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Arndt und Melinda traten näher an die Tür heran.

„Der Täter hat einen Brandsatz aus Kartons, Benzin und Knallkörpern gebaut, den er dann im Treppenhaus hinter der Tür zündete. Die Mauern hier draußen hat er ebenfalls mit Benzin überschüttet und angesteckt. Völlig verrückt! Hier ging es hoch in den Vorführraum. Die Treppen waren komplett aus Holz."

Arndt erinnerte sich an den Sommer, in dem er sechzehn Jahre alt geworden war. Damals hatte er als Vorführer im Goslarer Kino gearbeitet. Die alten Projektoren wurden immer heiß wie ein Backofen und rochen nach Motoröl. So ein Vorführraum war wie ein Gefängnis. Klein, eng und stickig.

„War jemand da oben als das Feuer gelegt wurde?"

Bullerjahn schüttelte den Kopf.

„Zum Glück nicht. Der Vorführer saß mit seiner Freundin unten im Saal und hat sich den Film angesehen. Als er sah wie das Zelluloid auf der Leinwand löchrig wurde und schmolz ist er losgerannt. Die Feuerwehr war rechtzeitig da. Keiner von den Besuchern wurde verletzt."

Bullerjahn stand so dicht bei ihnen als hätte er vor sie zu umarmen. Er roch ungesund aus dem Mund. Von zu viel Stress konnte es nicht kommen. Melinda nahm ein paar Schritte Abstand und ging hinüber zu dem großen Baum. Gedankenverloren klaubte sie einige der herumliegenden Kastanien auf und befühlte ihre kalten, glatten Oberflächen.

Ein leichter Wind war aufgekommen und schien die Luft weiter abzukühlen. Melinda legte den Kopf schief, so dass der Lufthauch ihr rechtes Ohr streichelte. Sie hatte etwas gehört, das ihre Aufmerksamkeit erregte, wusste aber noch nicht genau was es war und woher genau es kam. Sie drehte den Kopf auf die andere Seite und lauschte aufmerksam in die Nacht. Dann begann sie leise eine Melodie zu summen. Sie kannte dieses Stück. Nur woher?

Zu spät bemerkte sie, dass Arndt unterdessen sein Skizzenbuch herausgerissen hatte und mit zuckenden Bewegungen, wie Rumpelstilzchen, um Bullerjahn herumzulaufen begann. Dabei blätterte er hektisch durch die Seiten des Buches und suchte fieberhaft nach seinem Stift, wobei sein ungelenkes Zappeln immer heftiger wurde. Bullerjahn war vor Schreck erstarrt und wusste offenbar nicht wie er reagieren sollte.

„Mein Gott. Was hat ihr Kollege? Helfen sie ihm doch!"

Mein Kollege? Bin ich sein Kindermädchen? Jetzt ist er auch ihr Kollege, dachte Melinda. Jetzt ist er auch ihr Kollege!

Sie stürzte zu ihm als er seinen Tanz an der verbrannten Mauer stoppte, sich daran hinuntergleiten ließ und mit dem Hintern aufs Pflaster setzte. Wie ein Wilder begann er jetzt in seinem Buch herum zu kritzeln. Melinda kannte das. Bullerjahn wandte sich ab. Für ihn schien der Anblick unerträglich.

„Ein Anfall! Ich rufe einen Krankenwagen!"

Bullerjahn hatte schon sein Mobiltelefon in der Hand.

„Nein, lassen sie! Ist gleich wieder gut!"

Melinda begann erneut die Melodie zu pfeifen, während Arndts Bewegungen sich zunehmend verlangsamten, seine Hand den Stift immer schleppender über das Papier zog und seine Augenlider aufhörten zu flimmern. Drei Atemzüge später sank er mit geschlossenen Augen zur Seite, als wolle er sich zu einem Nickerchen hinlegen. Mit einer schnellen Bewegung zog sich Bullerjahn die Mütze herunter und schob sie Arndt unter den Kopf. Melinda bemerkte Bullerjahns Gesichtsausdruck, der noch immer nicht von dieser Welt war.

„Dauert nicht lange. Gleich ist er wieder da."

Woher nahm sie nur immer wieder diese Ruhe? Sie zog ihm das Skizzenbuch aus der Hand und blätterte die letzten Seiten durch.

„Aha", murmelte sie, „habe ich mir doch gedacht!"

Sie bückte sich nach Arndts Zeichenstift, der zwischen die Pflastersteine gerollt war, und schrieb etwas auf die letzte Seite des Buches. Dann klappte sie es zu und steckte es zurück in Arndts Umhängetasche.

Bullerjahn hatte bei all dem nur ungläubig zugesehen. Was für kaputte Kollegen hatte ihm Christiansen hier nur aufs Auge gedrückt? Jetzt verstand er weshalb Goslar sie nicht zurückhaben wollte.

Wenige Minuten später war Arndt wieder unter den Lebenden. Und wie immer erinnerte er sich an nichts. Unbeholfen wischte er sich über den Mund. Seine Augen waren gerötet. Auf der Wange klebten Spuckereste und Teil eines Kastanienblattes. Seine Stimme klang jedoch wie immer.

Er drehte den Kopf zu Bullerjahn.

„Wen haben sie in Verdacht?"

Bullerjahn war sprachlos. Nein, mehr als das. Er wusste nicht was er denken sollte. Gerade noch legte ihm der Kollege hier so eine Zappelnummer hin, und jetzt war es, als wäre nichts geschehen! Bullerjahn merkte, dass er stotterte.

„Steht alles, alles im Bericht. Nein. Kein, kein konkreter Verdacht."

„Sie haben ihre Mütze verloren!"

Arndt hob das grob gestrickte Ding auf und drückte es Bullerjahn in die schlaffe Hand. Melinda reichte Arndt die Hand und zog ihn auf die Beine. Er grinste sie schief an.

„Mann, habe ich einen Kohldampf. Ist es weit bis zu diesem Chinesen?"

Bullerjahn strich sich das Haar nach hinten und streifte sich die Pudelmütze wieder über.

„Die Führung ist beendet. Tut mir Leid! Außerdem habe ich meiner Frau versprochen, dass ich heute etwas früher nach Hause komme!"

„Sie sind verheiratet?"

Sie konnte nichts dafür. Es war ihr einfach so rausgerutscht. Doch welche Frau heiratete denn einen solchen Waldschrat? Bullerjahn wurde hektisch.

„Ja, bin ich. Und nun einen schönen Abend. In Richtung Bahnhofstraße gibt es eine gute Pizzeria. Ist vielleicht näher für sie als der Chinese. Tschüss."

Beim Weggehen klopfte er mehrmals auf seine Jackentaschen, als hätte er etwas verloren. Dabei sah er immer wieder nach rechts und links auf den Boden. Melinda sah noch wie er die Zigarre abschnitt und sie sich zwischen die Zähne schob.

Sie hatten ihn verschreckt. Eigentlich schade. Hätte ein netter Abend werden können. Doch Arndt und Melinda waren gewillt es wieder gutzumachen. Auf welche Weise auch immer.

Brandprobe (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt