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Beas Tür war abgeschlossen. Vermutlich saß sie schon in der Kantine und hielt nach ihnen Ausschau. Arndt ertappte sich dabei wie er die beiden Bürotüren an der Treppe in den Blick nahm. Er hoffte, dass die Kollegen Petersen und Steffens schon gegessen hatten und sie ihm nicht schon wieder über den Weg liefen. Dann erinnerte er sich an seine Worte von vorhin. Wir wissen uns schon zu wehren. Ach ja, wussten sie das? Melinda vielleicht. Aber er? Was hatte ihnen Bea vorhin über die Mordkommission erzählt? Sie war aufgelöst worden, und Bullerjahn ihr kümmerlicher Rest? Weshalb hatte Christiansen sie hierher geholt? Was hatte sie vor? Arndt versuchte die düsteren Gedanken abzuschütteln.

Die Kantine befand sich im Untergeschoss. Vor der geöffneten Glastür stand eine Tafel, an der mit farbigen Stecknadeln die Tagesmenüs angehängt waren. Es gab Pilzschnitzel mit Pommes und Mischgemüse, Kartoffelpuffer mit Apfelmus und als vegetarisches Gericht Sojagulasch mit Reis. Dazu wahlweise Salat oder Pudding.

Bea saß ganz hinten in der Ecke, unter einem gigantischen Gummibaum, dessen Äste bis auf den Tisch hingen. Vertrocknete Blätter lagen auf dem Boden. Sie hatte schon gegessen und stocherte lustlos in ihrem rosafarbenen Pudding herum.

„Hütet euch vor dem Nachtisch! Der schmeckt nach Seife."

Melinda hatte sich für das Sojagericht entschieden. Arndt blickte auf ein schuhsohlengroßes Schnitzel, das in trübbrauner Soße schwamm. Die Pilze konnte man an einer Hand abzählen. Den Nachtisch hatten sie erst gar nicht mitgenommen.

„Guten Appetit, euch beiden! Was machen die Akten?"

Eigentlich verspürte sie wenig Lust während des Essens über die Arbeit zu reden. Andererseits war kaum noch jemand hier, der große Ohren hätte machen können.

„Einundzwanzig Akten können wir ihnen gleich wieder zurück bringen. Drei behalten wir."

Arndt legte Bea den Zettel mit den Nummern aufs Tablett.

„Kannst du für uns beim Kreis-Anzeiger anfragen, ob es in ihrem Bildarchiv Aufnahmen der Löscharbeiten gibt? Wenn ja, wir brauchen Abzüge! Uns interessieren besonders die Gaffer."

Bea fuhr sich mit der Zunge über die Zähne. Eine Spur ihres roten Lippenstifts klebte auf ihrem Schneidezahn.

„Heute noch?"

„Das wäre ganz herrlich!"

Bea hatte sich nun endgültig dafür entschieden den Pudding stehen zu lassen und schob das Tablett zur Seite. Melinda sah zu Arndt hinüber, der mit aller Kraft an seinem Schnitzel herumsäbelte. Wenn Bea nicht in ihr Haus kam, weil ihr Mann sie nicht herein ließ oder wenn sie gar nicht vorhatte zurück zu gehen, dann musste sie sich irgendwo eine Unterkunft suchen. In der Dienstwohnung konnte sie auf keinen Fall bleiben. Nicht solange Arndt und Melinda nicht eigene Wohnungen gefunden hatten und dieses Notquartier verlassen konnten. Schon gar nicht konnte Bea in Melindas Bett bleiben.

Während des ganzen Essens suchte sie nach den richtigen Worten.

Am Ende kam Bea ihr zuvor.

„Ein riesiges Dankeschön noch mal, dass ihr mich bei euch aufgenommen habt! Ich weiß eure Gastfreundschaft zu schätzen, und ich bin mir sicher, dass ihr mich auch weiterhin bei euch ..."

Das klingt wie auswendig gelernt, dachte Arndt.

„ ... Doch ich habe eine ganz nette Einladung erhalten, die ich nicht ausschlagen kann."

Melinda und Arndt konnten sich ein Grinsen nicht verkneifen. Weshalb genau konnten sie nicht sagen. Beas Stimme hatte einen so süßen, schweren Klang bekommen.

Ja, dachte Melinda, bei Bullerjahn ist es bestimmt gemütlicher. Und im Notfall war es für ihn sicher ein Leichtes einen blindwütigen Ehemann abzuwehren.

Theatralisch streckte Bea ihren linken Arm in die Höhe. Es fehlte bloß noch, dass sie auf den Tisch stieg.

„Eine Patricia Morgan lässt sich nicht gefangen halten. Sie streift ihre Fesseln ab und folgt ihrer Berufung!"

Das gefiel Melinda. Arndt konnte mit Beas Darbietung nichts anfangen.

„Mein fünfter Roman ist fast fertig. Wollt ihr ihn lesen? Ihr wärt die allerersten!"

Keiner von ihnen wollte Bea enttäuschen. Doch weder Melinda noch Arndt lasen Liebesschmonzetten. Schon gar nicht solche, bei denen man bereits nach zwei Seiten wusste wie das Ganze ausging. Arndt bemühte sich nach Kräften das Thema diplomatisch abzuwürgen.

„Wenn das Buch erscheint kaufe ich es und lese es! Versprochen!"

Bea sah ihn ungläubig und etwas enttäuscht an.

„In der Buchhandlung am Martin-Luther-Platz haben sie meine Bücher vorrätig!"

Damit saß er in der Falle. Ganz sicher würde Bea ihn beizeiten an sein Leseversprechen erinnern. Melinda grinste ihn schadenfroh von der Seite an.

Als die Zeiger auf zwei Uhr vorrückten beugten sie sich wieder über die Akten. Keine zehn Minuten dauerte es bis Bea hereinkam und ihnen die Kontaktdaten des zuständigen Mitarbeiters beim Kreisanzeiger brachte.

„Ich habe mit Olaf Ischinger, einem der Bildredakteure gesprochen. Er sagte mir, dass er eine Stunde braucht, um die Bilder rauszusuchen. Um drei könnt ihr zu ihm kommen. Hier, die Adresse."

Bea tippte auf den grellgelben Notizzettel, den sie Arndt mit einer schnellen Bewegung auf den Unterarm klebte. Aus irgendeinem Grund kam Arndt Teppichverlegeband in den Sinn, mit dem man schnell und effektiv Gliedmaße enthaaren konnte.

„Wenn ihr eine Stadtkarte braucht, ich habe eine hier!"

„Danke, Bea."

„Dafür nicht. Aber das mit Kollege Bullerjahn bleibt unter uns, ja!"

Arndt und Melinda hoben ihre Hände und streckten Zeige- und Mittelfinger in die Luft.

„Auf unseren Amtseid."

Brandprobe (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt