Wenn Visionen (und Träume) wahr werden

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Den ganzen Abend über musste Kyle die schrille Stimme seiner Mutter ignorieren, die sich lautstark bei Gerald darüber aufregte, was für einen undankbaren Sohn sie doch hatte. Ike hatte Hausarrest bekommen und würde die nächsten vier Wochen wohl Gemüse vorgesetzt bekommen, aber er schien höchst zufrieden mit sich. Vor allem, da Sheila noch immer versuchte, die grüne Farbe aus ihren Haaren zu waschen.

Kyle war eigentlich stolz auf seinen Bruder, immerhin hatte er ihrer Mutter die Stirn geboten, was genauso wahnsinnig, wie heroisch war. Dennoch konnte er sich über den Sieg der Unterdrückten nur schwer freuen, da ihm der Streit mit Stan noch immer schwer im Magen lag. Gerald hatte ihm noch einmal versichert, wie froh er darüber sei, dass Stan nicht mehr so oft in ihrem Haus auftauchte – er interpretierte dies wohl dahingehend, dass Kyle der Sünde Homosexualität noch einmal entronnen war. ,Wenn der wüsste.' Kyle spürte, wie sein Herz sich vor Schmerz zusammenzog. Stan empfand offensichtlich nicht mehr als Freundschaft für ihn, was auch immer der Kuss ihm auch Gegenteiliges vorgegaukelt hatte. ,Und wahrscheinlich können wir jetzt nicht einmal mehr Freunde sein.' Ein deprimierender Gedanke.

Am nächsten Tag musste Kyle, so sehr es ihn auch abstieß, mit Cartman zur Schule fahren. Da Kenny tot war und er Stan nicht mehr sehen wollte, blieb ihm keine andere Wahl. Natürlich benahm Cartman sich wie ein Arsch, aber Kyle war so mit seinen Gedanken beschäftigt, dass er es ausnahmsweise gut ignorieren konnte. In der Klasse war immer noch eine angespannte Stimmung, die meisten waren damit beschäftigt, auf Tweek herumzuhacken. Dieser wirkte noch verstörter als sonst und klammerte sich an seine silberne Thermoskanne mit Kaffee, wie ein Ertrinkender an einen Rettungsring. Kyle verspürte Mitleid mit ihm, mischte sich aber nicht ein.

„So, in einer Stunde wird der Rummel eröffnet", kündigte Mr. Garrison an. Er hatte eine Vertretungsstunde in Geschichte übernommen, was kollektives Stöhnen ausgelöst hatte. „Ihr Bälger freut euch sicher schon auf die Eröffnungszeremonie. Ich bin auch schon gespannt, was Kyles Mutter da auf die Beine gestellt hat, ich bin ja sicher..."
Kyle hörte nur mit halbem Ohr zu...auch Stans ständige Blicke ignorierte er.
Offensichtlich versuchte er Kontakt mit ihm aufzunehmen, doch Kyle war nicht danach. Er würde sicher nur wieder explodieren, wenn Stan sich wie ein Idiot verhielt.
„...aber wisst ihr was, ich glaube, so lange will ich nicht warten." Mr. Garrison erhob sich. „Mr. Zylinder und ich gehen mal einen Vorab-Rundgang machen und schauen uns an, was Mrs. „Ich bin besser als erfahrene Lehrer" da fabriziert hat. Ihr bleibt hier und lest in den Büchern, sonst kann es sein, dass euch bei meiner Rückkehr etwas Furchtbares passiert."
„Furchtbar?", wiederholte Butters und legte den Kopf schief.
Mr. Zylinder nickte, indem Mr. Garrison die Hand bewegte, und fixierte Butters. „Fuuurchtbar."
Butters stieß ein erschrockenes Quietschen aus und vergrub das Gesicht hinter seinem aufgeschlagenen Buch. „Lernen, lernen, dann wird mein Wissen sich vermehren..."
„Wie viele von diesen nervigen Reimen kennt der eigentlich?", raunte Clyde Token zu, der nur mit den Schultern zuckte.

Kyle öffnete ebenfalls sein Buch und las lustlos etwas über Städte im Mittelalter.
„Kyle?"
Kyle ließ sich Zeit damit den Kopf zu drehen. „Was willst du?"
Stan verzog gequält das Gesicht. „Können wir reden?"
„Ich wüsste nicht über was."
„Darüber, dass es mir leid tut...okay? Ich will, dass wir Freunde bleiben."
Obwohl diese Worte positiv waren, versetzten sie Kyle einen Stich. Freunde schloss andere Sachen wohl aus... „Ja, will ich auch", murmelte er. Zumindest das, wenn schon nicht mehr.
„Also...vertragen wir uns wieder?" In Stans Gesicht keimte Hoffnung auf und der Ansatz eines Lächelns war zu sehen.
Kyle fand den Anblick sehr schön, aber er brach ihm auch das Herz. „...ich weiß nicht. Ich muss darüber nachdenken, okay?"
Stans Mundwinkel sackten wieder nach unten. Genickt nickte er. „Verstehe..." Wahrscheinlich tat er dies nicht wirklich, doch Kyle war froh, dass er ihn nicht unter Druck setzte. Das alles war neu für sie beide und Kyle wollte in Ruhe darüber nachdenken, ehe ihre Freundschaft vielleicht wirklich daran zerbrach. „Wir können aber zusammen auf den Rummel gehen", sagte Kyle und lächelte, damit Stan nicht mehr so mutlos schaute.
Diese Worte zeigten allerdings nicht die gewünschte Wirkung; Stan wurde ein wenig blass. „Auf den Rummel? Also..."
„Was?" Kyle verengte misstrauisch die Augen zu Schlitzen. Schon die ganze Zeit über hatte er das Gefühl, als würde Stan ihm irgendetwas vorenthalten. Da es sich ganz offensichtlich nicht um verborgene Gefühle handelte, musste es etwas Anderes sein.
„Ach...nichts, ist okay", sagte Stan schnell und richtete den Blick verdächtig hastig wieder auf sein Geschichtsbuch.
„..." Kyle seufzte und tat es ihm nach. Wie hatte er sich nur in solch einen Chaoten verlieben können?

Seltsame Visionen-Style/CreekWo Geschichten leben. Entdecke jetzt