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„Weshalb glotzt ihr Kollege mich so an?"

Melinda buffte Arndt mehrmals in die Seite bis dieser sich aus seiner Erstarrung löste.

„Er hört zu. Er beobachtet sehr aufmerksam. Sein Blick friert manchmal ein. Nehmen sie es ihm nicht übel!"

Lena Christiansen, Leiterin des Polizeipräsidiums Osterode zwang sich zu einem Lächeln.

„Ich verstehe."

Sie musterte Arndt aufmerksam.

„ Laufen sie nicht weg! Ich bin gleich wieder da!"

Arndt Holler und Melinda Sieben waren heilfroh einen Moment verschnaufen zu können. Neben der Bank gab es einen Wasserspender. Melinda hatte den ersten Becher schon geleert und verlangte nach mehr, um auch die zwei anderen Tabletten in ihrer Hand hinunterzuspülen.

Seit geschlagenen drei Stunden jagte sie Christiansen nun schon durch die Abteilungen, stellte ihnen Kolleginnen und Kollegen vor, lobte deren gute Arbeit, plauderte Dinge aus, die keinen etwas angingen und wurde nicht müde zu betonen wie friedlich es letzten Endes in dieser Stadt zuging. Genau was Arndt und Melinda erwartet hatten. Genau was man ihnen versprochen hatte.

Was man ihnen jedoch nicht gesagt hatte: eine Mordkommission existierte in Osterode nicht mehr. Was seine Gründe hatte. In den vergangenen Jahren hatte es hier einfach zu wenig Mord und Totschlag gegeben.

Lena Christiansen kam zurück, mit einem Kaffeebecher in der Hand.

„So. Und das Beste zum Schluss! Kommen Sie!"

Sie schoss den Flur entlang zum Treppenhaus und stieg hinauf ins Obergeschoss. Arndt und Melinda hatten Mühe ihr zu folgen.

Die Stufen knarrten, es roch nach Bohnerwachs. Dieses Gebäude hatte bereits etliche Jahre auf dem Buckel.

„Dies war früher eine Schule, stimmts!”

Christiansen blieb auf dem Treppenabsatz stehen.

„Ein Gymnasium, ja. Ist aber schon lange her. Letztes Jahrhundert. Wurde komplett umgebaut und saniert."

Arndt beugte sich zu Melinda hinüber.

„Wie kommst du darauf?"

„Das Kindergeschrei. Nicht sehr laut. Aber da ist Kindergeschrei."

„Ich höre nichts."

„Nein, natürlich nicht."

Damit war das Gespräch beendet. Arndt starrte in seinen leeren Pappbecher. Er verspürte große Lust sein Skizzenbuch herauszuholen und zu zeichnen. Doch Melinda bedeutete ihm mit einem ernsten Blick, es besser sein zu lassen. Sie mussten nicht gleich am ersten Tag unangenehm auffallen.

Die Hälfte der Büros im Obergeschoss stand leer. Entsprechend still war es dort. Melinda sah zur Decke des langen Flurs. Nur jede zweite Lichtleiste brannte. Ein Kopierer surrte im Stand-by-Modus. Daneben stand eine Zimmerpflanze, die aussah als wäre sie noch niemals in ihrem Leben gegossen worden. Die Stimmung wirkte bedrückend.

„Ihr neues Zuhause. Suchen Sie sich was aus!"

Arndt war unklar woher Christiansen ihre gute Laune nahm. Freute sie sich über ihre zwei neuen Mitarbeiter? Zwei Kriminalkommissare, die nach einjähriger Zwangspause wiedereingegliedert werden sollten und trotz Genesung ganz offensichtlich die eine oder andere Macke abbekommen hatten, waren die nicht eher ein Klotz am Bein?

Christiansen öffnete mal die eine, mal die andere Tür und gewährte ihnen Einblick in die leeren Büroräume. Einige Zimmer besaßen eins, manche zwei Fenster, andere überhaupt keins, so dass man den lieben langen Tag unter surrenden Neonröhren hätte verbringen müssen.

Brandprobe (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt