führte. Auch hier unten gab es mehrere Gänge mit einer Vielzahl von Türen. Hinter diesen Türen befanden sich etliche Speisekammern. Es gab eine Speisekammer für Obst, Gemüse, eine für Fleisch, eine für Käse, eine für Getreide und viele mehr. Hayley erklärte mir, dass in der Küche nicht nur für die Schlossbewohner gekocht wurde, sondern auch für die Soldaten und Stallknechte, die hinter dem Schloss wohnten. Besonders beeindruckt war ich von dem riesigen Weinkeller, in dem neben Weiß- und Rotwein auch noch andere alkoholische Getränke gelagert wurden. Staunend ließ ich meinen Blick noch einmal über die unzähligen Regale schweifen, bevor wir uns auf den Rückweg nach oben machten. 

Das Schloss und seine Räumlichkeiten hatten wir soweit abgehakt. Nun führte mich Hayley durch ein Tor auf der Rückseite des Schlosses, in einen angrenzenden Hof. Seine größe entsprachen etwa dem von drei Fußballfeldern. Eine hohe, aus Feldsteinen gebaute Mauer umschloss den Platz. Sie begann an der Schlosswand und endete dort auch wieder, ohne auch nur eine Lücke zu offenbaren. Die drei Häuser die ich erkenne konnte, und der große Sandplatz waren somit vollkommen eingemauert. Am hinteren Ende der Mauer, gegenüber vom Schloss, entdeckte ich ein weiteres Tor. Durch dieses konnte man das Schlossgelände verlassen, ohne durch die Empfangshalle zu müssen. Hayley führte mich zu den ersten Häusern. Sie erklärte mir, dass in dieser der Stallmeister und Stallburschen untergebracht wurden. "Und das ist das der Königliche Stall." Quietschend öffnete sie die Tür des Hauses. In dieser befanden sich 18 Pferdeboxen, von denen vier leer waren. "Zwei der Soldaten der Schlossgarde befinden sich gerade auf einem Kontrollritt durch die umliegenden Dörfer. Und zwei Boxen stets leer, damit auch Besucher ihre Pferde hier unterstellen können", beantworte Hayley meine unausgesprochene Frage. "Und die übrigen Pferde gehören dann zu den Soldaten?" "Nicht so ganz. Die Pferde gehören selbstverständlich alle dem König. Vierzehn Pferde sind den Soldaten zugeteilt, damit diese ihre Kontrollritte erledigen können, oder um Botschaften zu überbringen. Die letzten beiden Pferde ganz hinten sind ausschließlich zum persönlichen Gebrauch des Königs und eurer ältesten Schwester gedacht." Ich nickte stumm  und lief die Boxen ab. Mit Pferden hatte ich nie viel anfangen können, trotzdem erkannte ich, dass jedes Pferd ein Prachtexemplar war. Der Hengst meines Vaters war Raben Schwarz, bis auf ein paar vereinzelte weiße Strähnen in Mähne und Schweif. Für mich sah es aus, als ob jemand versucht hätte ihm blonde Strähnen zu färben. Das Pferd meiner Schwester hingegen war eine weiß, braun gescheckte Stute. In ihrer Mähne und ihrem Schweif waren bunte Bänder geflochten, die dem Pferd das aussehen verliehen, als würde es gleich in einer Zirkusshow auftreten. Kopfschüttelnd kehrte ich zu Hayley zurück. Diese grinste mich nur wissend an. In dem letzten Haus wohnten, laut ihrer Auskunft, die Soldaten der Schlosswache. Im Schloss waren stets die dreißig Soldaten stationiert. Eine Vielzeit weiterer Soldaten befand sich in den umliegenden Dörfern. Diese wurden bei Bedarf zum Schloss gerufen. 


Shadow Shapes || BTS FFWo Geschichten leben. Entdecke jetzt