Das bin ich nicht!

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Daryl's Perspektive

Leise raschelte es im Unterholz, jedoch spitzte ich lediglich meine Ohren, während ich mein Ziel nicht aus den Augen ließ. Ich konnte kein bekanntes röcheln oder schlürfen hören, so konzentrierte ich mich wieder auf mein Ziel, welches ungefähr 15 Meter vor mir stand und graste. Ungewiss, was gleich passieren würde. Unbewusst, dass dies seine letzte Mahlzeit sein würde. Geräuschlos legte ich meine Armbrust, mit dem schon gespannten Pfeil, an und atmete ruhig und gleichmäßig ein und aus. Mehrmals wiederholte ich den Vorgang. Dann ließ ich den Pfeil fliegen. Surrend flog er davon und nur wenige Millisekunden später sackte das Reh im Gras zusammen. Perfekt.

Für Fleisch in den nächsten Tagen war gesorgt. Ich schulterte das Reh auf meinen Schultern und nahm meine Armbrust in die Hand. Ganz schön schwerer Brocken. Verhungern würde da keiner. Ich machte mich auf den Weg zurück nach Alexandria.

Die letzten Wochen war ich fast täglich im Wald. Wenn ich nicht gerade am Jagen war, erledigte ich Beißer oder genoss die Ruhe. Nur der Wald und ich. Nur seine Tiere und ich. Nur das Gezwitscher der Vögel und ich. Nur die vereinzelten Sonnenstrahlen, die sich durch die Baumkronen kämpften und ich. Was anderes brauchte ich nicht. Was anderes wollte ich nicht. Immer und immer wieder musste ich mir das die letzten Wochen sagen.

Flashback

Ich kam gerade in die Krankenstation rein, als Denise ins Nebenzimmer ging. Ich hörte, wie sie mit jemanden redete, so setzte ich mich auf die Liege. Meine Schulter schmerzte und pochte, doch ich biss die Zähne zusammen. Schmerzen waren nichts Neues für mich. Schmerzen war ich gewohnt. Schmerzen waren lange Zeit mein Alltag gewesen. Plötzlich ging die Tür vom Nebenzimmer auf, doch es war nicht Denise, die heraustrat. Es war jemand fremdes. Ich schätzte sie auf Mitte bis Ende 20. Sie hatte dunkelbraunes Haar, welches sie zu einem Knoten zusammengebunden hatte.

„Wer bist du?" knurrte ich sie an und zog meine Waffe. Entsicherte sie und zielte damit auf sie.

„Hey. Ich bin Joseline und mit wem habe ich das Vergnügen?" fragte sie nun ihrerseits. Dass ich mit einer Waffe auf sie zielte, schien sie gar nicht wirklich zu interessieren.

„Daryl. Was willst du hier?"

„Als erstes schaue ich mir mal deine Wunde an. Bitte einmal deine Weste und Hemd ausziehen, danach sehen wir weiter" erklärte sie mir, während sie auf mich zukam. Überrascht und etwas überrumpelt ließ ich die Waffe sinken. Meine Schmerzen wurden immer schlimmer und etwas Übelkeit machte sich in mir breit. Umständlich zog ich mir die Weste aus, doch an meinem Hemd scheiterte ich. Die Knöpfe ließen sich einfach nicht mit einer Hand öffnen und leise fluchte ich vor mir hin.

„Warte. Ich helfe dir" kam nun von ihr. Bis zum letzten Muskel angespannt, behielt ich sie genau im Auge, während sie mir, vorsichtig, dass Hemd öffnete und es mir auszog. Anschließend betrachtete sie sich meine Schusswunde.

„Das ist ein tiefer Schnitt. Ich werde die Wunde säubern und versuchen, die Blutung zu verlangsamen, damit du nicht zu viel Blut verlierst. Denise wird die Schnittwunde sicher nähen müssen" erklärte sie mir und ich bildete mir ein, Sorge in ihrer Stimme zu heraushören. Doch warum sollte sie sich um mich Sorgen? Ich bin ein Fremder für sie. Sie ist eine Fremde für mich. Sie hat keinerlei Bedeutung für mich. Ich habe keinerlei Bedeutung für sie. Um mich braucht sich niemand Sorgen machen. Ich komme alleine klar.

Während sie meine Wunde säuberte und versorgte, ließ ich sie keine Sekunde aus den Augen. Beobachtete angespannt jede noch so kleine Bewegung von ihr. Meine Waffe lag griffbereit neben mir auf der Liege, doch sie war unbewaffnet. Und ganz ehrlich? Wirklich gefährlich sah sie nicht aus. Doch jeder wusste, stille Wasser sind tief und verdammt dreckig.

