Kapitel 12 - Dean

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„Wenn ich dieses Bild auch nur noch einmal sehen muss, lass ich mich einweisen", sagte Lemon mit einem abfälligen Blick auf Deans neuen Handyhintergrund. Er zeigte, wie nicht anders zu erwarten, Will, wie er auf dem Bett lag, der weiße Stoff des Hemdes wie eine Pfütze unter ihm ausgebreitet. Das war nicht nur ein Foto, das war ein Kunstwerk.

„Unhöflich", kommentierte Dean ungerührt.

„Wollt ihr nicht mal langsam Pläne machen, euch zu treffen, statt euch nur Bilder zu schicken?", erkundigte Lemon sich weiter. „Du wärst erträglicher, wenn du das aus dem System hättest."

Dean erwiderte nichts. In den letzten Tagen waren die Tagträume, wie es wohl wäre, Will tatsächlich zu sehen, beinahe übermächtig geworden. Er malte sich die verschiedensten Szenarien aus, wie er Will durch die weichen blonden Haare streichelte, wie es sich anfühlen würde, seine Hand in seiner eigenen zu halten. Die Träume, die er nachts hatte, waren weniger unschuldig. Da ging es mehr um Lippen, darum Wills Gewicht auf sich zu spüren, Hände auf erhitzter Haut. Dean musste sich manchmal ziemlich anstrengen, damit Will davon nichts merkte. Er war überzeugt davon, dass Will das erschrecken würde, mehr als alles andere. Dean war ja selber erschrocken darüber, was für klare Bilder sein Gehirn ihm bescherte, wenn er es zuließ. Manchmal ließ es sich auch gar nicht verhindern.

Und dann wieder hatten sie zusammen diese Momente, in denen ihm solche Sachen überhaupt nicht in den Sinn gekommen wären.

Wenn er Will dazu brachte, ihm Gedichte vorzulesen, zum Beispiel. Dean bekam Annabel Lee nicht mehr aus dem Kopf seit er es Will hatte aufsagen hören. Er übertrieb vermutlich maßlos und wollte sich gar nicht vorstellen, was Lemon dazu sagen würde, aber er fand das Gedicht passte zu ihm und Will. Wir liebten mit einer Liebe, die mehr war als das? Wer sonst konnte so was mit solcher Sicherheit von sich behaupten, wenn nicht sie? Und obwohl sie theoretisch über die Verbindung zwischen ihnen fast alles hätten teilen können, überraschte Will ihn dennoch immer wieder. Als Dean Will nach seinem Lieblingsgedicht fragte, erwartete er eine ausschweifende Übersetzung eines deutschen Klassikers oder ein romantisches Sonnet von Shakespeare. Dean hätte es eigentlich besser wissen müssen.

Mein liebstes? Hmm. Durch die Verbindung ging etwas wie ein Ruck, als Will zu einer Antwort kam. Seit ich dich kenne ist es das bekannteste Gedicht von Giuseppe Ungaretti, würde ich sagen.

Nie von ihm gehört, meinte Dean ahnungslos.

Will lachte leise. Hab ich auch nicht erwartet. Willst du es hören? Ich kann es auswendig.

Warum Will das sagte, als wäre es ein irre komischer Witz, wurde nach Deans Aufforderung klar.

M'illumino
D'immenso

Dean wartete ein paar Herzschläge lang ab. Und weiter?

Nichts weiter.

Das war's?

Wieder lachte Will. Ja. Es ist berühmt dafür, das kürzeste bekannte Gedicht der Welt zu sein.

Das ist ja cool. Ist das spanisch?

Italienisch, korrigierte Will gutmütig.

Und was heißt es?

Will zögerte kurz. Ich erleuchte mich durch Unermessliches.

So wie er es sagte, klang es beinahe wie ein Gebet. Als müssten diese Worte nur in hallenden Gewölben mit goldenen Säulen gesprochen werden. Gleichzeitig brachten sie etwas in Dean zum Klingen, denn das war keine hochgestochene Sprache, es war die Wahrheit. Für ihn und für Will war es die Wahrheit, die unermessliche Wahrheit, die ein Feuer in ihnen entfachte.

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