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Er erwachte davon, dass jemand heftig mit der Faust an die Tür hämmerte.

„Arndt, wach auf! Herr Bullerjahn will mit uns eine Stadtbegehung machen!"

Bullerjahn? Stadtbegehung? Melinda klang ganz so als freue sie sich darüber. Er stand auf und spürte einen kurzen Schwindel, der jedoch gleich wieder verschwand. Wie lange hatte er geschlafen? Vor dem Fenster war es bereits dunkel. Er sah auf seine Uhr. Dreißig Minuten hatte er geschlafen. Nicht länger.

Melinda war nicht in ihrem Zimmer. Sie saß in der Küche und schlürfte Tee aus einer großen roten Tasse. Arndt fiel auf, dass sie ihren Wollmantel anhatte und Schuhe trug.

„Er hat Steinchen ans Fenster geworfen. Die Klingel ist kaputt!"

„Hat der Kerl kein Zuhause?"

„Er kümmert sich. Ist doch nicht verkehrt!"

„Ach, auf einmal?"

„Zieh dich an. Er wartet unten. Es geht um die Brandstiftung."

Im Schatten der Kastanie zeichnete sich Bullerjahns hoch gewachsene Gestalt ab. Er trug einen abgewetzten Bundeswehrparka. Über den Kopf hatte er sich eine dunkelrote Pudelmütze gezogen. Arndt erkannte ihn erst beim zweiten Hinsehen.

Er war froh sich den Schal umgebunden zu haben. Die Abendluft war kühl. Es roch nach modrigem Laub. Es war nicht mehr zu leugnen, der Herbst kündigte sich an.

„Sie haben doch bestimmt Lust, ihren neuen Dienstort kennen zu lernen! Ich bin heute Abend ihr Guide, und sie bekommen eine Stadtführung gratis!"

Mehr Informationen gab er nicht preis. Arndt und Melinda sahen sich erwartungsvoll an.

„Ich könnte was zu essen vertragen!"

Melinda verzog das Gesicht als leide sie unter Magenkrämpfen.

„Gegenüber der Kreisverwaltung gibt es einen Chinesen. Der kocht ganz ordentlich. Aber erst wird sich bewegt!"

Erst der Sport, dann die leckeren Glutamate, dachte Melinda. Doch sie hielt besser die Klappe.

Arndt sah sich nach den Straßenschildern um. Die Dienstwohnung lag in der Berliner Straße. Das Präsidium, welches etwa hundert Meter davon entfernt stand, lag in einer Straße, die sich Abgunst nannte.

Bullerjahn zeigte mit ausgestreckten Armen in unterschiedliche Richtungen.

„Da geht's runter zum Fluss, der Söse. Wollen sie da lang, oder direkt in die Stadt?"

Sie einigten sich auf den Weg, der an der Söse entlang in die Innenstadt führte. Arndt und Melinda stand der Sinn nach rauschendem Wasser. Sie spürten beide, dass ihnen etwas fehlte seit ihrer Reha-Zeit in St. Peter Ording. Ein Fluss war zwar kein vollständiger Ersatz für das Meer, aber immerhin etwas. Wenn sie mehr Wasser wollten, dann brauchten sie nur zu einem der zahlreichen Badeseen im Oberharz zu fahren.

Sie beugten sich über das Metallgeländer und starrten gebannt auf das schwarzglänzende Wasser, dass zwei, drei Meter unter ihnen durch das Flussbett gurgelte. Bullerjahn erklärte ihnen, dass es in den vergangenen Wochen viel geregnet habe und die Sösetalsperre gut gefüllt sei. Gerade würde man etwas Wasser ablassen. Das sei ganz normal.

„Am Staudamm gibt es ein nettes Café mit einer tollen Außenterrasse. Wenn sie Lust haben, können wir die Tage mal hochfahren!"

Arndt lächelte. Er mochte Kaffee und Kuchen. Jeden Nachmittag um vier brühte er sich eine große Tasse auf. Auch wenn kein Kuchen und keine Torte zur Hand waren, so gab es mindestens Kekse dazu. Er fühlte sich äußerst unwohl, wenn er dieses Ritual durch ein unvorhergesehenes Ereignis verschieben oder sogar ausfallen lassen musste.

Brandprobe (Krimi)Wo Geschichten leben. Entdecke jetzt