Dreizehn

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Meine Mutter schloss die Tür hinter mir und ich blieb schweigend im Raum stehen. „Setz dich, Luca." Sie zeigte auf den freien Stuhl, der ihr gegenüber stand. „Nein, ich habe nicht vor lange zu bleiben.", sagte ich kühl. Meine Mutter nickte schwach. „Also, was führt dich zu mir." Sie schenkte mir ein Lächeln. Bedrückt guckte ich auf meine Hände. Ich wollte ihr Gesicht nicht sehen. Eigentlich wollte ich sie gar nicht sehen. „Tom.", sagte ich und guckte auf. „Tom schickt mich." Sie nickte wider. „Willst du etwas trinken." Wollte sie jetzt anfangen mit Smalltalk? Ich wollte gerade nein sagen, da sprach sie weiter. „Vielleicht eine Tasse Tee?" Ich konnte es nicht verhindern, dass meine Augen leuchteten. Warm! Ja, ich hatte schon ewig nichts warmes mehr getrunken. Hastig nickte ich also. Meine Mutter lächelte mich an. Sie stand auf und machte mir eine Tasse heißen, dampfenden Tee. Ich nahm die Tasse und schloss meine Finger um diese. Diese Wärme war so schön. Sie ging durch meinen ganzen Körper und hüllte ihn in Wärme. Ich nippte einmal an der Tasse.

„Also Tom schickt dich, wie geht es ihm so?" Ich hielt die Tasse in meinen Händen fest. „Wie soll es ihm schon gehen? Wie soll es uns allen schon gehen? Ich würde sagen den Umständen entsprechend." Ich nahm wieder einen Schluck von der Tasse. Anscheinend würde dieses Gespräch doch länger laufen. Seufzend setzte ich mich also auf den Stuhl gegenüber von meiner Mutter.
„Verständlich.", meinte sie nur.

Ich kratzte mich einmal am Hinterkopf. „Wir brauchen deine Hilfe.", sagte ich leise. Ich hasste es. Meine Mutter um Hilfe zu fragen war eine Schande für mich. All die Jahre hatte sie wahrscheinlich nicht mal einen Gedanken an mich verschwendet und jetzt muss ich zu ihr kommen und sie um etwas bitten. Ich hasse es!

Meine Mutter richtete sich in ihrem Stuhl etwas auf. „Natürlich. Was kann ich für euch tun?" Ich trank noch einmal einen Schluck von der heißen Flüssigkeit. Dann stellte ich die Tasse vor mir auf dem Tisch ab. „Wir brauchen Decken, Sachen zum warmhalten. Wir erfrieren sonst." Meine Mutter schlug sich die Hand vor den Mund. „Habt ihr wirklich gar nichts? Ich dachte, dass ihr..." Ich schüttelte den Kopf. „Nein, wir haben wirklich nichts."

Meine Mutter nickte. „Ich werde versuchen euch zu helfen und wenn ihr noch etwas braucht, dann müsst ihr einfach nur fragen. Ich werde sehen was sich da alles machen lässt." Ich nickte. „Okay." Ich nahm meine Tasse wieder in meine Hand und trank die letzten Schlucke. Das tat gut! „Aber sag mal. Könnt ihr bei diesem Wetter nicht in irgendwelche Unterkünfte gehen, ich meine...", begann meine Mutter, doch ich unterbrach sie. „Es ist halt alles nicht so einfach. Wir dürfen das nicht." Meine Mutter schluckte. „Und was ist, wenn ihr...erfriert?" Sie wurde zum Ende hin immer leiser. Ich guckte sie ernst an. „Dann ist das eben so. Schwund hat man immer." Sie wollte etwas sagen, doch ich stand auf. „Ich werde jetzt gehen."

Ein letztes mal guckte ich mich in dem Büro meiner Mutter um. Es war klein und weiß gehalten, voll gestellt mit Schränken in denen Büchern standen, einer Liege, ihrem Schreibtisch und zwei Stühlen. Da viel mir plötzlich etwas auf. Auf ihrem Schreibtisch stand ein Bilderrahmen aus Holz. In diesem Bilderrahmen war ein Foto. Von mir und meiner Mutter. Es war schon Jahre alt, aus der Zeit, als ich noch zuhause leben durfte. Wie in Trance griff ich nach dem Bilderrahmen und nahm ihn in die Hand. „Luca?", meine Mutter sprach leise. „Du hast kein Recht dieses Foto hier stehen zu haben." Meine Mutter kam einen Schritt auf mich zu. „Wieso? Wir sind doch immer noch eine Familie." Wut überkam mich, Wut und Trauer. „Wir sind keine Familie!", schrie ich sie an, „An dem Tag an dem du mich weggegeben hast, waren wir keine Familie mehr!" Tränen sammelten sich in meinen Augen, doch es war mir egal. Endlich konnte ich ihr das sagen, was ich all die Jahre schon machen wollte. „Luca, ich habe dich doch nicht...", doch ich unterbrach sie. Tränen rollten mir über die Wange, als ich die nächsten Worte sprach. „Doch das hast du. Du hast mich weggegeben wie einen Hund, den du nicht mehr wolltest. Du hast nichts gemacht. Glaubst du ich habe nicht jeden Tag an euch gedacht, hätte nicht jeden Tag nach dir geschaut, aber ich war dir egal. Du hast dein leben einfach ganz normal weitergelebt, als wäre nichts passiert!" Ich weinte. Zum ersten Mal seit mehreren Jahren weinte ich. Meine Mutter wollte etwas einwerfen, doch ich kam ihr zuvor. „Besorg einfach die scheiß Decken. Ich schicke Tom oder Kira in ein paar Tagen vorbei." Ich warf wütend den Bilderrahmen auf den Boden. Das Glas zersplitterte. Dann drehte ich mich um und verließ mit einem lauten Türknallen das Zimmer.

Wütend lief ich den langen Flur entlang. „Ah, da sind Sie ja. Und wie war das Gespräch mit Ihrer Mutter?" Die hatte mir gerade noch gefehlt. Die junge Frau, Kramer glaube ich hieß sie, kam lächelnd auf mich zu. „Lassen sie mich einfach in Ruhe." Ich stand ihr gegenüber. „Oh, haben sie geweint?" Ich schluckte. „Das geht sie gar nichts an!", sagte ich zwischen zusammengebissenen Zähnen. „Verzeihung.", entschuldigte sie sich. Es war mir egal. Was mir viel mehr gegen den Strich ging war, dass sie zwischen mir und dem Ausgang stand. „Lassen Sie mich durch. Ich muss..." „Aber ihre Mutter hat doch gleich Feierabend. Nimmt sie Sie nicht mit?" Ich ballte die Hände zu Fäusten. „Nein, ich wohne nicht mehr zuhause.", sagte ich kühl. „Oh, aber sie sind doch nicht viel älter als ich, da dachte ich..." Ich unterbrach sie. „Es ist mir egal was sie denken. Ich muss jetzt gehen." Ich drückte mich an ihr vorbei. Sie lief mir hinterher. „Ich habe jetzt Feierabend. Ich könnte sie begleiten." „Nein." , doch sie ließ nicht locker. Immer wieder lief sie mir hinterher.

Genervt drehte ich mich um. „Na schön, aber wenn Ihnen etwas passiert, dann hafte ich für nichts." Sie lachte. „Ach, was soll schon passieren? Ich bringe sie ja nur nach hause." Jetzt musste ich traurig lachen. Nachhause. Ich hatte schon sehr lange kein richtiges zuhause mehr.

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