Dean?
Ja, mein Liebster?
Die Verbindung vibrierte mit Wills Lachen und seiner Befangenheit. Er hatte anfangs noch versucht, nicht zu viele Gefühle an Dean zu schicken, aber Dean war verglichen mit ihm sowieso eine Naturgewalt an Emotionalität. Er hielt nichts zurück und Will nahm dankbar alles an und tat es ihm nach einer Weile öfter gleich. Wann immer sie miteinander sprachen, nutzte Will ihre neue Offenheit, um seine Gefühle mit mehr als bloß Worten zu zeigen.
Ich wollte dich fragen, wie du … also, wie war das mit deinem Coming-Out?
Oh. Dean war überrascht von der Frage, aber Will wusste, er würde sie ihm gerne beantworten. Eigentlich war das ganz lustig, meinte Dean.
Dann erzähl mal.
Will hörte zu, als Dean ihm beschrieb, wie er im letzten Jahr der Mittelschule Kyara geküsst und dabei gemerkt hatte, was zu diesem Zeitpunkt schon allen anderen klar gewesen war: Dean wollte keine Mädchen küssen. Dean nannte sich selbst einen Vollpfosten, weil er so vollkommen ahnungslos war und überhaupt nichts mitbekommen hatte. Er hatte die Sommerferien hindurch gelitten und kurz vor dem Beginn seines ersten High-School-Jahres Lemon unter Tränen gestanden, dass er schwul war.
Ich war so fertig. Ich hab bestimmt zwanzig Minuten lang um den heißen Brei herumgeredet, bis ich so weit war. Lemon dachte, es sei wer weiß was passiert, ich hätte jemanden umgebracht oder so, erzählte Dean. Er schickte Will dabei vor allem Ruhe und ein bisschen Belustigung. Dann hat er mich bei den Schultern gepackt und gesagt „Jetzt rede endlich!“ und ich hab fast angefangen zu heulen und es ihm gesagt.
Und er?
Er? Er hat mich losgelassen, sich mit der flachen Hand gegen die Stirn geschlagen und gemeint „Du willst mich verarschen, Gott verdammt Dean, ich dachte es ist was Schlimmes!“ Und weißt du, obwohl es für mich irgendwie was Schlimmes war, in dem Moment, war es danach besser. Lemon hat mir auf seine Art effektiv mitgeteilt, dass mit mir alles in Ordnung ist.
Will lächelte verhalten. Lemon war ein so guter Freund. Er hätte selber gerne auch einen wie Lemon, auch wenn dieses spezielle Exemplar ihm ein bisschen zu ruppig und unsensibel erschien.
Als nächstes hatte Dean es Kyara erzählt, die ihn umarmt hatte und sagte: „Schätzchen, das wusste ich doch längst.“
Und wie war das mit deinen Eltern?, fragte Will.
Dean schwieg kurz. Das war auch gut, eigentlich. Ich war ein bisschen … theatralisch. Hab die Gelegenheit zu Thanksgiving genutzt, als alle im selben Raum am selben Tisch saßen. Oliver hat gerade irgendeine dämliche Geschichte erzählt und ich hab mich einfach auf meinen Stuhl gestellt.
Was?, rutschte es Will perplex heraus. Er hatte Dean eigentlich nicht unterbrechen wollen, aber Dean lachte bloß.
Wie gesagt, theatralisch. Also, ich stehe auf dem Stuhl, alle starren mich an. Und ich sage: „Ich bin schwul“, setze mich wieder hin und esse weiter. Oliver ist ausgeflippt, aber meine Tante hat ihn sehr schnell zum Schweigen gebracht. Sie hat mal einen Einbrecher mit einer Mistgabel in die Flucht geschlagen, also du kannst dir vorstellen, wie beeindruckend sie ist.
Ob Will das so richtig gelang, wusste er nicht, aber seine Bewunderung für Dean war in diesem Moment grenzenlos. Dean bekam das natürlich mit.
Das war wirklich keine große Sache. Meine Mum war nicht besonders überrascht, eigentlich hat sich keiner außer Oliver gewundert. Ich wollte ihn mehr schockieren als alles andere.
Das war Dean vermutlich gelungen.
Warum fragst du eigentlich?, wollte Dean nach ein paar Minuten wissen, gerade als Wills Mum das Auto vor dem Haus seiner Großmutter einparkte.
Oh na ja, ich hab mir gedacht, heute ist die ganze Familie zu Thanksgiving bei meiner Oma und ich könnte die Gelegenheit nutzen.
Es brachte nichts, sein leichter Tonfall täuschte Dean nicht länger über die Angst hinweg, die er damit zu verbergen versuchte.
Du willst dich aber nicht auf einen Stuhl stellen und es der Welt verkünden, oder? Dean verbarg mühsam und umsonst sein Entsetzen.
Och, warum denn nicht?, fragte Will.
Er hatte das absolut nicht vor, dazu fehlten ihm der Mut und die Kaltschnäuzigkeit. Abgesehen davon würde seine Oma ihn nicht zu Wort kommen lassen, wenn er seine Füße auf die Sitzfläche von irgendetwas bewegte.
Du weißt, du musst das nicht machen, oder?, fragte Dean. Will spürte seinen Beschützerinstinkt, schüttelte das Gefühl jedoch entschlossen ab.
Ich mache das nicht nur deinetwegen. Ich bin so weit. Ich weiß, dass ich mich wegen nichts schämen muss.
Das weiß ich doch auch, sagte Dean mit einer Spur Verzweiflung. Aber es gibt sicher einen Grund, warum du bisher dein Coming-Out nicht hattest. Tu das nicht, wenn du danach nicht in Sicherheit bist.
Will folgte seiner Mum zur Tür, wo sein Dad bereits Wills Oma – seine Mutter – begrüßte. Alice Fleming war eine strenge Frau, die das auch in ihrem Aussehen vermittelte. Ihre Frisur war ein perfekt sitzender Dutt auf ihrem Hinterkopf, sie trug weiße Blusen und lange Röcke und manchmal bekam sie diesen unversöhnlichen Gesichtsausdruck, der hart wie Stahl war. Will erwartete, ihn heute mindestens einmal zu Gesicht zu bekommen. Jetzt aber zog sie ihn in eine feste Umarmung.
„William, wie schön, dich zu sehen.“ Sie betrachtete ihn kritisch, aber anscheinend gefiel ihr, was sie sah, denn sie lächelte.
Mach dir keine Sorgen, ich pass auf mich auf.
Dean seufzte. Halt mich auf dem Laufenden, okay?
Will wusste manchmal nicht so ganz, ob er Deans Beschützerinstinkt süß oder anstrengend finden sollte. Es war sicher alles nett gemeint, aber Will war sein ganzes Leben lang ohne Dean zurechtgekommen. Auch wenn Dean Wills Leben um einiges bereichert hatte, wäre es nett wenn er ein bisschen mehr Vertrauen in Will haben würde.
Wie sich herausstellte, waren sie die letzten, die ankamen, obwohl einige der anderen einen viel weiteren Anreiseweg gehabt hatten. Diverse Tanten und Onkel waren bereits da, Wills einzige Cousine ebenfalls und die anderen Großeltern. Sie nahmen alle an der langen Tafel im Esszimmer Platz und so langsam nahm Wills Nervosität Überhand. Er verschloss die Verbindung mit Dean so weit, dass der nichts davon mitbekam. Ein Trick, den er deutlich besser beherrschte als Dean. Aber Will fand einfach, manchmal war es besser, wenn nicht beide zusammen leiden mussten.
Natürlich konnte Will mit seiner Familie kein normales Thanksgiving-Dinner haben, so wie alle anderen. Nein, seine Oma hatte die Gerichte bloß ausgesucht und dann Köche und Kellner für den Rest angeheuert. Davon abgesehen gab es in Wills Verwandtschaft so viele Vegetarier, dass es ausgeschlossen war, einen Truthahn zu servieren, wie es eigentlich Tradition zu Thanksgiving war. Statt also eines übermächtigen Hauptgerichts gab es mehrere ausgeklügelte und aufwändige Gänge, durchweg ohne Fleisch.
Als es mit gefüllten Portobellopilzen losging, drehten sich die Gespräche um die Privatschule seiner Cousine, die Beförderung seines Onkels und Will hatte rein gar nichts zu sagen. Er hatte keine Ahnung, wie er mit seinem Thema überhaupt anfangen sollte. Vielleicht wäre es doch besser gewesen, seine Eltern vorher auf seine Seite zu ziehen. So ein Auftritt vor der ganzen Familie war doch eher ein Dean-Ding, vielleicht hatte Will mittlerweile so viel Zeit mit Dean verbracht, dass er geglaubt hatte, dem gewachsen zu sein. Er hatte sich geirrt. Auch wenn Dean in seinem Kopf war, Will war ganz anders als er und lange nicht so kühn.
Erst beim dritten Gang, einem vegetarischen Shepherd’s Pie, wurde Will überhaupt angesprochen. Erstaunlicherweise war das wohl alles, was überhaupt nötig war, um ihm heute den Rest zu geben.
Seine Cousine Preston war sowieso von der unangenehmen Sorte, wie Will fand. Sie hielt sich für etwas Besseres, was in diesem Raum einfach dämlich war. In ihrem eigenen Freundeskreis war sie vielleicht die mit den reichsten Eltern, aber nicht hier.
„Und, William, wie ist die neue Schule?“ Das aufgesetzte Mitleid war fast brechreizerregend. „Hattest du Probleme, dich einzuleben? Öffentliche Schulen sollen ja so … schwierig sein.“
Bevor sie in einen ausschweifenden Monolog über ihre angesehene Privatschule einsteigen konnte, lächelte Will sie an.
„Ein paar Probleme gab es tatsächlich, ehrlich gesagt.“
Er würde nicht mit ihr über Riley sprechen, das war bei einem Familienessen irgendwie nicht richtig. Aber Preston ließ sich von ihm steuern wie eine Marionette und stürzte sich auf seine Aussage wie ein ausgehungerter Wolf.
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Soulmate Voices
Romantik>Vielleicht hat das Universum versucht sicherzustellen, dass wir einander finden.< Will und Dean sind sich nie begegnet und haben auch sonst nicht viel gemeinsam. Doch eines Tages hören sie plötzlich die Stimme des jeweils anderen in ihren Köp...