Doch sie redete ohne Punkt und Komma. Hat sie keinen Knopf zum abstellen? Genervt schaute ich hoch zu ihr und wollte ihr sagen, dass sie die Klappe halten soll. Doch mit einmal traf ihr Blick meiner. Ihre Augen. Dunkelbraun. Augenblicklich spürte ich eine ungewohnte Ruhe in mir aufsteigen. Freundlich und Sorgenvoll ruhte ihr Blick auf mir. Mir wurde ungewohnt warm ums Herz. Es kam mir so vor, als ob sie mir direkt in meine Seele schauen konnte. Diese schwarze, kaputte Seele. Niemand hat darin etwas zu suchen. Schnell senkte ich den Blick.

Flashback Ende

Und schon wieder kreisten meine Gedanken um sie. Immer und immer wieder. Sie. Nur sie. Als ob es nichts anderes mehr auf dieser beschissenen Welt geben würde. Sie soll raus aus meinem Kopf. Sie muss raus aus meinem Kopf. Wo ist der Off Knopf? Wo ist das Stoppschild? Wo ist die Haltestelle? Ich will raus aus diesem blöden Zug. Die Reise endet hier. Ich will aussteigen.

Ich will sie vergessen. Ich muss sie vergessen. Sie sollte mich vergessen. Sie soll mich vergessen. Sie muss mich vergessen. Ich bin nicht das, was sie sucht. Ich bin nicht das, was sie braucht. Ich bin nicht das, was sie in mich sieht. Das bin ich nicht!

Ich bin nur ein Arschloch. Nur ein weiteres Arschloch in dieser kaputten Welt. Könnte ihr nie das geben, was sie verdient hat. Könnte ihr nie das geben, was sie braucht. Könnte ihr nie das geben, was sie glaubt, was in mir steckt.

In Alexandria brachte ich das Reh weg und ging zu Rick. Er erzählte mir, dass Josie Aaron morgen begleitet. Dann steht es außer Frage, dass ich mit auf Tour gehe. Aaron ist zurzeit nicht zurechnungsfähig. Er könnte sich in Gefahr bringen. Sich und Josie. Und schon wieder. Josie. Immer nur Josie. Genervt zündete ich mir eine Kippe an und inhalierte tief den Qualm in meine Lungen. Weiter erzählte er mir, dass sie mit Daniel auf der Krankenstation ist. Mit Daniel? Was will der schon wieder von ihr? Immer, wenn er da ist, schleicht er auffällig oft in ihrer unmittelbaren Nähe herum.

Ich ließ Rick einfach stehen und ging zur Krankenstation. Spähte unauffällig durchs Fenster. Doch ich konnte niemanden sehen. Wo waren sie nur? Hektisch schaute ich mich um. Vielleicht im Haus. Schnell ging ich über die Straße und spähte auch hier unauffällig durch mehrere Fenster, bis ich sie entdeckte. Sie stand in der Küche. Ein Glas Limonade in der Hand und ein Lächeln zierte ihre perfekten Lippen. Sie war so wunderschön. Halt! Stopp! Aufhören Daryl, befahl ich mir selber.

Knurrend erkannte ich nun die roten Haare von Daniel. Er erzählte irgendwas und sie hing förmlich an seinen Lippen. Schnaufend ließ ich die Kippe fallen und trat sie aus, als ihr Lachen erklang. Ihr wunderschönes Lachen. Ihr perfektes Lachen. Doch es galt ihm. Ihm! Schnaufend ballte ich meine Hände zu Fäusten. Sie gehörte ihm nicht. Er soll sie in Ruhe lassen. Sie hat etwas Besseres verdient, als ihn. Er konnte sie gewiss nicht glücklich machen. Das glaubte ich nicht. Ich wollte es nicht glauben. Ich konnte es nicht glauben.

Knurrend zündete ich mir eine neue Kippe an. Was wollte sie von ihm? Ausgerechnet von ihm? Warum nicht jemand anderes? Warum nicht ... Egal, wie lange ich darüber nachdachte, doch mir fiel niemand ein, der gut für Josie wäre. Der gut genug wäre. Niemand ist für sie gut genug. Niemand könnte sie so glücklich machen, wie es sein sollte. Niemand könnte sie so gut beschützen, wie es sein sollte. Niemand konnte ihr das geben, was sie braucht. Niemand war gut genug für Josie. Niemand!

Wieder erzählte er etwas und nun lachten sie beide zusammen. Sie sah glücklich aus. So glücklich. Bei ihm. Mit ihm. Wegen ihm.

Warum nur tut es so weh...?


Joseline - Mein Weg 2 (Daryl Dixon, Sunrise Avenue, TWD FF)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt